80 Jahre nach der Befreiung der Tötungsanstalt Hadamar

Patientenmorde: Trierer Studenten erinnern an Schicksale von NS-Opfern

Stand

Von Autor/in Christian Altmayer

82 Menschen aus Trier haben die Nationalsozialisten in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet. Studenten haben jetzt ihre Geschichten recherchiert. Das jüngste Opfer war 15.

Marianne Schönhofen war 15 Jahre alt, als sie im Keller der Tötungsanstalt im hessischen Hadamar ermordet wurde. Der Raum war als Gemeinschaftsdusche getarnt. An ihrem ersten Tag in der Einrichtung, im Februar 1941 wurde das Mädchen dort mit einer Gruppe weiterer Patienten hineingeführt. Dann ließen die Nationalsozialisten das Giftgas strömen.

Marianne Schönhofen war die jüngste Triererin, die in Hadamar von den Nazis ermordet wurde.
Marianne Schönhofen war die jüngste Triererin, die in Hadamar von den Nazis ermordet wurde.

"Schwerer Schwachsinn mit schweren asozialen Störungen (gemeingefährlich)" - so lautete die Diagnose, die die Ärzte der kleinen Marianne ausstellten, bevor sie sie deportieren ließen. "Das ist kein medizinischer Befund nach heutigen Standards", sagt die Historikerin Lena Haase von der Universität Trier. Die Begriffe seien ein Ausdruck der menschenverachtenden Ideologie der Nazis. Sie verraten also mehr über die Täter als über deren Opfer.

Die Gaskammer im Keller der Tötungsanstalt Hadamar war als Duschraum getarnt. Heute befindet sich in dem Gebäude eine Gedenkstätte.
Die Gaskammer im Keller der Tötungsanstalt Hadamar war als Duschraum getarnt. Heute befindet sich in dem Gebäude eine Gedenkstätte.

Studenten decken Geschichten der Opfer erstmals auf

Doch wer waren die 82 Triererinnen und Trierer wirklich, die in Hadamar ermordet wurden? Mit dieser Frage haben sich Lena Haase und 17 ihrer Studierenden nun erstmals eingehend beschäftigt. Der Anlass: Genau vor 80 Jahren wurde die Tötungsanstalt von US-Truppen befreit.

Die Historikerin Lena Haase hat zusammen mit ihren Studenten die Geschichten der von den Nazis ermordeten Patienten recherchiert.
Die Historikerin Lena Haase hat zusammen mit ihren Studenten die Geschichten der von den Nazis ermordeten Patienten recherchiert.

Die Studierenden haben in den vergangenen Monaten Akten in mehreren Archiven durchforstet und dadurch mehr über diejenigen NS-Opfer herausgefunden, über die bislang vielleicht am wenigsten bekannt war: Menschen mit Behinderungen, mit Lernschwächen, mit Epilepsie oder psychischen Erkrankungen, die die Nazis in den Gaskammern töteten oder sie verhungern ließen. Wissenschaftler schätzen die Zahl der Opfer alleine in Hadamar auf rund 14.500.

Licht-Installation am Brunnenhof

Darunter auch die 82 aus Trier, über die Haase zusammenfassend sagt: "Das waren alles Menschen, die vorher ein relativ selbstbestimmtes Leben geführt haben. Sie hatten Familien, Freunde, einen Beruf - sie waren so viel mehr als Verfolgte." Diese Geschichten werden heute bei einer Licht-Installation am Brunnenhof vorgestellt. Die Biografien werden aber auch in einem digitalen Gedenkbuch veröffentlicht.

Mitarbeiter der Stadt machen den Brunnenhof sauber, bevor dort die Installation "zweiundachtzig" gezeigt wird.
Mitarbeiter der Stadt machen den Brunnenhof sauber, bevor dort die Installation "zweiundachtzig" gezeigt wird.

Der Älteste der Ermordeten war Mitte Achtzig, die Jüngste war die 15-jährige Marianne. Was die Studierenden über sie herausgefunden haben war, dass sie schon als Kind kein leichtes Leben hatte. Sie litt an verschiedenen Krankheiten wie Keuchhusten, Scharlach und Masern.

Jüngstes Opfer lebte in verschiedenen Pflegeheimen

Ab neun Jahren lebte sie deshalb in verschiedenen Pflegeheimen und nicht mehr in ihrem Elternhaus in der Jüdemerstraße, wo heute ein Stolperstein an das Mädchen erinnert. Das Pflegepersonal beschreibt sie mal als aggressiv, mal als zärtlich und fürsorglich zu ihren Freundinnen.

Dort wo sich heute die Sparkasse am Viehmarkt befindet, stand das Elternhaus von Marianne Schönhofen. Ein Stolperstein erinnert an das ermordete Mädchen.
Dort wo sich heute die Sparkasse am Viehmarkt befindet, stand das Elternhaus von Marianne Schönhofen. Ein Stolperstein erinnert an das ermordete Mädchen.

"Sie war ein junges Mädchen, das aus ihrer Familie gerissen wurde und in einer unbekannten Umgebung klarkommen musste", sagt Lena Haase: "Dass sie nicht jedem freundlich begegnet ist, wird man nachvollziehen können." Schließlich besiegelte wohl ein Arzt das Schicksal des Mädchens und schickte sie - drei Monate vor ihrem 16. Geburtstag - in den Tod.

Es gibt noch Lücken in den Biografien

Es ist unwahrscheinlich, dass ihre Eltern erfahren haben, was ihr wirklich passiert ist. Zu dieser Zeit schrieben die Ärzte den Angehörigen sogenannte Trostbriefe. "Dort wurden den Familien natürliche Todesursachen vorgegaukelt", sagt Historikerin Lena Haase.

Auch 80 Jahre später haben die Wissenschaftler nicht mit den Angehörigen gesprochen. Im digitalen Gedenkbuch gibt es aber unter jeder Biografie ein Kontaktfeld. "Das ist für Hinterbliebene gedacht", sagt Haase: "Die wissen vielleicht noch mehr über die Menschen als wir aus den Archiven erfahren konnten."

Historikerin sieht Inklusion in Gefahr

Tatsächlich gebe es in den Biografien der Opfer noch einige Lücken. "Über manche wissen wir sehr viel, über andere gibt es praktisch gar keine Quellen", sagt Haase. Doch ihre Arbeit am Thema sei noch nicht abgeschlossen. Aus dem digitalen Gedenkbuch soll irgendwann ein richtiges Buch mit umfangreicheren Biografien werden.

Dass die Geschichten aufgearbeitet werden, sei vielleicht nötiger denn je, sagt die Historikerin: "Wir leben in einer Zeit, wo gegen Menschen mit Behinderungen wieder Stigmatisierungen salonfähig werden und darüber gesprochen wird, Inklusion herunter zu schrauben." Mit dem Projekt wolle sie verdeutlichen, "wo Exklusion aus der Gesellschaft schon einmal hingeführt hat." Nämlich in die Tötungsanstalt Hadamar.

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