Wenn Thomas Schnitzler über den Platz hinter dem Trierer Dom radelt, macht ihn das wütend. Es ist der Name dieses Ortes, mitten in der Stadt, den der Wissenschaftler "unerträglich" findet, wie er sagt. Denn der Platz ist nach dem 1993 verstorbenen Bischof Bernhard Stein benannt. Und das darf, wenn es nach Schnitzler geht, nicht so bleiben.
Seit einigen Jahren werden Vorwürfe laut, der ehemals höchste Geistliche des Bistums Trier habe Fälle von Kindesmissbrauch vertuscht. "Nach langem Recherchieren bin ich dahinter gekommen, dass Bischof Stein auch den Priester, der mich missbraucht hat, nicht zur Rechenschaft gezogen hat", sagt der Sprecher der Betroffeneninitiative MissBiT.
MissBiT nennt erstmals Klarnamen mutmaßlicher Täter
Viele weitere solche Fälle stellt die Organisation nun im neuen Buch "Geschädigte durch Kindesmissbrauch und sexuelle Gewalt im Bistum Trier" vor. 55 beschuldigte Kleriker werden dort teils erstmals beim bürgerlichen Namen genannt. Sie sollen sich laut Recherchen der Initiative an etwa 200 Kindern und Jugendlichen in Trier, in der Eifel, an der Mosel, im Hunsrück und im Saarland vergriffen haben.
Auffällig ist dabei, dass die meisten geschilderten Berichte, konkret 49 Stück, aus den Jahren 1967 bis 1980 stammen. Also aus der Zeit, als Bernhard Stein die Geschicke des Bistums leitete.
Neben Albertinum und Fall Weißenfels auch viele unbekannte Fälle
So ist im Buch etwa die Rede von einem Priester im Dekanat Konz, der 1962 ein sechsjähriges Mädchen mit einem Schlafmittel "gefügig gemacht" haben soll. Es werden sexuelle Übergriffe bei Zeltlagern geschildert und Missbrauch nach dem Religionsunterricht in einer Dorfschule bei Schweich, wo ein Pfarrer offenbar Kinder einsperrte, um sich an ihnen zu vergehen.
Einige der Fälle werden durch das Buch erstmals bekannt. Manche werden in der Öffentlichkeit hingegen schon länger diskutiert. So ist etwa die Gewalt im Bischöflichen Internat Albertinum in Gerolstein ein Thema der Studie, ebenso die Leidensgeschichte einer Frau, die sich selbst Karin Weißenfels nennt.
Sie berichtete gegenüber verschiedenen Medien, dass sie von einem Priester geschwängert und dann zu einer Abtreibung gedrängt worden sei. Kürzlich landete der Fall erneut in den Schlagzeilen, weil Bischof Stephan Ackermann den Klarnamen des Missbrauchsopfers bei einer Konferenz nannte.
Eifeler Pfarrer soll 18 Kinder missbraucht haben
Der größte Missbrauchsskandal der jüngeren Geschichte im Bistum Trier hat sich laut der Studie aber in Ehlenz abgespielt, einer kleinen Gemeinde bei Bitburg in der Eifel. Hier soll ein Pfarrer 18 Kinder und einen Volljährigen missbraucht haben.
Gut zehn Jahre lang sei der offenbar pädophile Täter unbehelligt geblieben, bis ein Lehrer ihn anzeigte und er zu einer Haftstrafe im Wittlicher Gefängnis verurteilt wurde.
Zuvor hatte das Bistum unter Leitung von Bischof Bernhard Stein nicht auf Beschwerden von Eltern reagiert, heißt es in der MissBiT-Studie. Stein soll den Priester sogar im Gefängnis besucht und ihm später eine Pensionärswohnung in Speyer vermittelt haben.
Hat Bischof Stein Missbrauchsfälle vertuscht?
Der Fall zeigt laut der Opferinitiatve den Umgang des früheren Bischofs mit Missbrauchsfällen und Betroffenen. Der höchste Kleriker habe Opfer ignoriert, Taten vertuscht und beschuldigte Priester allenfalls versetzt.
"Unübersehbar ist der Tatbestand der Strafvereitelung", lautet eine Schlussfolgerung im Buch, Stein sei "ein erhebliches Verantwortungsversagen anzulasten". Dadurch seien viele Taten erst bekannt geworden, als sie lange verjährt waren und die Beschuldigten bereits gestorben waren.
Grüne fordern Umbenennung des Bischof-Stein-Platzes
Für Schnitzler und seine Mitstreiter ist das Grund genug, eine "symbolische Verantwortungsübernahme" zu fordern. Direkt auf den ersten Seiten des Buches verlangt der Autor, die Unbenennung des Bischof-Stein-Platzes und die posthume Aberkennung von dessen Ehrenbürgerwürde und Bundesverdienstkreuz.
Die Studie soll in dieser Sache, so Schnitzler, weiteren Druck auf den Trierer Stadtrat ausüben. Denn der hatte das Thema bei einer Sitzung im Februar erneut vertagt, nachdem die Grünen gefordert hatten, den Platz hinter dem Dom in "Platz der Menschenwürde" umzubenennen.
Zwischenbericht von Kommission wird im Herbst erwartet
SPD und CDU wollten damals keine Entscheidung im Stadtrat treffen. Die Begründung lautete damals: Man wolle den Zwischenbericht einer vom Bistum Trier beauftragten Aufarbeitungskommission abwarten. Dieses erste Teilgutachten wird nach Angaben des Bistums Trier im Herbst erwartet. Schon jetzt, heißt es aber von der Bischöflichen Pressestelle: Man werde das Buch lesen und darauf prüfen, ob es neue Erkenntnisse enthält.
Die Grünen wollen nach Veröffentlichung der Studie im Herbst erneut einen Antrag zur Umbenennung des Platzes stellen, sagt Leuckefeld: "Wir werden keine Ruhe geben, bis dieser Platz umbenannt ist."