Jan-Christoph Czichy, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes Eifel-Mosel-Hunsrück, vor einem Rettungswagen. (Foto: SWR, Anna-Carina Blessmann)

Schließung der Inneren Medizin Gerolstein gefährdet Notversorgung

DRK-Leiter: "Man zieht im Gesundheitssystem einen Stecker und das hat Folgen"

Stand
INTERVIEW
Anna-Carina Blessmann

Die Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus Gerolstein schließt, die Patienten könnten anders gut versorgt werden, sagt die Betreiberin. Aber stimmt das auch für den Rettungdienst?

Es kam überraschend für alle Beteiligten: Die Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus Gerolstein schließt zum 1. April. Das hat die Betreiberin, die Marienhaus-Gruppe Mitte Februar verkündet. Mitarbeitende und örtliche Politik fürchten nun um die internistische Versorgung der Menschen rund um Gerolstein.

Jan-Christoph Czichy, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes Eifel-Mosel-Hunsrück, vor einem Rettungswagen. (Foto: SWR, Anna-Carina Blessmann)
Jan-Christoph Czichy, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes Eifel-Mosel-Hunsrück, ist für die DRK-Standorte in Daun, Gerolstein, Jünkerath, Kelberg, Bernkastel, Morbach, Traben-Trarbach, Wittlich, Manderscheid und Thalfang zuständig.

Was potentiellen Patienten aber wahrscheinlich nicht klar ist: Auch wenn die Marienhaus-Gruppe den Notarztstandort am Krankenhaus nach eigener Aussage nicht antasten will, könnte sich bald die Notfallversorgung in der Region rapide verschlechtern. Das sagt der Leiter des Rettungsdienstes Deutsches Rotes Kreuz (DRK) Eifel-Mosel-Hunsrück, Jan-Christoph Czichy, im Interview mit SWR Aktuell.

SWR Aktuell: Herr Czichy, laut Rettungdienstgesetz Rheinland-Pfalz müssen alle Orte an einer öffentlichen Straße innerhalb von 15 Minuten von einem Rettungswagen erreicht werden können - schaffen Sie das in der Region rund um Gerolstein im Moment?

Jan-Christoph Czichy: Am Standort Gerolstein selbst haben wir einen Notarzteinsatzwagen mit einem Notarzt und einem Notfallsanitäter. Gerolstein bildet mit den Rettungswachen in Jünkerath und Kelberg ein Dreieck. Dazu kommt ein Notfallkrankentransportwagen, der mittlerweile von Gerolstein nach Walsdorf in die Mitte dieses Dreiecks verschoben wurde.

Also zurzeit sind wir ganz knapp dabei, die Frist gerade so einzuhalten. Nach Corona hat sich die Menge der Einsätze für den Rettungsdienst nämlich stark erhöht, wir reden hier von 20 Prozent. Darauf war das System nur knapp eingestellt. Durch den Standort in Walsdorf können wir die Hilfsfrist im Moment einhalten.

SWR Aktuell: Können Sie die Hilfsfristen denn auch noch einhalten, wenn am Gerolsteiner Krankenhaus die Abteilung für Innere Medizin zum 1. April schließt?

Czichy: Wenn es keine Innere Medizin mehr gibt - und wir wissen heute, dass eine Vielzahl unserer Patientinnen und Patienten Erkrankungen für eine innere Medizin haben oder zu befürchten ist, dass sie diese haben - dann können wir dort nicht mehr hinfahren. Das heißt, alleine schon für Patienten mit internistischen Erkrankungen werden wir woanders hinfahren müssen.

Gerolstein

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Man kann sich das leicht vorstellen: Der Rettungswagen aus Gerolstein hat einen Einsatz in Gerolstein. Er kann mit dem Patienten aber nicht mehr das Krankenhaus in Gerolstein anfahren, sondern muss zum Beispiel nach Daun.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Hilfsfrist von 15 Minuten überschreiten, steigt signifikant an. Und zwar sofort."

Dann passiert wieder ein Notfall in Gerolstein. Der Rettungswagen von dort ist aber nach Daun unterwegs und stattdessen muss der RTW aus Jünkerath kommen. Das schafft der vielleicht gerade so in 15 Minuten. 100 Meter auf der anderen Seite der Stadt Gerolstein schafft er das aber schon nicht mehr.

