Eine blinde Person geht mit einem Blindenstock (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Ärger bei Trierer Blinden

Warum Trier für Sehbehinderte voller Stolperfallen ist

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AUTOR/IN
Christian Altmayer

Für sehbehinderte Menschen ist es gefährlich, sich in Trier im Straßenverkehr zu bewegen. Tut die Stadt genug, um barrierefrei zu werden? Eine Betroffene hat da ihre Zweifel.

Wenn Marion Palm-Stalp geradeaus schaut, sieht sie einen großen grauen Fleck. Nur an den äußeren Rändern ihres Sichtfeldes kann sie etwas von ihrer Umwelt erkennen. Denn die Triererin leidet an der seltenen Krankheit Morbus Stargardt. Ihre Netzhaut stirbt ab.

Mittlerweile ist nur noch drei Prozent ihres Augenlichtes übrig. Rechtlich gilt sie daher als blind.

"Wenn ich mir ein Fußballtor anschaue, dann ist in der Mitte bei mir ein grauer Fleck. Das heißt, ich sehe rechts und links die Pfosten. Und sehe bestenfalls noch was von unten.“

Straßenverkehr in Trier ist gefährlich für Sehbehinderte

Diese Beeinträchtigung macht es Palm-Stalp schwer, sich im Straßenverkehr zu orientieren. Auch in Trier, wo sie lebt. Das zeigt sich bei einem kurzen Spaziergang vom Dom bis zum Hauptbahnhof.

Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Ebenso wenig wie diese am Dom: Initiativen fordern daher, die Poller farblich zu kennzeichnen, etwa mit Graffiti oder mit Folien. Bild in Detailansicht öffnen
Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Diese Pfeiler hat die Stadt sogar erst kürzlich angeschafft. Sie sollen die Bürger vor Verbrechen wie der Amokfahrt schützen. Hätte man sie nicht trotzdem etwas bunter gestalten können? Bild in Detailansicht öffnen
Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Querungshilfen lassen sich auf Kopfsteinpflaster nur schwer mit dem Blindenstock ertasten. Bild in Detailansicht öffnen
Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Hier endet der Bürgersteig in einer Busspur. Blinde Menschen können das kaum wahrnehmen und laufen über die Straße weiter. Bild in Detailansicht öffnen
Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Sehbehinderte können nicht erkennen, wenn eine Ampel von rot auf grün springt. Sie brauchen akustische Signale. Aber längst nicht alle Trierer Ampeln sind umgerüstet. Bild in Detailansicht öffnen
Poller, Ampeln, Querungshilfen: Hier kann es für Sehbehinderte in der Stadt Trier gefährlich werden.  (Foto: SWR)
Am Hauptbahnhof gab es einmal sehr viele Zebrastreifen. Doch die Stadt hat sie, sehr zum Missfallen von Sehbehinderten, abfräsen lassen. Bild in Detailansicht öffnen

Denn auf diesen knapp 15 Minuten liegt schon gut ein Dutzend Gefahrenstellen für Sehbehinderte. Mal stehen graue Poller mitten im Gehweg wie am Bischof-Stein-Platz, mal geben die Ampeln keine akustischen Signale von sich wie in der Ostallee. Und Zebrastreifen gibt es laut Palm-Stalp auch zu wenige.

Blindenverband fordert mehr bunte Poller und vibrierende Ampeln

Helfen würde es, wenn die Pfosten bunt statt grau wären, sagt der der Blindenverband Pro Retina. Und alle Ampeln sollten vibrieren. Denn dann könnten Sehbehinderte sie wahrnehmen. Doch solche Anlagen gebe es bislang leider nur vereinzelt in der Stadt.

Bei über 100 von 348 Fußgängertastern fehlt nach wie vor eine sogenannte Blindenvibration. Das geht aus Angaben der Stadt hervor. Nur die Hälfte gibt ein akustisches Signal von sich. Und nur 17 Ampeln haben beide Funktionen.

Stadt kennt Schwachstellen seit Jahren

Sowohl die Ampel an der vielbefahrenen Ostallee als auch eine Anlage vor dem Hauptbahnhof geben allerdings überhaupt kein Signal von sich. "Da kann ich dann überhaupt nicht die Straße überqueren, ohne Gefahr zu laufen, überfahren zu werden", sagt Palm-Stalp.

Was die Triererin außerdem ärgert ist, dass die Schwachstellen im Rathaus schon lange bekannt seien. Und sich die Situation dennoch nicht verbessert habe. Im Gegenteil.

"Vor genau einem Jahr haben wir den Baudezernenten anlässlich des Tages der Sehbehinderten zu einem Spaziergang eingeladen. Doch seitdem hat sich die Lage für uns Sehbehinderte sogar noch verschlechtert."

Anti-Amok-Poller sind für Blinde "zusätzliche Barrieren"

Tatsächlich hatte Baudezernent Andreas Ludwig (CDU) bei dem Rundgang damals zugesichert, beim Ausbau des Straßenverkehrs in Trier künftig stärker auf Inklusion zu achten.

An einigen Stellen habe die Stadt sogar zusätzliche Barrieren aufgebaut. Ein Beispiel dafür seien die Anti-Amok-Poller. Die wurden nach der Amokfahrt angeschafft, um die Fußgängerzone künftig vor Anschlägen mit dem Auto zu schützen.

Rettungsdienste und Lieferanten haben einen Chip, der die Poller herunterfahren lässt, sodass diese hineinfahren können. (Foto: SWR, Andrea Meisberger)
Diese Poller sollen die Stadt Trier künftig vor Anschlägen schützen. Für Sehbehinderte sind sie allerdings Hindernisse.

Doch für Sehbehinderte sind die Pfeiler eine zusätzliche Stolperfalle. "Man hätte sie doch wenigstens farblich kennzeichnen können", ärgert sich Palm-Stalp: "Warum müssen die grau sein?"

Und dann seien da noch die vielen Zebrastreifen, die die Stadt hat abfräsen lassen, etwa am Hauptbahnhof. "Die haben uns wenigstens ein bisschen Sicherheit geboten", sagt die Sehbehinderte. Nun gebe es nur noch Querungshilfen auf die viele Autofahrer aber nicht achteten.

Pfosten werden nur bei Beschädigungen getauscht

Doch warum hat die Stadt ihre Zusagen nicht eingelöst? Die Verwaltung argumentiert mit Interessenkonflikten im Straßenverkehr aber auch mit einer Überbelastung des Amtes Stadtraum.

Der entsprechenden Abteilung sei es "bei der Vielzahl von Aufgaben nicht möglich, alle Poller in der Stadt proaktiv behindertengerecht zu markieren." Lediglich wenn die Poller beschädigt werden, würden sie ausgetauscht.

"Neben den Belangen für die sehbehinderten Menschen sind auch weitere Belange zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Verkehrssicherheit für alle anderen, technische und gesetzliche Regelwerke, die Stadtgestaltung sowie die Denkmalpflege."

Im Falle der Amokpfeiler wurde die "Stadtgestaltung" offenbar höher gewichtet als das Anliegen der Sehbehinderten, die Pfosten sichtbarer zu machen.

Marion Palm-Stalp zieht am Ende des Spaziergangs daher ein bitteres Fazit:

"Wir haben Poller, die nicht gekennzeichnet sind. Die Ampeln sind nicht verbessert worden. Ich bin wirklich enttäuscht und traurig, dass in einem Jahr so wenig möglich war."

Karlsruhe

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