Mitten in der Nacht durch einen düsteren Wald fahren - für viele ist das eine Horrorvorstellung. Die rund 40 Jäger hingegen, die sich an diesem Abend auf dem Parkplatz am Hunsrückhaus treffen, haben sich dafür sogar freiwillig gemeldet. Bis 3 Uhr morgens wollen sie den Nationalpark durchkämmen und schauen, welche Tiere sich im Dickicht verbergen.
Die Aufgabe ist ambitioniert: Die Jäger sollen mit ihren Autos ein Gelände von 40.000 Hektar absuchen und alle Tiere zählen, die ihnen begegnen. Auch das ungefähre Alter und Geschlecht sollen sie sich notieren. Anja Schneider vom Wildtiermonitoring im Nationalpark Hunsrück-Hochwald interessiert sich vor allem dafür, wie viel Rotwild in der Gegend unterwegs ist. Denn: "Das Rotwild verbeißt zum Beispiel junge Bäume und richtet Schäden an."

Nationalpark lässt jedes Jahr das Rotwild zählen
Der Nationalpark veranstaltet deshalb jedes Jahr Scheinwerferzählungen, um sich einen Überblick über das Rotwild zu verschaffen. "Wenn die gleichen Teams immer die gleichen Routen fahren, bekommen wir vergleichbare Zahlen und über die Jahre zeigt sich ein Trend", sagt Anja Schneider. Seit einiger Zeit steigt die Population der Hirsche in und um den Nationalpark leicht an. Wenn sie nach Ansicht der Jäger Überhand nehmen, wird mehr geschossen.

Andernorts sammeln Forscher Kotproben ein und lassen die DNA analysieren - was deutlich länger dauert und teurer ist. Die Scheinwerferzählung ist hingegen simpel, günstig und trotzdem recht genau. Und Probleme, Freiwillige zu finden, gibt es auch nicht. Die Jäger sind genügsam. Mit ein bisschen Kaffee sind sie schon zufrieden. Jonathan Kuhn, der Leiter des Hunsrückhauses, spendiert eine Runde: "Ich hab jetzt mal eine Kanne pro Auto eingepackt. Nachschub ist natürlich unterwegs schwierig zu organisieren, aber da müssen wir halt die Zähne zusammenbeißen."
Hirsche bleiben oft geblendet stehen
Anja Schneider packt derweil das Auto. Was man so alles braucht, wenn man sich die Nacht im Wald um die Ohren schlagen will: Scheinwerfer natürlich, eine Karte mit der jeweiligen Strecke und ein Fernglas. Alles drin? Dann kann's ja losgehen. In Vierer-Gruppen steigen die Jäger in neun Geländewagen. Jeweils zwei sitzen hinten und leuchten mit Scheinwerfern aus den Fenstern.
Der Wissenschaftler Ulf Hettich von der Forschungsanstalt für Waldökologie nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Mit einem Klemmbrett will er protokollieren, welche Tiere die Jäger entdecken. Dabei macht er sich das Verhalten der Hirsche zunutze. "Tatsächlich werden die stark geblendet im Scheinwerferlicht. Und müssen sich dann neu orientieren", sagt Hettich. Manchmal bleiben sie dann sekundenlang stehen und starren vor sich hin.

Tiere zwischen dem Totholz nur schwer zu erkennen
Vom Hunsrückhaus biegt Anja Schneider auf einen holprigen Waldweg Richtung Börfink ab. Sie fährt langsam, trotzdem wird der Wagen ordentlich durchgeschüttelt. Mit den Scheinwerfern schwenken die Jäger durch den Wald. Die ersten Minuten: Nichts. Doch es sind ja noch ein paar Stunden Zeit.

Bald wirkt der Wald gespenstisch, abgebrochene Baumstämme ragen aus dem Dornengestrüpp, kahle Äste sehen aus wie Gerippe. Für diese Zerstörung sind aber nicht die Hirsche verantwortlich, sondern ein viel kleineres Tierchen: der Borkenkäfer.
Für Forscher sind diese Baumruinen eine Herausforderung. Denn im Totholz kann sich das Wild leicht verstecken, die Scheinwerfer dringen kaum durchs Gestrüpp. Doch hin und wieder blitzt dann doch ein Augenpaar in der Dunkelheit auf. Es sind Hirsche. Manche starren wie gebannt ins Licht, andere verschwinden sofort im Dickicht und zeigen nur ihre weißen Hintern.
Etwas mehr Tiere als im vergangenen Jahr entdeckt
Nach zwei Stunden macht das Team eine kurze Pause. Die erste Bilanz: die Forscher konnten nur 16 Tiere entdecken. Enttäuschung macht sich bei Anja Schneider trotzdem nicht breit: "Es war eigentlich klar, dass wir jetzt im Wald nicht so viel entdecken können. Der Scheinwerfer kann im Offenland viel weiter leuchten. Und von dem her sieht man halt die Tiere viel besser."

Population des Rotwilds bleibt stabil
Also ab über die Felder. Und da stehen sie dann auch, die großen Rudel. Dutzende Geweihe im Scheinwerferlicht: ein majestätischer Anblick. 140 Stück wird das Team in dieser Nacht zählen und auch ein paar Füchse, Wildschweine und Rehe. Nur die Wildkatze lässt sich auch bis 3 Uhr am Morgen nicht blicken.

Die anderen Suchtrupps hatten da mehr Glück. Vier Mal konnten die neun Teams das Wappentier des Nationalparks insgesamt erspähen. Und die Rotwild-Population? Stabil, sagen die Wissenschaftler. 860 Tiere wurden gesichtet, etwa 40 mehr als im vergangenen Jahr. Nächste Woche wollen die Forscher aber noch zu einer weiteren Nachtschicht aufbrechen.