Rettungswagen könnte ab April zu spät beim Notfall sein

Und das ist der Punkt: Je mehr Rettungsmittel gebunden sind, desto schwieriger ist es, ein Fahrzeug in der richtigen Zeit zum Notfall zu bringen. Und je länger die Fahrzeit eines Rettungsmittels zum Krankenhaus ist, desto länger ist es auch abwesend. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Hilfsfrist von 15 Minuten überschreiten, steigt signifikant an. Und zwar sofort. Also in unserem Fall ab dem 1. April.

SWR Aktuell: Wie sähe denn ein Szenario für einen Notfall in Gerolstein ab dem 1. April aus?

Czichy: Wenn es sehr schlecht liefe, dann könnten kurzfristig die Eintreffzeiten im Rettungsdienst steigen. Das wäre nicht so gut, denn nach drei Minuten kann es bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand schon Schäden bei Patientinnen und Patienten geben. Weil die Sauerstoffunterversorgung nicht kompensiert werden kann.

Deswegen ist der Rettungsdienst ja so wichtig, weil er sehr schnell sein muss. Trotzdem werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um eine Verschlechterung zu verhindern. Das wird schwierig, aber nicht unmöglich.

SWR Aktuell: Welche Lösungen gäbe es?

Czichy: Bei der Hilfsfrist von 15 Minuten kann es aufgrund der Distanzen in der Vulkaneifel und auch sonst in Rheinland Pfalz immer zu Überschreitungen kommen. Deswegen müssen die 15 Minuten nur in 95 Prozent der Fälle eingehalten werden.

Schafft man das nur in 94 Prozent der Fälle, muss man aber eine Maßnahme ergreifen. Das wird bei uns geplant und überwacht von der Kreisverwaltung Trier-Saarburg, die für einen der acht Rettungsdienstbereiche in Rheinland-Pfalz zuständig ist.

Personalmangel bei Notfallsanitätern

Fakt ist: Auf uns kommt eine neue Situation ab 1. April zu und wir haben ganz wenig Vorlaufzeit, um uns dem irgendwie zu stellen. Und auch im Rettungsdienst gibt es einen massiven Fachkräftemangel. Wenn wir von der Kreisverwaltung verpflichtet werden, zum Beispiel einen zusätzlichen Rettungswagen zu stellen, dann werden wir sagen müssen, dass wir in dieser Zeit dieses Personal dazu nicht beschaffen können, weil es das nicht gibt.

Es gibt vielleicht 100 unbesetzte Planstellen in ganz Rheinland-Pfalz für Notfallsanitäterinnen und -sanitäter und die Nachqualifizierung solcher Mitarbeitenden geht nicht von jetzt auf gleich. Das dauert drei Jahre. Deswegen hätten wir uns gewünscht, dass wir einen guten Vorlauf haben und dass das Ganze zwischen Marienhaus-Gruppe und DRK besprochen und entwickelt wird, damit sich auch die daran hängenden Systeme entsprechend vorbereiten können.

"Man zieht im Gesundheitssystem an einer Stelle einen Stecker und das hat an anderer Stelle Folgen."

Dass jetzt wegen einer wirtschaftlichen Entscheidung der Marienhaus GmbH - ob die jetzt richtig oder falsch ist, das können wir nicht beurteilen - wir mit dem Rettungsdienst nachlegen müssen, das finden wir ganz schwierig. Weil man in dem Gesundheitssystem an einer Stelle einen Stecker zieht und das an anderer Stelle Folgen hat.

SWR Aktuell: Wie wollen Sie das Problem denn ohne weiteres Personal in Zukunft lösen?

Czichy: Wir haben zwei, drei Ideen bei der Kreisverwaltung vorgelegt. Möglicherweise müssen wir umorganisieren. Aber unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten heute schon in der 45-Stunden-Woche. Das heißt, wir haben da keine großen Puffer.

Also werden wir die Kolleginnen und Kollegen, die in Teilzeit arbeiten, vielleicht bitten müssen, ihre Anteile zu erhöhen, also mehr Stunden zu arbeiten. Das heißt, die Schließung der Inneren führt bei uns zu Mehrarbeit, weil wir nicht mehr Menschen haben, und das ist eine Belastung.

Bespuckt, bepöbelt, beleidigt: Belastungen im Rettungsdienst

SWR Aktuell: Wie groß ist denn die Belastung aktuell schon für den Rettungsdienst?

Czichy: Ein Beispiel: Es ist Mittwochnacht, 3:30 Uhr. Die Kollegen sind bei einem Blutdruck von 110 zu 70. Dann geht der Melder. Wir haben das schon einmal mit einem Blutdruckmessgerät ausprobiert: Der Blutdruck steigt sofort auf 160 zu 100.

