Mit der Dokumentation will sich die Caritas nach eigenen Angaben entschuldigen und ihrer Verantwortung gerecht werden. Außerdem wolle man die bereits 1960 in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichte Studie in den historischen Kontext einordnen.
Contergan für lungenkranke Kinder
Das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan war damals schon zugelassen und seit 1957 rezeptfrei auf dem Markt erhältlich gewesen. Es Kindern zu geben habe als unbedenklich gegolten.
In der Lungenheilanstalt Maria Grünewald in Wittlich habe man nicht das Medikament selbst, sondern neue Anwendungsmethoden testen wollen. Man habe mit Contergan lungenkranke Kinder im Rahmen einer Liegekur ruhig gestellt. Das SWR Politikmagazin Report Mainz hatte im vergangenen Jahr bereits darüber berichtet.
Die Kinder hätten es auch bei Heimweh bekommen oder wenn sie nachts nicht schlafen konnten. Es sei unklar, ob die Eltern der Kinder ordnungsgemäß informiert worden seien.
Medikamente Kindern ohne die Einwilligung der Eltern zu verabreichen, sei auch 1960 strafbar gewesen. Doch Patientenakten aus dieser Zeit sind nicht erhalten.
Ärzte und Schwestern, die damals in der Lungenheilanstalt arbeiteten, leben alle nicht mehr. 1959 und 1960 ist laut der Dokumentation Contergan in Wittlich mehr als 300 tuberkulosekranken Kindern im Alter zwischen zwei und 14 Jahren verabreicht worden.
Die Studie wurde am 24.12.1960 in der Fachzeitschrift "Die Medizinische Welt" veröffentlicht. Der Titel damals: "Über klinische Erfahrungen mit Contergan bei tuberkulosekranken Kindern".
80 Zeitzeugen melden sich
Als im August 2020 die schon 1960 veröffentlichte Studie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, meldeten sich 80 Zeitzeugen bei der Caritas. Sie waren 1959/60 als Kinder im Alter von 1-18 Jahren in der Heilanstalt Maria Grünewald gewesen.
Die Erinnerung daran sei für viele von ihnen schmerzlich, so die Caritas. Man habe mit den Zeitzeugen lange und ausführlich gesprochen und auf ihren Wunsch hin auch Kontakte zu anderen Betroffenen vermittelt.

Viele der Zeitzeugen erinnerten sich daran, dass sie in dem Heim Medikamente verabreicht bekommen hätten. Die Behandlung durch die Schwestern sei insgesamt hart und lieblos gewesen.
Maria Grünewald galt als modern
Historiker schätzen den Umgang mit den Kindern in dem Wittlicher Heim als zeitgemäß ein, es sei Ende der 50er, Anfang der 60er allgemein so gewesen, auch in vielen Elternhäusern. Alle Zeitzeugen sagten, sie seien in Wittlich von ihrer Lungenkrankheit geheilt worden. Die Heilanstalt Maria Grünewald galt damals als modern und vorbildlich.
Für die Aufarbeitung der Studie und das Erstellen der Dokumentation wurden eine Pharmaziehistorikerin, ein Medizinhistoriker, der Conterganhersteller Grünenthal, Gesundheitsämter sowie der Orden der armen Dienstmägde Jesu Christi herangezogen, dessen Schwestern in der ehemaligen Heilanstalt Maria Grünewald tätig waren.