Interview Klaus Jensen Stiftung (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Efrem Lukatsky dpa)

Organisation in Trier ausgezeichnet

Friedens-Aktivistin: "Frauen leiden unendlich unter diesem Krieg"

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Martin Schmitt
Martin Schmitt am Mikrofon (Foto: SWR)

Die Organisation "Friedensfrauen weltweit" hat am Freitag in Trier den Versöhnungspreis der Klaus Jensen Stiftung bekommen. Im SWR-Interview spricht die Präsidentin Ruth-Gaby Vermot über Frauen in Russland und die Bedeutung des Kopftuchs für muslimische Frauen.

Ruth-Gaby Vermot ist Präsidentin von "Peace Women Across the Globe" (Foto: SWR)
Ruth-Gaby Vermot ist Präsidentin von "Peace Women Across the Globe". Die 81-jährige Schweizerin war Mitglied des Europarates und des Schweizer Nationalrates.

SWR Aktuell: Frau Vermot, seit Monaten herrscht Krieg in der Ukraine und ein Ende ist nicht in Sicht. Sie haben sogenannte Frauen-Friedenstische mit russischen und ukrainischen Frauen organisiert und sprachen von "sehr berührenden und aufwühlenden" Gesprächen. Warum?

Ruth-Gaby Vermot: Viele Frauen in Russland leiden unendlich unter diesem Krieg. Diese Demütigung, dass jetzt ihr Volk das ukrainische Volk bedrängt, bekämpft und tötet. Sie fühlen sich auch schuldig. Die russischen Frauen kamen mit einer großen Last an Schuld zu diesen Gesprächen - und diese Schuld zu tragen ist unendlich schwer, das hat man gesehen.

"Es gibt viele Frauen in Russland, die diesen Krieg nicht wollen."

Die russischen Frauen haben sich bei den ukrainischen Frauen entschuldigt, sie haben sich in die Arme genommen und gesagt: Das wollten wir nicht und wir konnten das nicht verhindern! Das waren zum Teil auch Mütter russischer Soldaten. Die haben sich öffentlich gegen diesen Krieg ausgesprochen, damit ihre Söhne nicht in die Armee müssen und damit ihre Söhne keine Ukrainerinnen und Ukrainer töten müssen.

Diese Frauen haben sich gegenseitig versprochen, dass sie diesen Krieg so schnell wie möglich beenden wollen und sich auch dafür einsetzen - überall dort, wo sie Einfluss nehmen können.

SWR Aktuell: Sich in Russland öffentlich gegen den Krieg zu äußern, ist lebensgefährlich. Was hören Sie von Frauen in Russland, die den Krieg ablehnen?

Vermot: Innerhalb Russlands frei über den Krieg zu berichten, ist sehr, sehr schwierig und gefährlich. Das sagen uns viele Frauen. Aber es tut sich etwas. Man hat oft immer noch das Bild, das russische Frauen 'Mütterchen' sind - das stimmt natürlich überhaupt nicht. Die Frauen in Russland - gerade die jungen Frauen - sind sehr aktiv in Sozialen Netzwerken im Internet. Die wissen, wie man sich vernetzt.

Was wir mitbekommen ist, dass es große Aufruhr in diesen Netzwerken gibt. Ich glaube, das ist auch eine Bedrohung für die russische Regierung und für Putin. Putin kann diesen jungen Frauen nicht entgehen. Diese Frauen haben eine ganz andere Richtung eingeschlagen als Putin. Viele Frauen in Russland sagen uns auch: Wendet euch nicht ab und lasst uns im Gespräch bleiben. Brecht die Kommunikation nicht ab!

Ruth-Gaby Vermot im Gespräch mit Klaus Jensen. (Foto: SWR)
Ruth-Gaby Vermot im Gespräch mit Klaus Jensen.

SWR Aktuell: Haben Frauen in Russland Angst, dass ihnen etwas passieren könnte, wenn sie sich kritisch zum Krieg äußern?

Vermot: Also, da gibt es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wer sich äußert, der wird mundtot gemacht oder zum Schweigen gebracht. In vielen Fällen haben Frauen ja auch Familie und sie haben Angst vor diesen Bedrohungen. In solchen Ländern braucht es unendlich viel Mut und Kraft, sich dieser Bedrohung, die von der Regierung kommt, zu widersetzen.