Das Adrenalin macht die Menschen sofort wach und das ist nachts um 3:30 Uhr einigermaßen anstrengend. Dann muss man innerhalb von 120 Sekunden nach der Alarmierung unten im Fahrzeug sitzen und mit Blaulicht aus der Halle gefahren sein. In der Nacht und vielleicht auf gefrorenen Straßen etwa zu einem kindlichen Notfall zu fahren, ist eine unfassbare Stressbelastung.

"Wir sind jederzeit bereit, Leib und Leben für andere einzusetzen."

Die andere Belastung ist diejenige, dass die Rettungskräfte bespuckt, bepöbelt, angemacht werden. Wir hatten kürzlich einen Fall, wo auf einen meiner Kollegen ein Messer geworfen wurde. Wir als Rettungsdienst sind jederzeit bereit, unser Leib und Leben für andere einzusetzen.

Aber dann beschimpft zu werden ... Oder auch missbraucht zu werden: Wir holen Menschen mit dem Rettungswagen ab, die laden wir dann vorm Krankenhaus aus und dann bedanken die sich und gehen weg und holen sich Zigaretten.

Schon jetzt läuft nicht alles gut

SWR Aktuell: Gab es denn neben diesen Problemen auch zuvor schon Probleme in der Zusammenarbeit zwischen der Marienhaus-Gruppe, also dem Krankenhaus Gerolstein, und dem DRK?

Czichy: Das Krankenhaus Gerolstein soll über 365 Tage im Jahr für 24 Stunden den Notarzt in Gerolstein stellen. Die organisatorische Idee dahinter ist, dass das jemand ist, der im Krankenhaus Dienst tut und zum Beispiel Berichte schreibt. Wenn dann ein Alarm kommt, sitzt er innerhalb von 60 Sekunden tagsüber oder 120 Sekunden nachts im Fahrzeug und ist auf der Straße. Soweit die Theorie.

Tatsächlich hat das Krankenhaus in Gerolstein schon seit einiger Zeit nicht mehr genügend ärztliches Personal mit der Fachkunde für den Rettungsdienst. Weswegen wir als Deutsches Rotes Kreuz heute schon einen Teil der Ärzte besorgen. Wir haben zwei niedergelassene Ärzte in Gerolstein, die nach Feierabend den Notarztdienst fahren.

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Ein weiterer Punkt: Wenn Krankenhäuser schon überlaufen sind, dürfen sie sich bei der Rettungsleitstelle kurzfristig als belegt melden. Unser Rettungswagen muss dann zu einem anderen Krankenhaus geleitet werden, damit wir nicht vor einer schon überlaufenen Notaufnahme stehen und unsere Patienten nicht mehr einer Ärztin oder einem Arzt übergeben können.

Sorge: Könnte auch die Notaufnahme schließen?

Und unsere Wahrnehmung zuletzt war, dass die Kapazitäten dort schon auch aufgrund der Größe des Krankenhauses relativ schnell erreicht waren. Dann haben wir schwere Fälle ganz oft sowieso woanders hingebracht.

SWR Aktuell: Haben Sie also Sorge, dass nach der Chirurgie und der Inneren Medizin auch die Notaufnahme am Krankenhaus Gerolstein bald schließt - obwohl die Marienhaus-Gruppe etwas anderes sagt?

Czichy: Das Krankenhaus in Gerolstein, also die Marienhaus GmbH, hat einen Versorgungsauftrag vom Land Rheinland-Pfalz bekommen. Die Bedarfsplanung des Landes für die Krankenhäuser ist zuletzt 2018 geändert worden für die Jahre 2019 bis 2025. Und daraus ergibt sich unter anderem, dass das Krankenhaus in Gerolstein auch die notärztliche Versorgung stellen muss.

Die Ärzte, die bereitgestellt werden und 8760 Stunden im Jahr sicherstellen müssen, speisen sich aber aus der Gruppe der Menschen, die entweder Anästhesisten oder Unfallchirurgen sind oder in der Inneren Medizin arbeiten. Das sind immer Menschen mit einer Zusatzqualifikation für Notfallmedizin. Diese Menschen werden in Gerolstein zukünftig weniger werden, wenn die Innere geschlossen wird.

Damit sinkt unweigerlich der Zugriff auf Menschen, die das Notfalleinsatzfahrzeug besetzen können. Zusätzlich ist eine Ärztin aus der Notaufnahme gerade in Ruhestand gegangen. Das befeuert nicht unsere Euphorie, dass es da gleich bleibt oder besser wird in nächster Zeit.

Gerolstein

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