Eva Franz ist promovierte Bildungswissenschaftlerin an der Universität Trier. Sie ist Mitglied des Bundesvorstands des Grundschulverbandes. Der Fachverband für Grundschulpädagogik tritt nach eigenen Angaben aktiv für ein Bildungssystem ein, das sich an den Bedürfnissen aller Kinder orientiert.

SWR Aktuell: Ab 2026 haben alle Erstklässler in Rheinland-Pfalz einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Die Konzepte dafür sind unterschiedlich. Sie reichen von einer pädagogischen Ausrichtung bis hin zu offenen Konzepten. Was halten Sie als Bildungswissenschaftlerin davon?
Dr. Eva Franz: Das Thema ist sehr komplex und es gibt keine einfache Antwort darauf. Grundsätzlich gilt aber die Frage: Wie verstehen wir eine ganztägige Bildung für Kinder? Mit einer guten Struktur und vor allen Dingen einer guten Verknüpfung des klassischen schulischen Lernens am Vormittag mit den eher spielerisch betreuenden Angeboten am Nachmittag, die wir aus den Horten oder den Kindertagesstätten kennen.
Konzepte sind meist teuer und personalintensiv.
Wichtig finde ich, dass hinter den Konzepten immer der Gedanke einer chancengerechten Bildung steht. Denn in Deutschland ist es immer noch so, dass der schulische Erfolg der Kinder stark vom Elternhaus abhängig ist. Das zeigen uns die Studien.
FAQ: Was Eltern wissen sollten Ganztagsbetreuung an Grundschulen in RLP – Was gilt ab 2026?
Ab August 2026 sollen Grundschüler in Rheinland-Pfalz ein Recht auf Ganztagsbetreuung haben. Was das bedeutet? Die Antworten dazu gibt's hier.
Es braucht Ressourcen an Personal und Räumen
Franz: Deshalb sage ich als Bildungswissenschaftlerin, dass ganztägige Bildung erst einmal sehr gut ist. Dabei werden die Eltern entlastet und Kinder aus Familien, die ihren Kindern schulisch keine große Unterstützung bieten können, bekommen am Nachmittag, in der verlängerten Betreuung, entsprechende Hilfe.
Dazu braucht es allerdings Räume für Kinder, die geeignet sind, dass Kinder dort auch stressfrei lernen können. Aber auch Räume für Entspannungsphasen, wie freies Spielen zum Beispiel. Da gibt es bereits gute bereits praktizierte Konzepte. Aber das gelingt nicht kostenneutral. Es braucht Ressourcen an Personal und Räumen.
Rechtsanspruch gilt ab Schuljahr 2026/27 Grundschule in Höhr-Grenzhausen zeigt, wie Ganztagsschule gelingen kann
Viele Grundschulen in RLP sind überfordert: Ab Herbst 2026 müssen sie eine achtstündige Betreuung anbieten. An der Goethe-Grundschule in Höhr-Grenzhausen im Westerwald ist das schon lange Alltag.
SWR Aktuell: Gewährleistet das Gesetz sinnvolle, pädagogische Konzepte für die Ganztagsbetreuung an den Grundschulen?
Franz: Das Gesetz ist erst einmal ein Gesetz. Dieses sagt aus, dass bis zu einer gewissen Uhrzeit eine Betreuung angeboten wird. Es sagt allerdings nichts darüber aus, wie diese Betreuung ausgestaltet wird. Es gibt tolle Einrichtungen, die auch mit wenig Mitteln kreative Ideen entwickeln.
Der Rechtsanspruch heißt nicht automatisch, dass er überall auch kostenfrei für die Eltern ist.
Und es ist bei dem Gesetz natürlich wieder eine Frage: Wer übernimmt dafür die Kosten? Das heißt, neben Land und Bund sind auch die Kommunen in der Pflicht. In dem Zusammenhang werden auch Elternbeiträge diskutiert. Der Rechtsanspruch heißt nicht automatisch, dass er überall kostenfrei ist für die Eltern. Ich denke, Ideen gibt es und ich glaube, da sind wir jetzt alle gefordert. Wenn wir das alle gut umsetzen wollen, sollten wir alle ein Stück weit mit den Schulen zusammen auch mal "um die Ecke denken" können.
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Der 31. März ist ein wichtiger Tag für die Grundschulen in Mainz. Jetzt muss klar sein, in welcher Form Grundschüler künftig den ganzen Tag betreut werden sollen. Dieser neue Rechtsanspruch macht aber auch Probleme in ganz Rheinhessen.
SWR Aktuell: Halten Sie das Gesetz für einen politischen Schnellschuss, unter dem am Ende die Kinder leiden?
Franz: Prinzipiell bin ich immer ein Freund davon, wenn Politik sich der Bildung annimmt. Insofern freue ich mich erstmal, dass die Politik wie in diesem Fall den Blick auf die Schulen, auf die Kinder und die Familien legt.
