Psychotherapeutenkammer RLP seit 20 Jahren - es fehlt weiter an Therapiplätzen in Rheinland-Pfalz (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Zoonar | Elmar Gubisch)

Psychotherapie in RLP

Wenn die Seele in Not ist und kein Therapieplatz in Sicht

Stand
INTERVIEW
Andrea Lohmann

Seit 20 Jahren gibt es die Landespsychotherapeutenkammer. Im Interview erzählt Vizepräsidentin Benecke, wie verzweifelt die Menschen sind, die absehbar keinen Therapieplatz bekommen - und dass das ein Dauerzustand ist.

SWR Aktuell: Frau Benecke, ich stelle mir vor: Ich habe mich dazu durchgerungen, wegen meiner Depression eine Psychotherapie zu beginnen. Ich verbringe Stunden am Telefon und bekomme wahlweise nur einen Anrufbeantworter an die Strippe - oder die Auskunft, es dauert ein halbes Jahr bis zu ersten Sitzung. Was macht das mit mir als krankem Menschen?

Andrea Benecke: Sie werden als kranker Mensch ziemlich demotivert sein und sich einigermaßen hilflos fühlen, weil Sie keine Ahnung haben, wie Sie denn dann zügig und zeitnah Hilfe bekommen. Gerade für depressive Menschen bedeutet das, dass man sich noch mehr zurückzieht, dass die Depression um so stärker wird, weil das vorherrschende Gefühl ist, man kämpft sowieso immer gegen Windmühlen, verliert meistens dabei und hat keine Perspektive, dass sich irgendwas zum Guten wendet. Genau diese Annahmen werden durch solche Erfahrungen verstärkt. Das bedeutet, dass die Depression verstärkt wird.

Andrea Benecke arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin und ist in RLP Vizepräsidentin der Landespsychotherapeutenkammer. (Foto: Pressestelle, Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz)
Andrea Benecke muss in ihrer Universitätsambulanz viele Menschen wegschicken, die eine Therapie bräuchten.

SWR Aktuell: Führt ein verzögerter Therapiestart dazu, dass sich Krankheiten richtig festsetzen und schwieriger zu heilen sind?

Benecke: Wir beobachten, dass - egal bei welcher psychischen Erkrankung - diese dann chronifiziert. Und alles, was chronisch ist, wird deutlich schwieriger zu behandeln, als wenn es gerade jetzt auftritt, eine frische Symptomatik ist, wo man noch eine gute Idee als Patient hat, wie es vorher war. Das ist mit chronischen Erkrankungen alles deutlich schwieriger und bedeutet dann am Ende auch eine längere Behandlungszeit.

SWR Aktuell: Was kann den Menschen helfen, um die langen Wartezeiten zu überbrücken? Welche Hilfsangebote gibt es außerhalb der regelrechten Therapie?

Benecke: Das eine sind die so genannten Sprechstundentermine, um eine Einordnung der Symptomatik zu bekommen. Wenn es dann aber um die Behandlung geht, dann kann es tatsächlich nochmal zu deutlich anderen Wartezeiten kommen.

Es gibt natürlich die Möglichkeit, bis zum Therapiestart zu Beratungsstellen zu gehen. Da bekommt man keine Psychotherapie, aber da ist viel qualifiziertes Personal vor Ort, das zumindest erstmal helfen kann, eine Symptomatik zu lindern und wo man den Eindruck bekommt, da kann ich meine größten Sorgen erst einmal lassen. Das hilft schon mal über die Zeit hinweg.

"Es ist ganz schrecklich, sagen zu müssen: Wir können Ihnen hier keinen Therapieplatz geben."

Von den Sprechstundenterminen kann jeder Patient drei in Anspruch nehmen, das ist dann erschöpft. Es kann durchaus sein, dass zwischen Sprechstunde und der eigentlichen Behandlung eine Wartezeit ist. Und es ist auch überhaupt nicht garantiert, dass die Therapeutin, bei der ich einen Sprechstundentermin habe, überhaupt einen Behandlungsplatz frei hat. Möglicherweise muss ich wechseln.

SWR Aktuell: Manche Menschen sind akut so schwer krank, dass das Warten auf einen Therapieplatz unter Umständen lebensbedrohlich sein kann. Diesen Patienten kann man nicht sagen, die erste Therapiestunde ist in vier Monaten.

Benecke: Wenn Patienten akut leiden, schwer krank sind, dann gibt es die Möglichkeit einer stationären Aufnahme. Auch da gibt es aber Wartezeiten. Wenn es sogar um akute Suizidalität geht, also vielleicht sogar der Wunsch, sich selbst zu töten, dann müssen die Psychiatrien diese Menschen tatsächlich aufnehmen. Da gibt es kein Vertun.

