SWR Aktuell: Gibt es kleine Post-Covid-Patienten in Deutschland?
Edith Waldeck (Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Ärztliche Direktorin der Edelsteinklinik in Bruchweiler bei Idar-Oberstein): Auf alle Fälle. Bei uns in der Klinik sind manche Patienten unter fünf Jahre, und sogar jünger als vier Jahre. Manche sind Long-Covid-Patienten, die zum Beispiel direkt nach der Beatmung aus Unikliniken kommen, andere sind in der Tat Post-Covid-Fälle.
SWR Aktuell: Wann spricht man überhaupt von Post-Covid- und Long-Covid-Patienten?
Waldeck: Der Unterschied ist der Zeitpunkt. Wenn einen Monat nach der Erkrankung noch Symptome da sind, nennt man es Long Covid. Und wenn nach drei Monaten nach der Erkrankung noch immer Symptome da sind - das kann sogar bis zu einem Jahr und mehr sein, wir wissen es ja noch nicht - , also wenn dann noch Symptome da sind oder neu dazu kommen, nennt man es Post Covid.
SWR Aktuell: Was sind die häufigsten Symptome bei Post-Covid-Patienten?
Waldeck: Das Erscheinungsbild ist vielfältig. Man kann entweder die Symptome von Seiten der Lunge erkennen - also Atemnot, Leistungsschwäche, Kurzatmigkeit oder es kann das Fatigue-Syndrom sein, ein Erschöpfungssyndrom. Das ist nicht dasselbe wie eine Müdigkeit nach körperlicher Aktivität, sondern Kraftlosigkeit sowohl im psychischen wie auch im physischen Bereich.
Häufig sind es auch Kopfschmerzen oder Gelenkschmerzen. Ganz wenige haben auch Herzbeschwerden, Stechen im Brustkorb oder sie sind leistungsgemindert. Zuletzt gibt es einige, die haben Konzentrationsschwierigkeiten. Die Merkfähigkeit ist eingeschränkt, auch das Gedächtnis, die finden auch die passenden Wörter nicht mehr, haben Sprachstörungen.
"Das Verrückte ist, man weiß wirklich nicht, welche Kinder, die jetzt akut erkrankt sind, so ein Syndrom ausbilden werden."

SWR Aktuell: Lässt sich das denn eindeutig auf die Corona-Erkrankung zurückführen?
Waldeck: Ja, sie beschreiben das auch so, dass das vor der Erkrankung nicht so war. Oft beobachten auch die Mütter, dass die Kinder mitten im Spiel aufhören und sich hinsetzen und müde sind und nicht mehr weitermachen. Auch bei den Jugendlichen habe ich dieses Fatigue-Syndrom beobachtet. Die schleppen sich von Stuhl zu Stuhl.
SWR Aktuell: Wie hoch schätzen Sie denn die Zahl an Kindern ein?
Waldeck: Das ist schwer zu sagen. Bei uns in der Klinik landen ja wirklich nur diejenigen, die betroffen sind. Im normalen Alltag haben von zehn Kindern vielleicht nur zwei oder drei so ein Long oder Post Covid. Nicht alle, die erkrankt sind, werden diese Symptomatik aufweisen.
Das Verrückte ist, man weiß wirklich nicht, welche Kinder, die jetzt akut erkrankt sind, so ein Syndrom ausbilden werden. Selbst ganz milde Verläufe können am Ende doch ein Post Covid entwickeln und das ist das Außergewöhnliche daran, dass man nicht von Vorneherein sagen kann, wer wird dieses Syndrom entwickeln und wer nicht. Man hat keine Vorhersagemöglichkeit.
SWR Aktuell: Aber wie erklären Sie sich, dass zum Beispiel der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sagt, dass ihm keine kleinen Post-Covid-Patienten unter fünf Jahren bekannt sind?
Waldeck: Ich denke, das hat damit zu tun, dass man als Kinderarzt in der Praxis mit diesen Kindern nur ganz wenig und punktuell Kontakt hat. Wir allerdings haben die Kinder in der Reha sechs Wochen lang. Es ist nicht so offensichtlich, wie die Symptomatik aussieht. Man muss die Kinder auch eine Weile beobachten können.
SWR Aktuell: Wie therapieren Sie denn diese Kinder?
Waldeck: Ich muss ja ganz individuell auf die Symptomatik eingehen. Bei denjenigen, bei denen wir die Lungenbeteiligung vorwiegend haben, da muss ich mich deutlich mehr auf die Atmung, auf das Auftrainieren fokussieren, mit Atemtherapie, Körperwahrnehmung. Wenn es neurologische Symptome sind, wie das Fatigue Syndrom, sie den Alltag nicht mehr bewältigen, Kopfschmerzen haben, muss ich über ein sogenanntes Pacing gehen, zum Beispiel Erfolge in einem Tages-/ Notizbuch planen und festhalten oder Konzentrationsübungen machen und die Merkfähigkeit aufbauen.
"Wenn ich ein Kind davor schützen kann, dass es diese Symptomatik entwickelt, dann ist mir eine Impfung auf alle Fälle recht."
SWR Aktuell: Mit Ihrem Wissen: Würden Sie ein Kind impfen lassen, auch wenn es kein Risikopatient ist, also Trisomie 21 oder Lungenvorerkrankungen, hat?
Waldeck: Ja, eindeutig. Weil ich das Kind vor einer Symptomatik und unter Umständen einem Long/ Post Covid schütze, von dem ich heute noch nicht weiß, wie die gesamte Situation ausgeht und wie das Kind sich in einigen Wochen und Monaten fühlen wird. Wir haben ja jetzt erst die ersten Fälle, von denen man sieht, wie lange dieses Post Covid sich hinzieht.
Wir haben alle gedacht, dass es kurz dauert und in zwei, drei Monaten alles vorbei ist, aber wir haben Patienten in der Klinik, die sind schon ein Jahr damit beschäftigt und haben immer noch eine Leistungsminderung. Wenn ich ein Kind davor schützen kann, dass es diese Symptomatik entwickelt, dann ist mir eine Impfung auf alle Fälle Recht.
SWR Aktuell: Gilt das auch für Unter-Fünfjährige, für die es offiziell noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt?
Waldeck: Ja, wir sind mit allem immer eine Weile hinterher und erkennen dann zu einem späteren Zeitpunkt, dass es gut ist, dass wir diese Kinder impfen.
Wir haben es ähnlich gemacht mit den 12- bis 17-Jährigen. Es hat lange gedauert. Ich hätte am liebsten, dass wir diese Kinder in den Ferien geimpft hätten, dass wir jetzt nicht Schulklassen haben mit vielen coronapositiven Kindern.
Genau so ist es mit den Fünf- bis Elfjährigen – wie zögerlich waren wir? Ich sehe, wie sie jetzt in die Impfzentren kommen und froh sind, dass sie sich am Schritt hin zu einer Normalität beteiligen können. Insgesamt finde ich die Aktion wichtig für Kinder, dass sie Teil von uns allen sind und dass wir sie berücksichtigen.
Das Interview führte Kristina Kiauka.