Wir sollten aufpassen, dass auch die Kinder gehört werden. Dass es Partizipation in jeder Einrichtung gibt.
Wir müssen einfach sehen, wie es umgesetzt wird. Ich glaube, es hängt ganz viel daran, welchen Spielraum den Schulen gegeben wird. In Rheinland-Pfalz wurde zum Beispiel das Projekt "Schulen der Zukunft" aufgelegt. Da gibt es relativ viel Freiheit.
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Die Landesinitiative "Schule der Zukunft" wird kräftig ausgebaut. Künftig will das Land rund 100 Schulen dabei begleiten, Ideen für das Lernen von morgen zu entwickeln.
Franz: Und ich weiß aus meinen Beobachtungen der Schullandschaft, dass einige Grundschulen das auch nutzen, um schon jetzt einen sinnvollen Ganztag vorzubereiten und sich dazu informieren. Sicher gibt es auch Einrichtungen, bei denen man sagen würde, das ist für die Kinder jetzt nicht so förderlich.
Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen
Aber prinzipiell würde ich sagen, dass das kein Schnellschuss ist. Wichtig ist: Wir sollten aufpassen, dass die Kinder beobachtet werden, dass auch sie gehört werden, dass es Partizipation in jeder Einrichtung gibt. Dass bei allen Interessen von Eltern, Wirtschaftsverbänden und Personengruppen das Grundschulkind nicht vergessen wird. Dass ihre Interessen berücksichtigt werden und ihnen in diesem Ganztag Freiraum gegeben wird.
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SWR Aktuell: Viele Grundschulen müssen jetzt Platz schaffen, umbauen und mehr Betreuungspersonal finden? Viele kommen an ihre Grenzen. Wie könnten die Schulen besser unterstützt werden?
Franz: Ich glaube, die Schulen würden sehr davon profitieren, wenn wir einen Bürokratieabbau hätten. Wenn vielleicht übergangsweise nicht immer ganz regelkonforme Lösungen mal erprobt werden könnten. Wenn nicht der Brandschutz, der Hygieneschutz und so viele Auflagen die nötigen Bauvorhaben verlangsamen würden. Das ist mein persönlicher Eindruck.
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Klingt erst mal richtig toll für Eltern: Ab dem Schuljahr 2026/2027 sollen Erstklässler einen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen haben. Doch die Kommunen und Kreise sind überfordert.
Auf der anderen Seite glaube ich, wäre es für Schulen auch wirklich gut, bei anderen schauen zu können, wie die Konzepte umsetzen. Dass dafür Zeitkontingente zur Verfügung gestellt werden.
Von anderen Schulen lernen
Franz: Ich bin auch im Vorstand des Grundschulverbandes. Und wir vernetzen über Medien unsere Schulen miteinander. Da haben manche die Nase vorn. Andere sind noch in der Entwicklung. Dass solche Netzwerke genutzt werden können, um zu schauen, was für kreative Lösungen haben denn andere Schulen gefunden. Wenn ich das kombiniere kann mit der Freiheit, das Lehrkräfte auch mal reisen dürfen, um sich Schulen vielleicht auch in Norddeutschland oder in München anzuschauen.
Dass Schulen sich austauschen, kann ein Gewinn sein.
In München gibt es zum Beispiel tolle Konzepte für Ganztagsgrundschulen auch im sozialen Brennpunkt, die nicht unbedingt teuer waren. Und sich über solche Netzwerke zu treffen und auszutauschen, kann wirklich für alle ein Gewinn sein.
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SWR Aktuell: Für die Ganztagsbetreuung werden mehr Lehrer und pädagogische Fachkräfte gebraucht. Was sollte hier getan werden?
Franz: Wir sollten auf mehreren Ebenen dafür sorgen, den Lehrberuf wieder attraktiver zu machen. Da sind Politik und Gesellschaft gefragt. Dazu gehört für mich zum Beispiel auch, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr Wahlfreiheiten haben. Dass sie nicht, wenn sie sich an einer Schule nicht wohlfühlen, dort bleiben müssen, bis ihnen gestattet wird, die Schule zu wechseln.
Berufsbild Grundschullehrer aufwerten
Franz: Dass sie nach der Ausbildung direkt eingestellt und besoldet werden. Ich denke, da gibt es viele Stellschrauben. Dazu gehört auch, dass ihnen ein attraktiver Arbeitsplatz in der Schule zur Verfügung gestellt wird, damit sie dort ihre Vorbereitungen für den Unterricht machen können oder in Ruhe Arbeiten korrigieren können. Denn viele machen das zu Hause, oft am Abend, weil sie in der Schule keinen eigenen Schreibtisch oder Ruhe dafür haben. All das würde sicher auch dazu führen, dass Lehrkräfte sich mehr gesehen fühlen würden, wertgeschätzt. Als Person in ihrem ganzen Tag und ihrer Arbeit. Das würde vielen helfen. Auch die gesellschaftliche Wertschätzung für den Beruf müsste besser werden.