Leon aus Trier zeigt, was er alles an Lebensmittel im Müll von Supermärkten gefunden hat. (Foto: SWR)

Essen aus der Mülltonne

Wie Leon aus Trier Lebensmittel aus Containern rettet

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Frederik Herrmann

Schon bald könnte Containern legal werden. Noch ist es aber verboten. Leon aus Trier macht es trotzdem. Er zeigt uns, was er so alles aus dem Müll von Supermärkten rettet.

Um 23 Uhr haben wir uns vor einem Supermarkt in Trier verabredet. Es ist dunkel, die Straßen sind leer. Nur wenige Autos sind unterwegs, Passanten begegnen uns fast keine. Perfekte Bedingungen, denn Leon möchte nicht gesehen werden. Leon, das ist nicht sein echter Name, er möchte nicht erkannt werden, denn das was er tut ist derzeit noch illegal.

Leon sucht nämlich in Mülltonen von Supermärkten nach noch genießbaren Lebensmitteln. Allgemein bezeichnet man das als containern. Er nennt es "Lebensmittel retten".

"Ich verstehe unter Containern, dass ich Lebensmittel davor rette, weggeschmissen zu werden."

Viele Supermärkte verschließen ihre Mülltonnen

Vor dem Eingang zum Parkplatz des Supermarktes befindet sich ein großes Tor. Es ist abgeschlossen. Immer häufiger ergreifen Supermärkte Sicherheitsmaßnahmen, um Menschen vom Containern abzuhalten, weiß Leon. Häufig seien sogar die Mülltonnen abgeschlossen. Schlösser knacken oder aufbrechen, das tue er nicht, um an die Lebensmittel zu kommen.

In der Umgebung ist noch ein zweiter Supermarkt bei dem Leon schon öfter etwas gefunden hat. Auch dort gibt es ein großes Tor. Anders als das erste, ist dieses aber geöffnet. Leon geht hindurch, ich warte vor dem Tor auf ihn. Nach wenigen Minuten kommt er enttäuscht zurück. "Nichts mehr da". Die Container des Supermarktes sind leer. Die Mülltonnen wurden schon geleert und abgeholt.

Finanzielle und ethische Gründe als Motivation

Früher hat Leon solche Streifzüge häufiger unternommen. Während seiner Zeit als Student ist er etwa einmal die Woche losgezogen und hat in Mülltonnen von Supermärkten nach Lebensmitteln gesucht.

Als Student hatte er kaum Geld, das Containern war da eine gute Möglichkeit auf den Einkauf zu verzichten und zu sparen. Nur für Dinge, die selten im Müll landen, wie etwa Gewürze, ging er noch in den Supermarkt. Den Rest fand er draußen, weggeworfen im Müll.

Heute macht er das nicht mehr so häufig. Er studiert nicht mehr, hat einen Job und ist nicht mehr darauf angewiesen. Die finanziellen Gründe für das Containern haben sich für ihn erledigt. Die ethischen bestehen aber nach wie vor.

Leon findet es respektlos Lebensmittel wegzuwerfen. "Wir stecken so viel Energie und Zeit in das Herstellen von Lebensmittel und dann landet am Ende so viel davon im Müll?". Das könne er nicht verstehen.

Im dritten Anlauf zur vollen Tonne

Leon möchte an diesem Abend noch einen dritten Versuch starten. Also gehen wir durch die Nacht zu einem dritten Supermarkt. Hier wird der Platz nicht von einem Tor versperrt. Der Weg ist frei. Er geht hindurch, und ich warte wieder vor dem Parkplatz auf ihn.

Nach etwa 15 Minuten kommt Leon zurück. Drei Taschen hat er dabei, vollgepackt mit verschiedenen Lebensmitteln, die er dort gefunden hat. Er erzählt, dass hinter dem Supermarkt zwei Tonnen randvoll mit weggeworfenen Lebensmitteln stehen. Manches davon habe zwar schon Schimmel oder sei schlecht, sehr vieles sei aber noch in einem gutem Zustand.

Leon hat keine Angst davor, krank zu werden

Angst davor krank zu werden hat Leon keine. Er verlasse sich auf seine Nase. Riecht etwas schlecht, lässt er es in der Tonne. Er meint, er könne das mit gesundem Menschenverstand abschätzen.

Ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum sei für ihn auch kein Grund etwas wegzuwerfen. Sieht etwas noch gut aus, nimmt er es mit. Schlechte Stellen könne man dann ja wegschneiden.   

Lauch, Kohl, Orangen und sogar ein Blumenstrauß. Vieles landet im Müll, obwohl man es noch essen oder zumindest auf den Tisch stellen kann. (Foto: SWR)
Lauch, Kohl, Orangen und sogar ein Blumenstrauß. Vieles landet im Müll, obwohl man es noch essen oder zumindest auf den Tisch stellen kann.

Vielfältige Gründe für weggeworfene Lebensmittel

Ursachen, dass derart viele Lebensmittel im Müll landen, gibt es viele. So werden laut Verbraucherzentrale häufig durch Fehlkalkulationen Lebensmittel weggeworfen. Das komme vor, wenn beispielsweise Händler bei gutem Wetter eine hohe Nachfrage nach Grillgut erwarten. Kommt es dann aber zu Regen, bleiben sie auf der Ware sitzen. Auch könne es vorkommen, dass Obst und Gemüse im Lager vergessen wird.

