Neulich habe ich mir am Bahnhof einen Kaffee geholt, weil ich auf einen Zug warten musste. Beim Bezahlen stellte ich irritiert fest, dass ich auf dem Kartenlesegerät auswählen sollte, wieviel Trinkgeld ich geben möchte. Die Option, kein Trinkgeld zu geben, war rot markiert, die Felder für die verschiedenen prozentualen Trinkgeldoptionen hingegen grün. Ein ziemlich klarer Fall von „Nudging“.
„Nudging“ beschreibt die Technik, durch kleine Tricks, das Verhalten von Menschen in eine Richtung zu „schubsen“. Trinkgeld so offensiv einzufordern, halte ich für eine Unsitte. Wer möchte, soll gerne ein Trinkgeld geben. Die Kunden aber mit solchen Tricks dazu zu drängen und ein schlechtes Gewissen als Motivation zu nutzen, halte ich für schlechten Stil. Immer häufiger passiert aber genau das bei Bäckereien, Imbissen und anderen Geschäften.

Mein Eindruck ist, dass dieser Trend vor allem aus den USA den Weg zu uns gefunden hat. Schon vor über einem Jahrzehnt habe ich dort in Restaurants erlebt, wie Vorschläge zum Trinkgeld mit Smileys versehen waren oder 15 Prozent die kleinste Stufe waren. Für einige Aufregung sorgten vor einer Weile Berichte über Selbstbedienungskassen in den USA, an denen man aufgefordert wurde, ein Trinkgeld zu geben.
Bevor es hierzulande soweit kommt, würde ich mir stattdessen wünschen, dass Bäckereien, Imbisse und andere Geschäfte ihren Mitarbeitern einfach einen anständigen Lohn zahlen, anstatt die Kunden in die Verantwortung zu nehmen. Von der eigenen Arbeit leben zu können, sollte nicht von der vermeintlichen Großherzigkeit der Kunden abhängig sein. Wer mag, kann dann ja immer noch ein Trinkgeld geben.