Die Pflege- und Behindertenheime im Landkreis Tuttlingen sollen den Behandlungswunsch ihrer Bewohnerinnen und Bewohner für den Fall, dass sie an Corona erkranken, abfragen. Dies geht aus einem jetzt verschickten Rundbrief des Tuttlinger Landratsamtes und des dortigen Klinikums hervor. Die Betroffenen sollen in einem beigefügten Fragebogen ankreuzen, ob sie infiziert ins Krankenhaus gebracht und bei Bedarf auf der Intensivstation behandelt werden wollen. Weiter, ob sie eine künstliche invasive Beatmung wünschen. Kritiker werfen dem Klinikum vor, neue Corona-Kranke abwimmeln zu wollen. Kreis und Klinikum selbst beteuern, mit diesem Verfahren im Ganzen mehr Menschenleben retten zu können. Die aktuelle Inzidenz im Landkreis liegt bei 610,5 – der höchste Wert in Baden-Württemberg.

Als ich den Fragebogen zum ersten Mal las, dachte ich an meine Eltern. Angenommen, meine Mutter würde pflegebedürftig oder mit Vorerkrankungen in einem Tuttlinger Seniorenheim leben und Corona bekommen. Soll ich ihr dann raten, dass sie bleibt, wo sie ist, angesichts ihrer schlechten Überlebenschancen? Würde meine Mutter ins Krankenhaus kommen, wäre ich persönlich beruhigt, aber nicht ihre Ärzte. Vielleicht müssen sie mir dennoch früher oder später mitteilen, dass sie meiner Mutter nicht mehr helfen können. Und insgeheim denken: In der Zeit, da diese Frau – meine Mutter – ihrem Lebensende entgegendämmert, könnten wir eine andere Person vor dem Corona-Tod bewahren.
Ich finde meinen Wunsch angemessen, dass für meine Mutter bis zur letzten Lebenssekunde alles Erdenkliche getan wird, weil einem – jedem! – Menschen würdig. Zugleich kann ich das Bemühen von Krankenhaus-Betreibern und Ärzten nachvollziehen, möglichst viele Menschen zu retten – auch um den Preis, dass meine Mutter nicht dazugehört. Es handelt sich um einen tragischen, weil nicht lösbaren Konflikt, der uns die eigene Sterblichkeit besonders bewusst macht.