Gut Avelsbach in den Weinbergen in Trier-Kürenz. (Foto: SWR)

Weingut und Gastro im Gut Avelsbach in Trier

Neue Job-Option für Menschen mit Behinderung

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Jan Teuwsen
Jan Teuwsen ist trimedialer Reporter, Redakteur und VJ im SWR Studio Trier (Foto: SWR)

TAGA in Trier verspricht spannende Arbeitsplätze für Behinderte in kleinen Strukturen. Damit ist TAGA Pionier im Land. Doch noch gibt es wenige Bewerber für die Jobs.

Noch sitzen Bernd Krieger und Volker Emmrich allein im großen Saal von Gut Avelsbach. Doch bald soll es hier deutlich lebhafter zugehen. Ein Projektor wirft die Präsentation ihres Vorzeigeprojekts TAGA e.V. auf eine Leinwand. Die Sozialunternehmer schaffen auf dem Weingut Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung: im Weinbau, im Laden und in der Gastronomie, in der Garten- und Landschaftspflege und in einer Ölmühle und Landbäckerei.

Volker Emmrich (l.) und Bernd Krieger stehen vor dem Hofladen von Gut Avelsbach. (Foto: SWR)
Volker Emmrich (l.) und Bernd Krieger stehen mit TAGA e.V. in den Startlöchern. Auch im Verkaufsladen von Gut Avelsbach soll es Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung geben.

Alternative zu Behindertenwerkstätten

Der Clou dabei: TAGA geht als sogenannter "anderer Leistungsanbieter" an den Start – der erste in Rheinland-Pfalz. "Andere Leistungsanbieter" sollen eine Alternative sein zu den etablierten Behindertenwerkstätten. Während die mit mindestens 120 Beschäftigten deutlich größer angelegt sind, sieht TAGA beispielsweise nur 18 Stellen vor. Entsprechend überschaubarer sind die Strukturen. In den jeweiligen Bereichen sollen nicht mehr als fünf Menschen mit Behinderung beschäftigt sein und eine Betreuungsperson.

Gut Avelsbach (Foto: SWR, Jutta Horn)
In Gut Avelsbach sollen Menschen mit Handycap in kleinen Teams gemeinsam mit ihren Betreuern arbeiten

Volker Emmrich, der TAGA-Vorstandsvorsitzende, sieht darin einen Vorteil gegenüber einer Behindertenwerkstatt: "Ich halte das für besser, wenn man so Schulter an Schulter arbeitet, als wenn man jetzt einen Betreuer hat und 25 Leute in einer Montage-Gruppe einer Behindertenwerkstatt. Da entsteht ein ganz anderes Verhältnis." Behinderte Mitarbeiter würden merken, dass sie weniger Klient seien als in einer großen Behinderteneinrichtung. Bei TAGA sollen sie Mitarbeiter in einem gemeinsamen Team sein.

"Da entsteht ein ganz anderes Verhältnis. Ich glaube, dass die Zufriedenheit damit auch steigt und dass auch der behinderte Mitarbeiter merkt, er ist genauso ein Mitarbeiter wie jeder andere auch. Und er wird nicht so als Klient gesehen wie in einer sehr großen Einrichtung."

Gesetz schafft neue Möglichkeit - Umsetzung stockt

TAGA, das steht für "Teilhabe an Arbeit im Gut Avelsbach". Basis des Konzepts als "anderer Leistungsanbieter" ist das Bundesteilhabegesetz von 2018. Das will mehr Möglichkeiten zur Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen schaffen - unter anderem mit individuelleren Arbeitsmöglichkeiten. Doch mit der Umsetzung hapert es stellenweise noch. Was die "anderen Leistungsanbieter" anbelangt, gab es in Rheinland-Pfalz nach Angaben des Sozialministeriums bislang noch keinen. Deutschlandweit sieht es offenbar nur wenig besser aus: Bei der "Bundesarbeitsgemeinschaft für unterstützte Beschäftigung" schätzt man die Zahl an Arbeitsplätzen bei den "anderen Anbietern" auf knapp tausend.

Demgegenüber stünden 320.000 Arbeitsplätze in Behinderten-Werkstätten, sagt Martin Bickel. Er befasst sich bei der Bundesarbeitsgemeinschaft schwerpunktmäßig mit der Thematik. Während Behindertenwerkstätten etabliert seien, stießen "andere Leistungsanbieter" bei den Behörden vielerorts noch auf Skepsis. Teils würden sie als ungewollte Konkurrenz gesehen. Die Zulassungsverfahren beschreibt er als schwierig, stellenweise zermürbend.

Berliner Weinmillionär unterstützt

Dass sie mit TAGA in Trier trotzdem den Versuch wagen, sich als erster "anderer Leistungsanbieter" in Rheinland-Pfalz zu etablieren, wäre ohne einen privaten Unterstützer kaum denkbar. Peter Antony, in Schweich aufgewachsen, in Berlin als Weinmessenveranstalter und -vermarkter zu Vermögen gekommen, hat Gut Avelsbach 2020 vom Land gekauft und führt es als Weinbaudomäne mit Gastronomie und Ladenverkauf weiter. Die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung sind gewissermaßen ein zusätzliches Steckenpferd.

