Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die Twitter-Sperre von Donald Trump inzwischen kritisch. Das sei ein "Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsäußerung". Ähnlich hat sich der russische Oppositionspolitiker Alexander Nawalny geäußert. Er hat die Sperrung als Zensur bezeichnet.
SWR Internetexperte Gabor Paal sieht das anders und erklärt auch, warum.
Ist die Twitter-Sperre von Trump Zensur?
"Eindeutig nein. Zensur im Sinne unseres Grundgesetzes würde bedeuten, dass der Staat bestimmte Meinungsäußerungen verbieten oder gar bestrafen würde. Trump hat weiterhin das Recht, seine Meinung zu äußern. Er hat aber, bildlich gesprochen, keinen Anspruch auf ein Megaphon, also auf einen Verstärker, der diese Meinung in die ganze Welt hinausposaunt.
Twitter und die anderen Sozialen Medien sind private Unternehmen. Sie haben Regeln und haben das Recht, Leuten, die sich nicht daran halten, die Bühne wegzunehmen. Das gilt auch für US-Präsidenten. Trump kann weiterhin die Kommunikationskanäle des Weißen Hauses nutzen. Er kann Pressemitteilungen verschicken, im Weißen Haus ist eine Fernsehkamera installiert.
Niemand verbietet ihm, sich in den Medien zu äußern. Die Medien sind aber frei zu entscheiden, was sie davon verbreiten und was nicht."
Twitter hat weitere 70.000 Benutzerkonten gesperrt. Werden hier konservative, republikanische Stimmen systematisch diskriminiert?
"Nein, die Sperrung richtet sich überhaupt nicht spezifisch gegen Republikaner. Trumps Sohn zum Beispiel hat weiter seinen Twitter-Account, wie viele andere auch. Die Sperre richtet sich vielmehr gezielt gegen Anhänger der QAnon-Bewegung.
Das sind Verschwörungsideologen, die krudeste auch antisemitische, durch keinerlei Fakten gestützte Behauptungen und Verleumdungen verbreiten und zu Gewalttaten aufrufen."
Greifen die Plattformen dort ein, wo der Staat versagt?
"Hier sind wir bei einem wichtigen Punkt: Wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit. Aber es gibt bestimmte 'Meinungen', die sind davon nicht gedeckt. Sie sind aus guten Gründen verboten, nämlich: Hassrede, Volksverhetzung, Gewaltaufrufe, Morddrohung, auch Kinderpornographie.
Solche Äußerungen sind in Deutschland verboten, völlig egal, ob sie auf Twitter erfolgen, oder auf einer Parteiveranstaltung. Weil aber der Staat sich nicht in der Lage sieht, auch noch die sozialen Medien zu kontrollieren, hat er diese Kontrolle an die Medien delegiert.
Das heißt Facebook und Twitter sind in Deutschland verpflichtet, Hassverbrechen, Gewaltaufrufe und ähnliches zu löschen. In den USA tun sie das freiwillig. Aber weil sie keine Richter und Staatsanwälte sind, tun sie das nach ihren eigenen Regeln."
Kann man Twitter und Co. Willkür vorwerfen?
"Zum Teil sicherlich. Natürlich – und dafür gibt es ebenfalls gute Gründe – schauen sie bei einem Account wie dem von Donald Trump mit über 80 Millionen Followern stärker hin als bei einem Hinterwäldler mit 11 Followern.
Die Regeln sind in der Tat nicht immer transparent. Sie hätten Trump schon viel früher sperren können, haben aber lange gezögert. Umgekehrt wurde in den letzten Tagen zu Recht kritisiert, dass Trump gesperrt wird, nicht aber zum Beispiel der geistliche Führer des Iran, Ayatollah Khamenei, der zur Vernichtung Israels aufruft.
Insofern: Dass Accounts von bestimmten Leuten wie auch von einem Gewaltaufrührer wie Donald Trump gesperrt werden, ist grundsätzlich richtig, aber das System, wie das geschieht, ist auch nicht gut."
Wäre es besser, wenn der Staat die Kontrolle über die Netze hätte?
"Spielen wir es an diesem Beispiel durch: Würden wir wollen, dass ein Präsident wie Trump mit gefügigen Leuten an den Schaltstellen bestimmt, welche Äußerungen erlaubt und welche gelöscht werden? Das könnte auch gefährlich sein - von wirklich diktatorischen Regimen ganz zu schweigen.
Das umgekehrt aber nur den Chefs von Twitter und Facebook zu überlassen, führt auch zu Problemen und kann den Eindruck der Willkür hervorrufen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen fordert sogenannte 'Plattform-Räte' für die sozialen Netzwerke. Die sollten dann über Sperren entscheiden.
Er sagt aber selbst, das sei nicht der Weisheit letzter Schluss, denn da tauchen natürlich sofort Fragen auf wie: Wer sitzt da drin? Welche Interessen werden dort vertreten? Und: Können die überhaupt so schnell reagieren wie es jetzt Twitter, Facebook und Google getan haben?"