Es braucht unendlich viel Ausdauer. Ich muss mich jeden Tag wieder dieser Gefahr aussetzen, erschossen, ins Gefängnis geworfen zu werden, gefoltert zu werden. Das braucht Mut und das kann man nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln und sagen: Jetzt gehe ich auf die Straße. Es bedroht mein Leben dort. Es ist kein Spiel oder ein politisches Zeichen, das man setzt. Es ist sehr, sehr viel mehr, was es an Mut und Überzeugung abfordert von den Frauen, die so etwas machen.

SWR Aktuell: Haben Sie den Eindruck, dass sich in Russland eine Oppositionsbewegung bildet oder sind das alles nur kleine Strohfeuer?

Vermot: Im Moment gibt es verschiedene kleine Brände, aber noch keinen Flächenbrand. Aber ich bin davon überzeugt - jetzt, nach der Teilmobilmachung lassen sich die Menschen nicht mehr einfach so zum Schweigen bringen. Ich habe die große Hoffnung, dass ein solcher Flächenbrand entstehen kann.

Wenn die russische Zivilgesellschaft aufsteht, dann müssen aber auch die westlichen Regierungen bereit sein, Gespräche zu führen. Man darf diese Menschen dann nicht im Stich lassen. Krieg kann man nicht mit Waffen beenden. Kriege können nur mit Gesprächen beendet werden - und wenn diese Gespräche nicht stattfinden und wenn da die Frauen nicht dabei sind, dann werden es ewige Kriege.

Trier

Hoffnung auf Freiheit Exil-Iraner aus Trier über Proteste: "Wir sind alle Mahsa Amini“

Nima Haghighi ist aus dem Iran geflohen. Er berichtet über Social Media von den Protesten im Iran. Die hatten sich am Tod einer jungen Frau entzündet, die wegen eines Sittenverstoßes verhaftet wurde und starb.

Aktuell um 12 SWR1 Rheinland-Pfalz

SWR Aktuell: Sprechen wir noch über ein anderes Thema: Im Iran gehen nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini weiterhin Tausende Menschen auf die Straße. Die Frau war im Gewahrsam der Sittenpolizei gestorben - sie soll ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben. Wie stehen Sie mit Ihrer Organisation eigentlich zum Thema Kopftuch? Steht es für Unfreiheit und Unterdrückung oder kann es auch als Symbol der Freiheit gelten?

Vermot: Was mich am meisten ärgert, ist, dass jetzt die rechten Parteien wie die AfD plötzlich frauenfreundlich werden und sagen: Die Frauen werden unterdrückt und das Kopftuch muss weg. Die Frage lautet doch: Ist das wirklich ein Zeichen der Unterdrückung und müssen wir diese Frauen befreien?

"Das ist ein unglaubliches Dilemma. Ich finde es wichtig, dass wir den Frauen zuhören."

Die Frauen, die jetzt im Iran auf die Straße gehen und sich die Haare abschneiden, diesen Frauen müssen wir zuhören. Diese Frauen sagen: Wir wollen das Kopftuch nicht mehr. Es ist für uns ein Zeichen der Unterdrückung. Wir müssen die deutliche und klare Stimme dieser Frauen mittragen.

Ich glaube, hier in Westeuropa müssen wir die Frauen fragen: Wollt ihr das Kopftuch als Symbol weglegen? Wenn ja, dann sollten wir diesen Frauen helfen. Ich habe mich sehr schwergetan mit dieser Frage. Es ist eine feministische Frage, die man nicht so einfach beantworten kann.

Krieg in der Ukraine (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/Ukrinform)

Zwei Jahre Krieg Krieg gegen die Ukraine - Ein Dossier

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt weiterhin seinen Schrecken. Die Auswirkungen des Krieges sind auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz spürbar.

Mainz

Solidarität zeigen Demonstration in Mainz: Für Freiheit und Demokratie im Iran

Der Tod einer 22-jährigen Frau führt im Iran zu lauten Protesten. In Rheinland-Pfalz zeigen sich Menschen solidarisch - so auch am Montagabend in Mainz vor dem Staatstheater.

Am Morgen SWR4 Rheinland-Pfalz