Auch Winfried Kretschmann hat jetzt einen eigenen Podcast. Ein passendes Format für einen, der gerne bedächtig spricht und zu philosophischen Ausführungen neigt. In einer Folge des Podcasts sitzt der Katholik Kretschmann in einer Kirche und spricht 45 Minuten lang über "Halt, Hoffnung, Heimat". So mancher CDU-Politiker fragt sich da wohl nicht zum ersten Mal, ob Kretschmann eigentlich in der richtigen Partei ist.
Heimatverbunden, gläubig, bürgerlich – und doch ein Grüner. Als Student linksextrem, heute wirtschaftsaffiner Vorzeige-Realo. Winfried Kretschmann, 1947 in Spaichingen (Kreis Tuttlingen) geboren, vereint einige politische Widersprüche – und ist vielleicht gerade deshalb bis heute der einzige grüne Ministerpräsident in Deutschland.

Meister des pragmatischen Kompromisses
Winfried Kretschmann, der frühere Gymnasiallehrer und Naturwissenschaftler, gilt als einer, der Argumente unideologisch abwägt, um dann einen pragmatischen Kompromiss zu finden. Das verbindet ihn mit der Bundeskanzlerin und gelernten Physikerin Angela Merkel, deren politisches Vorgehen Kretschmann wiederholt gelobt hat, etwa in der Flüchtlings- und der Coronakrise. Besser eine kleine Lösung erreichen, als die große Lösung nur fordern. So sieht Kretschmann das.
Kritik daran kommt nicht zuletzt aus den eigenen Reihen. So mancher Hauptstadt-Grüner in Berlin fremdelt offen mit Kretschmann, der im Zusammenhang mit kriminellen Asylbewerbern auch mal von "jungen Männerhorden" sprach, die man in die "Pampa" schicken müsse. 2014 sorgte Kretschmann in seiner Partei für Unmut, weil Baden-Württemberg im Bundesrat dafür stimmte, mehrere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu machen und damit der Asylpolitik der Bundesregierung folgte.
Auch Kretschmanns Klimapolitik geht vielen in seiner Partei nicht weit genug. Aktivisten von "Fridays for Future" haben deshalb sogar die "Klimaliste Baden-Württemberg" gegründet, die bei der Landtagswahl gegen die Grünen antritt.
"Man muss Mehrheiten bekommen, das ist etwas anderes als Fridays-For-Future."
Kretschmann findet, man dürfe den Wohlstand von Baden-Württemberg nicht durch zu radikale Klimaschutz-Maßnahmen gefährden. Bei den notwendigen Umbrüchen müsse man die Menschen mitnehmen.
Vom Kommunisten zum Ministerpräsidenten
Kretschmann war selbst mal ein Radikaler. Als Student in den 1970er Jahren engagierte er sich beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), der den "bürgerlichen Staatsapparat" zerschlagen wollte. Eine politische Verirrung, die er bis heute als "Irrtum seines Lebens" bedauert. Seine Frau habe ihn damals bekehrt, sagt Kretschmann.
"Wenn ich die Zeugen Jehovas sehe, denke ich: Auf dem Niveau warst du auch mal."
Kretschmann, studierter Biologe und passionierter Wanderer, fand seine politische Heimat schließlich bei den Grünen. 1980 zog er mit der Partei erstmals in den Landtag von Baden-Württemberg ein und bezeichnete das später als prägendsten politischen Moment seines Lebens. 2002 wurde er Fraktionsvorsitzender, 2011 der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland. Die Wechselstimmung im Land, unter anderem durch die Atomkatastrophe in Fukushima und die Ereignisse rund um Stuttgart 21 hatten ihn sensationell ins Amt getragen. Bei der Landtagswahl 2016 überholten seine Grünen sogar die CDU.

Kein Nachfolger in Sicht
Längst hat Kretschmann den Landesvater-Bonus und ist auch bei vielen konservativen und langjährigen CDU-Wählern angesehen. Umfragen sahen ihn zeitweise als beliebtesten Politiker Deutschlands. Ein Umstand, mit dem er gerne kokettiert: "Beliebtheit ist auch eine Last, von einem Unbeliebten erwartet man ja nichts."
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Trotz bemerkenswerter Umfragewerte ließ Kretschmann die Öffentlichkeit lange im Unklaren, ob er mit 72 Jahren nochmal zur Landtagswahl antritt. Er selbst sprach von "inneren Kämpfen", die er mit sich ausgetragen habe. Ganz Biologe verwies er auf den Fuchs, der im Alter seine Neugierde verliere. Bei ihm sei das nicht der Fall, hielt er fest und attestierte sich, dem Amt körperlich und geistig weiterhin gewachsen zu sein.
Die Grünen in Baden-Württemberg dürften erleichtert gewesen sein, denn ein Nachfolger für Kretschmann ist derzeit nicht in Sicht.
"Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde ich ein viertes Mal nicht antreten", sagt Kretschmann. Im Jahr 2026 wäre er 77. Kein Ministerpräsident in Deutschland war jemals älter.