Wenn Marion Palm-Stalp geradeaus schaut, sieht sie einen großen grauen Fleck. Nur an den äußeren Rändern ihres Sichtfeldes kann sie etwas von ihrer Umwelt erkennen. Denn die Triererin leidet an der seltenen Krankheit Morbus Stargardt. Ihre Netzhaut stirbt ab.
Mittlerweile ist nur noch drei Prozent ihres Augenlichtes übrig. Rechtlich gilt sie daher als blind.
"Wenn ich mir ein Fußballtor anschaue, dann ist in der Mitte bei mir ein grauer Fleck. Das heißt, ich sehe rechts und links die Pfosten. Und sehe bestenfalls noch was von unten.“
Straßenverkehr in Trier ist gefährlich für Sehbehinderte
Diese Beeinträchtigung macht es Palm-Stalp schwer, sich im Straßenverkehr zu orientieren. Auch in Trier, wo sie lebt. Das zeigt sich bei einem kurzen Spaziergang vom Dom bis zum Hauptbahnhof.






Denn auf diesen knapp 15 Minuten liegt schon gut ein Dutzend Gefahrenstellen für Sehbehinderte. Mal stehen graue Poller mitten im Gehweg wie am Bischof-Stein-Platz, mal geben die Ampeln keine akustischen Signale von sich wie in der Ostallee. Und Zebrastreifen gibt es laut Palm-Stalp auch zu wenige.
Blindenverband fordert mehr bunte Poller und vibrierende Ampeln
Helfen würde es, wenn die Pfosten bunt statt grau wären, sagt der der Blindenverband Pro Retina. Und alle Ampeln sollten vibrieren. Denn dann könnten Sehbehinderte sie wahrnehmen. Doch solche Anlagen gebe es bislang leider nur vereinzelt in der Stadt.
Bei über 100 von 348 Fußgängertastern fehlt nach wie vor eine sogenannte Blindenvibration. Das geht aus Angaben der Stadt hervor. Nur die Hälfte gibt ein akustisches Signal von sich. Und nur 17 Ampeln haben beide Funktionen.
Stadt kennt Schwachstellen seit Jahren
Sowohl die Ampel an der vielbefahrenen Ostallee als auch eine Anlage vor dem Hauptbahnhof geben allerdings überhaupt kein Signal von sich. "Da kann ich dann überhaupt nicht die Straße überqueren, ohne Gefahr zu laufen, überfahren zu werden", sagt Palm-Stalp.
Was die Triererin außerdem ärgert ist, dass die Schwachstellen im Rathaus schon lange bekannt seien. Und sich die Situation dennoch nicht verbessert habe. Im Gegenteil.
"Vor genau einem Jahr haben wir den Baudezernenten anlässlich des Tages der Sehbehinderten zu einem Spaziergang eingeladen. Doch seitdem hat sich die Lage für uns Sehbehinderte sogar noch verschlechtert."
Anti-Amok-Poller sind für Blinde "zusätzliche Barrieren"
Tatsächlich hatte Baudezernent Andreas Ludwig (CDU) bei dem Rundgang damals zugesichert, beim Ausbau des Straßenverkehrs in Trier künftig stärker auf Inklusion zu achten.
An einigen Stellen habe die Stadt sogar zusätzliche Barrieren aufgebaut. Ein Beispiel dafür seien die Anti-Amok-Poller. Die wurden nach der Amokfahrt angeschafft, um die Fußgängerzone künftig vor Anschlägen mit dem Auto zu schützen.

Doch für Sehbehinderte sind die Pfeiler eine zusätzliche Stolperfalle. "Man hätte sie doch wenigstens farblich kennzeichnen können", ärgert sich Palm-Stalp: "Warum müssen die grau sein?"
Und dann seien da noch die vielen Zebrastreifen, die die Stadt hat abfräsen lassen, etwa am Hauptbahnhof. "Die haben uns wenigstens ein bisschen Sicherheit geboten", sagt die Sehbehinderte. Nun gebe es nur noch Querungshilfen auf die viele Autofahrer aber nicht achteten.
Pfosten werden nur bei Beschädigungen getauscht
Doch warum hat die Stadt ihre Zusagen nicht eingelöst? Die Verwaltung argumentiert mit Interessenkonflikten im Straßenverkehr aber auch mit einer Überbelastung des Amtes Stadtraum.
Der entsprechenden Abteilung sei es "bei der Vielzahl von Aufgaben nicht möglich, alle Poller in der Stadt proaktiv behindertengerecht zu markieren." Lediglich wenn die Poller beschädigt werden, würden sie ausgetauscht.
"Neben den Belangen für die sehbehinderten Menschen sind auch weitere Belange zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Verkehrssicherheit für alle anderen, technische und gesetzliche Regelwerke, die Stadtgestaltung sowie die Denkmalpflege."
Im Falle der Amokpfeiler wurde die "Stadtgestaltung" offenbar höher gewichtet als das Anliegen der Sehbehinderten, die Pfosten sichtbarer zu machen.
Marion Palm-Stalp zieht am Ende des Spaziergangs daher ein bitteres Fazit:
"Wir haben Poller, die nicht gekennzeichnet sind. Die Ampeln sind nicht verbessert worden. Ich bin wirklich enttäuscht und traurig, dass in einem Jahr so wenig möglich war."