"Bis jetzt ist die Finanzierung komplett über Herrn Antony gesichert, und den gesamten Rahmen von Gut Avelsbach stellt er natürlich zur Verfügung", sagt der TAGA-Vorstandsvorsitzende Volker Emmrich. Ein Startvorteil, den andere so sicher nicht haben. Peter Antony und Volker Emmrich kennen sich seit der Schulzeit. Und Emmrich und TAGA-Leiter Bernd Krieger waren vorher beim DRK Sozialwerk in Bernkastel-Kues. Sie wissen also im Sozialrecht Bescheid und haben über Jahrzehnte mit behinderten Menschen gearbeitet. Dank ihrer Kontakte kann TAGA zum Start auch mit den sonst dünn gesäten Fachkräften aufwarten, die es für die Betreuung braucht.

Arbeitskräfte gesucht

Jetzt kommt es für TAGA vor allem darauf an, dass Menschen mit Behinderung von den neuen Beschäftigungsmöglichkeiten erfahren. Denn nur für besetzte Stellen weisen die Behörden entsprechende Sätze an, die es braucht, damit der Betrieb sich rechnet. Was TAGA später mal über Wein- und Brotverkauf und Aufträge für die Gartenpflege einnimmt, wird größtenteils an die behinderten Beschäftigten ausbezahlt und stockt deren gesetzlichen Grundlohn entsprechend auf.

Vier Interessierte haben gerade in der Landschaftspflege ein Praktikum begonnen. "Die ersten Mutigen nehmen mit uns Kontakt auf. Wir sind aber noch entfernt davon, überrollt zu werden", sagt Bernd Krieger. Dabei ist Mut ein entscheidendes Stichwort. Kriegers Wahrnehmung ist, dass, wer etwa schon einen Platz in einer etablierten Behindertenwerkstatt hat, den nicht leicht aufgibt - schließlich geben feste Strukturen auch Stabilität. "Sehr viele Menschen mit Beeinträchtigungen sind auch sicherheitsliebend."

Deshalb wollen sie bei TAGA Ängste nehmen. Schließlich handelt es sich bei "anderen Leistungsanbietern" um Angebote, für die ähnliche Anforderungen gelten wie für Behindertenwerkstätten. So gelte immer auch der Gedanke des Beschützens, sagt Bernd Krieger. Jeder, der mal einen schlechten Tag hat, könne sich bei TAGA genauso zurückziehen wie in einer Behindertenwerkstatt.

"Wenn kein guter Tag ist, dann bedeutet das auch, dass die Person sich zurückziehen kann, dass es auch Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten gibt. Das gilt für uns als 'anderen Leistungsanbieter' genauso wie für eine Behindertenwerkstatt."

Auch ein Zurück in eine Behinderten-Werkstatt sei möglich. Werkstätten sind nämlich zur Aufnahme von Menschen mit Behinderung, die einen Werkstattstatus haben, verpflichtet. TAGA dagegen entscheide als "anderer Leistungsanbieter" selbst, wer angestellt wird, sagt Bernd Krieger: "Das müssen Menschen sein mit gewissen Grundinteresse und Fähigkeiten in diesem Bereich. Verhaltensauffälligkeiten kriegen wir durch die Überschaubarkeit der Arbeitsbereiche und der kleinen Gruppe gut in den Griff. Aber die Voraussetzung ist schon, dass die Personen wirtschaftlich verwertbar arbeiten können."

Trotzdem sei das Ziel nicht unbedingt, dass die Menschen mit Handicaps ihr ganzes Arbeitsleben bei TAGA verbrächten, sagt Bernd Krieger: "Wenn jemand sich entwickelt und stabiler wird, vielleicht mehr Fundament unter den Füßen hat, ist es auch das Ziel zu schauen, ob die Person nicht übers Budget für Arbeit noch weiter in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden kann."

Für die Zukunft zuversichtlich

In der aktuellen Anlaufphase setzen sie bei TAGA darauf, das Umfeld vom Konzept des "anderen Leistungsanbieters" zu überzeugen. Es brauche Zeit, bis sich Strukturen änderten und die Alternativen bei Behörden, Betreuungspersonen und Menschen mit Behinderung in Betracht kämen. Volker Emmrich von TAGA gibt sich optimistisch:

"Wenn die ersten Menschen zu uns kommen und sich bei uns wohlfühlen, wovon wir fest ausgehen, wird sich das wahrscheinlich von allein dynamisieren."

Und sein Kollege Bernd Krieger prophezeit: "Wir sind vielleicht jetzt mit TAGA noch die Speerspitze für Rheinland-Pfalz. In fünf bis sieben Jahren werden wir eine ganz andere Landschaft haben, mit deutlich mehr 'anderen Leistungsanbietern' so nah am regulären Arbeitsmarkt wie möglich."

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