Wenn das aber so akut nicht ist, aber trotzdem wirklich schlimm für die Betroffenen ist, dann muss man schauen, dass man in die Psychiatrie aufgenommen wird. Und dass das einigermaßen schnell passiert.

Aber auch da bekommen wir mit: Durch Corona, wegen des Personalmangels können die Kliniken auch nicht mehr so schnell aufnehmen, wie sie es früher konnten. Wir haben einfach insgesamt einen Notstand.

SWR Aktuell: Was sagen Sie als Therapeutin einem kranken Menschen, den Sie wegschicken müssen - und wie fühlt sich das für die Therapeuten an?

Benecke: Es ist ganz furchtbar. Wir haben das hier ständig, gerade seit der Corona-Pandemie und vor allem seit dem zweiten Lockdown ist die Nachfrage gestiegen. Jetzt kommt noch Krieg dazu und die existenziellen Sorgen der Menschen nehmen echt zu. Es ist ganz schrecklich, sagen zu müssen: Wir können Ihnen hier keinen Therapieplatz geben. Das ist für die Menschen schrecklich, wir haben so viele weinende Patientinnen und Patienten am Telefon, die einfach nicht mehr wissen wohin und wir können es nicht ändern und wir leiden natürlich alle miteinander unglaublich darunter, dass der Zustand ist wie er ist.

 SWR Aktuell: Wie finde ich den für mich geeigneten Therapeuten? Ein Bluthochdruck lässt sich auch von einem mir unsympathischen Arzt richtig einstellen. Bei einer Psychotherapie muss aber unbedingt ein Vertrauensverhältnis da sein.

Benecke: Ein Vertrauensverhältnis ist unbedingt nötig und im Grunde sagen die allermeisten: Das merkt man. Das ist einerseits Sympathie, das ist aber auch das Gefühl, da versteht mich jemand, da hört mir jemand zu, da folgt mir jemand in meinen Gedanken. Viel Sympathie, aber in der Tat ist es das Gefühl, hier kann ich so sein, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen und ich muss keine Sorge haben, dass ich abgelehnt werde, für das was ich bin. Und wenn man dieses Gefühl hat, dann ist man richtig.

SWR Aktuell: Wie würden Sie kurz und knapp die Versorgung der Patienten und Patientinnen in RLP beschreiben?

Benecke: Sie ist schlecht, sie ist seit Corona noch schlechter geworden und wird jetzt akut nochmal schlechter, sie ist miserabel in diesen unsicheren Zeiten, in denen vulnerable Patienten wirklich schwer leiden.

SWR Aktuell: Die Kammer gibt es jetzt seit 20 Jahren. War die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage damals schon so eklatant - und wo werden wir in 20 Jahren stehen?

Benecke: Die so genannte Bedarfsplanungsrichtlinie die 1999 eingeführt wurde, hat noch nie gepasst. Es war schon immer zu wenig an psychotherapeutischen Sitzen geplant. Das sind strukturelle Fehler, die gab es von Anfang an. Aber in diesen 20 Jahren ist es so geworden. dass psychisch kranke Menschen sich eher Hilfe suchen. Es ist eher weniger so, zumindest bis Corona, dass wir eine Zunahme psychischer Erkrankungen hatten, das war eigentlich immer sehr stabil bis zu diesem Zeitpunkt, Aber die Inanspruchnahme von Psychotherapie ist gestiegen, weil sich die Menschen mehr trauen, weil es nicht mehr so ein Tabu ist.

Mittlerweile sind die Menschen der Meinung: Für ein gebrochenes Bein gehe ich zum Arzt und wenn die Seele wehtut, dann suche ich mir genauso Hilfe wie beim gebrochenen Bein. Das ist ein Gutteil der zugenommenen Nachfrage.

SWR Aktuell: Ist Linderung bei der Versorgung in Sicht?

Benecke: Die Berliner Koalitionspartner haben in ihrem Koalitionsvertrag stehen, dass sie die Bedarfsplanungsrichtlinie nochmal anschauen. Das ist eine Bundesangelegenheit. Wir werden sehen, was daraus wird.

SWR Aktuell: Aber Therapeuten gäbe es genug?

Benecke: Ja, Therapeuten gibt es genug, wir haben ganz viele in Ausbildung, man merkt eine große Begeisterung für den Beruf, auch nicht nachlassend. Da haben wir überhaupt keine Sorgen im Gegensatz zu den Ärzten oder bei der Pflege.

Die Landespsychotherapeutenkammer schätzt den zusätzlichen Bedarf an Kassensitzen auf mindestens 200 für die nächsten Jahre.

SWR2 Wissen: Aula Psychotherapie – Was hilft den Patient*innen?

Die klassische lerntheoretisch begründete Verhaltenstherapie wird in der Praxis kaum noch angewandt. Neue Verfahren zielen darauf,
etwa die Beziehungsgestaltung von Patient*innen durch direkte Ansprache zu verbessern.

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