Lebensmittel werden auch häufig weggeworfen, wenn Kühlgeräte falsch eingestellt sind und Essen dadurch verdirbt. Ebenfalls landen regelmäßig Saison- und Aktionsware, wie beispielsweise nach Ostern oder Weihnachten, im Müll.

Bundesregierung möchte Containern entkriminalisieren

Dass Containern nicht erlaubt ist, weiß Leon. Ein schlechtes Gewissen habe er aber nicht. Er sagt, dass er es als gerecht empfinde, die Lebensmittel zu retten.

Und auch die Bundesregierung möchte das Containern nicht mehr kriminalisieren. Bundesagrarminister Cem Özdemir und Bundesjustizminister Marco Buschmann werben in einem Brief an die Justizministerien der Bundesländer darum, auf die Strafverfolgung beim Containern zu verzichten. Containern solle nur noch bestraft werden, wenn es zu einer Sachbeschädigung kommt.

Der Vorschlag der beiden Minister sieht dabei lediglich eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vor. Das Vorhaben sei ein "Baustein zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung", so Minister Özdemir.

Einmal wurde Leon beim Containern erwischt

Einmal, als Leon Lebensmittel in einem Container suchte, wurde er beobachtet. Er sagt, er sei unvorsichtig gewesen. Als es im Sommer an einem Sonntag schon hell wurde, habe jemand die Polizei gerufen.

Er konnte dann noch mit dem Filialleiter sprechen und ihm erklären, wieso er das mache. Dieser hat dann auf eine Anzeige verzichtet. Der Filialleiter hatte Leon zufolge prinzipiell nichts gegen das Containern. Nur wenn Menschen dabei Sachen zerstören und den Platz dreckig hinterließen, das würde ihn stören. Leon hatte Glück. Er konnte den Filialleiter mit Worten davon abhalten, ihn anzuzeigen.

RLP-Justizminister gehen die Pläne nicht weit genug

Trotz der Pläne der Bundesregierung bliebe das Containern auch in Zukunft illegal, kritisiert der Justizminister aus Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin (FDP). Es werde lediglich keine Strafverfolgung geben. Mertin geht das nicht weit genug. Er spricht von einer "strafrechtlichen Scharade". So könnten die Vorschläge der Bundesregierung die Erwartungen, Containern zu legalisieren, nicht erfüllen.

Um Containern tatsächlich zu legalisieren, müsse das Gesetz geändert werden. Mertin schlägt vor, Supermärkte zu verpflichten, Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, für soziale Zwecke zur Verfügung zu stellen.

Trierer Tafel bekommt Lebensmittel von Supermärkten

Regina Bergmann, Leiterin des Sozialdienstes katholischer Frauen, dem Träger der Trierer Tafel, sagt, dass sie bereits jetzt viele Lebensmittel von Supermärkten bekommen. Das sei ausreichend, um etwa 1.000 Personen der Tafel mit Lebensmitteln zu unterstützen. Oft würde die Tafel sogar Lebensmittel an andere Organisationen wie Foodsharing weitergeben. Für mehr Lebensmittel fehlten der Tafel die nötigen Kapazitäten.

Es bräuchte dann mehr freiwillige Helfer und Helferinnen, Transporter und Kühlungen, worin die Lebensmittel gelagert werden können. Jeden Tag fährt die Trierer Tafel 70 Supermärkte und Bäckereien in der Region an und holt Lebensmittel ab. Die Supermärkte seien dabei auch sehr kooperativ, so Bergmann.

Was Leon alles an Lebensmitteln gerettet hat

Containern mit Leon  (Foto: SWR)
Mit drei Tüten geretteter Lebensmittel geht Leon nach Hause. So viel zu finden, sei nicht ungewöhnlich, sagt Leon.

Obwohl Supermärkte bereits heute Lebensmittel für soziale Einrichtungen wie die Trierer Tafel zur Verfügung stellen, landen nach wie vor viele Lebensmittel in der Tonne. Leon präsentiert seine Ausbeute aus dem dritten Supermarkt. In seinen Tüten befinden sich jetzt ein Sack Rosenkohl, einige Kartoffeln. Außerdem ein Kuchenboden, etwas Wurst und Käse. Daneben noch verpackte Schokolade, Süßigkeiten, eine Packung Nudeln, zahlreiche Orangen und sogar ein Strauß Blumen.

"Das ist der Gipfel der Respektlosigkeit gegenüber den Tieren, von denen wir uns ernähren".

Insbesondere tierische Produkte im Müll stimmen ihn traurig. Er meint, das sei der Gipfel der Respektlosigkeit gegenüber den Tieren von denen wir uns auch ernähren. Er selbst werfe so gut wie nie Lebensmittel weg. Es komme bei ihm einfach nicht vor, dass etwas schlecht wird.

Aus den Orangen möchte er gleich am nächsten Morgen Saft pressen und zum Frühstück trinken. Schnell verzehren und verarbeiten bevor es schlecht wird und dann wirklich auf den Müll muss.

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