Der alleinstehende Senior in Pirmasens, dessen Familie am anderen Ende der Republik lebt. Der unverheiratete Student in Mainz, der aus Brandenburg hergezogen ist. Die alleinerziehende Mutter, die nach einer Trennung für einen neuen Job nach Koblenz weit weg von allen Verwandten zieht - sie alle stehen im Ernstfall vor großen Problemen: Wer dürfte im Krankenhaus Informationen nach einem schweren Unfall oder bei schwerer Krankheit bekommen? Wer dürfte Bankgeschäfte im Namen der betroffenen Person erledigen?
Denn nur nahe Angehörige oder Eheleute haben solche Vertretungs- und Auskunftsrechte. Die Bundesregierung möchte das ändern. Sie will Verantwortungsgemeinschaften ermöglichen. SPD, Grüne und FDP haben das Vorhaben im Koalitionsvertrag verankert:
Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.
Freunde können offiziell füreinander einstehen
Damit können Freundinnen oder Mitbewohner füreinander Verantwortung übernehmen, rechtlich abgesichert. Die Idee beschränkt sich dabei nicht nur auf zwei Personen, auch mehrere Menschen könnten eine solche Gemeinschaft eingehen. Welche Rechte und Pflichten genau damit einhergehen würden, wird vom Bundesjustizministerium noch erarbeitet.
Keine Konkurrenz zur Ehe
Die Zukunftsfähigkeit der Ehe stehe nicht in Zweifel, sagte Bundesjustizminster Marco Buschmann (FDP) der Zeitung "Welt". Sie passe aber eben nicht zu jedem Lebensentwurf. "Auch im Rahmen von Freundschaften und Wohngemeinschaften tragen Menschen Verantwortung füreinander, die sie rechtlich abgesichert sehen wollen", sagte er. Die Verantwortungsgemeinschaft werde niemandem etwas wegnehmen, "aber es wird vielen den Alltag erleichtern", sagte der Minister. Sie soll unbürokratisch in Standesämtern geschlossen und auch aufgelöst werden können.
Das Familienministerium in Rheinland-Pfalz begrüßt die Pläne der Bundesregierung, das Familienrecht in Deutschland zu modernisieren. Wichtig sei, wie die Verantwortungsgemeinschaft rechtlich ausgestaltet werde, teilt das Ministerium mit. Denn bereits heute können Menschen abseits von Ehe und Verwandtschaft Vereinbarungen für gegenseitige Fürsorge oder Auskunftsrechte beim Arzt treffen - auch vertraglich abgesichert und rechtlich bindend. Wenn Verantwortungsgemeinschaften nun so ausgestaltet werden, "dass Fürsorgebeziehungen in ihrer tatsächlichen Vielfalt und Komplexität besser abgebildet werden, ist das sehr zu begrüßen".
Caritas: Aus Freundschaften könnten Vertrauensgemeinschaften entstehen
Mit Blick auf ältere Menschen sieht Sabine Kober vom Caritas-Zentrum in Pirmasens durchaus Potential für Vertrauensgemeinschaften. In Pirmasens sind 25,5 Prozent der Menschen älter als 60 Jahre. Viele haben keine Familie vor Ort, manche sind verwitwet oder generell alleinstehend. Für sie gibt es beim "PS Netzwerk 60 Plus" drei Quartiertreffes mit Info-Veranstaltungen und Cafés, wo sie andere Menschen treffen können.
"Ich kann mir vorstellen, dass das geht", sagt Kober. "Dort entwickeln sich Freundschaften." Es sei denkbar, dass daraus auch Vertrauensgemeinschaften entstehen, mit denen alleinstehende Personen füreinander einstehen. Derzeit seien viele der Älteren in Pirmasens jedoch zaghaft, sagt Kober. "In der Pandemie sind viele sehr zurückhaltend geworden."
Ähnlich sieht es der Familienbund der Katholiken: "Die Idee ist im Grundsatz interessant", sagt Matthias Dantlgraber, Geschäftsführer des Familienbundes. "Die Frage ist, ob tatsächlich mehr Menschen solche Verantwortung übernehmen."
Familienbund: Risiken beim Ende der Gemeinschaft
Dantlgraber sieht aber auch eine Gefahr in solch einer leicht zu lösenden Gemeinschaft - wenn sie in Konkurrenz zur Ehe tritt: Denn anders als bei der Ehe bestünden keine Ansprüche, wenn die Beziehung endet. So hätte zum Beispiel jemand, der für die Kindererziehung die Arbeitszeit reduziert hatte, weniger Geld verdient und in die Rentenkasse einzahlen konnte, Nachteile im Falle einer solchen Verantwortungsgemeinschaft. Nach einer Ehe hätte die Person Unterhaltsansprüche, nach Auflösung einer Verantwortungsgemeinschaft unter Umständen nicht.
Verantwortungsgemeinschaft - "Was soll das bedeuten?"
Den Begriff an sich findet Marina Hennig, Expertin in Netzwerkforschung und Familiensoziologie von der Uni Mainz, nicht sehr gelungen: "Mir ist nicht richtig klar, was soll das bedeuten?" Zum jetzigen Stand sei unklar, welche Beziehungen damit abgesichert werden könnten. Denn privatrechtlich können Menschen füreinander bereits Verantwortung übernehmen, sich gegenseitig verbindlich Rechte zusichern oder Pflichten ausmachen, etwa mit Vollmachten und Patientenverfügungen.
Eine Einsatzmöglichkeit für Vertrauensgemeinschaften sieht Hennig in Alten-Wohngemeinschaften. Dort leben die Menschen zwar zusammen, dürften im Falle von Krankheit, Unfall oder bei Bankangelegenheiten keine Entscheidungen für die vertraute Mitbewohnerin treffen - auch wenn aus der Familie oder Ehe niemand anderes da wäre.
Rechtsanwältin: Lieber individuelle Lösungen finden
Swetlana Rosenzweig, Rechtsanwältin aus Koblenz, sieht wenig Sinn in Vertrauensgemeinschaften. Denn beim Anwalt oder bei der Notarin lassen sich individuelle Lösungen für Vollmachten und Verfügungen finden, sagt sie. Pauschale Lösungen über das Gesetz könnten letztendlich im Ernstfall doch zu Streit führen, weil nicht bis ins letzte Detail geklärt worden ist, wie die Betroffenen ihre Angelegenheiten geregelt haben möchten. Der Aufwand und die Kosten seien überschaubar, sagt sie. "Wichtig ist vor allem aber, dass die Leute sich kümmern und informieren", sagt Rosenzweig. "Die Leute schlafen so lange, bis was passiert."
CDU: "Im Vordergrund sollte das Kind stehen"
Die CDU in Rheinland-Pfalz zeigt sich mit Blick auf den Status der Ehe zurückhaltend was Vertrauensgemeinschaften angeht: "Die Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes", teilt Michael Wäschenbach, Leiter des Zukunftfeldes "Zusammenhalt der Gesellschaft" der CDU-Landtagfraktion mit. "Im Vordergrund neuer Familienmodelle sollte das Kind stehen. Wie das bei einer Verantwortungsgemeinschaft gelingen könnte, muss im Detail gesamtgesellschaftlich debattiert werden."
Einführung frühestens Ende 2023
Ob diese Verantwortungsgemeinschaften tatsächlich eingeführt werden, ist noch offen. Auch wie genau sie gestaltet werden könnten, ist noch nicht klar. Frühestens Ende 2023 wird daher mit einer Umsetzung des Vorschlags gerechnet, auch wegen der umfangreichen Vorarbeiten zusammen mit anderen Ministerien, heißt es aus dem Bundesjustizministerium.