Martin Lautwein, humanitärer Helfer aus der Region Trier, verklagt eine Hilfsorganisation nach einem Einsatz in Syrien. (Foto: Martin Lautwein)

Entführung und Folter in Syrien

Humanitärer Helfer aus Region Trier verklagt Hilfsorganisation

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Philipp Reichert
Philipp Reichert (Foto: SWR)

Der humanitäre Helfer Martin Lautwein wird in Syrien entführt und landet in einem Foltergefängnis. Jetzt verklagt er seine Hilfsorganisation. Eine Recherche von REPORT MAINZ.

Die beiden Narben an seinen Armen verblassen langsam. Nicht aber seine Erinnerungen, die Martin Lautwein noch immer mit sich herumträgt. "Ich war mir sicher, dass ich das nicht überlebe". Es sind Erinnerungen an die "Hölle", wie er sie heute nennt, auch fünf Jahre später noch. 48 Tage lang war Lautwein Gefangener des syrischen Regimes, wurde Opfer von Folter und Zeuge brutaler Menschenrechtsverletzungen.

Einsatz für Hilfsorganisation in Syrien

Sommer 2018, Lautwein ist gerade 27 Jahre alt geworden. Es ist die Zeit, in der der syrische Bürgerkrieg tobt. Lautwein will als humanitärer Helfer aktiv werden. Er stammt gebürtig aus der Eifel, hat in der Region Trier eine Ausbildung zum Industriemechaniker abgeschlossen, später eine zweite zum Gerüstbauer. Dieses Wissen will er einbringen, reist als Techniker für die Berliner Hilfsorganisation Cadus zunächst in den Irak, dann weiter in den Nordosten Syriens. Es ist Lautweins zweiter Einsatz für die Organisation, die auch von der WHO unterstützt wird. Cadus will eine Klinik aufbauen, um Verwundete zu versorgen. Doch in Syrien angekommen, hat sich die Lage vor Ort wider Erwarten geändert.

Martin Lautwein wurde in Syrien in ein Gefängnis in Damaskus verschleppt. Er wurde dort gefoltert. (Foto: dpa Bildfunk, Britta Pedersen)
Martin Lautwein wurde in Syrien in ein Gefängnis in Damaskus verschleppt. Er wurde dort gefoltert.

Deshalb habe das Team in Al Qamshli im Nordosten des Landes tagelang auf Anweisungen warten müssen, so Lautwein. Schachspielen und gemeinsame Aktivitäten mit lokalen Partnern statt humanitärer Hilfe im Bürgerkrieg. Für Martin Lautwein ist dies jedoch eine trügerische Ruhe, die am 22. Juni plötzlich endet. In der Innenstadt nahe einem Basar werden er und ein Kollege von einer Gruppe Männer kontrolliert und abgeführt, ihre Papiere seien illegal.

"Der Tod liegt in der Luft"

Lautwein und sein Kollege werden nach Damaskus verschleppt, ins Gefängnis Far' Falastine des syrischen Geheimdienstes. Es ist eine Haftanstalt, die besonders berüchtigt ist: Für Zwangsverhöre, für sexuelle Gewalt, für Folter. All das muss auch Lautwein erleben. "Ich habe den ganzen Tag Schreie und Geräusche von Folter gehört, die Wunden und das Blut gerochen", erzählt er. "Es ist ein grausamer Ort, der Tod liegt einfach in der Luft".

Auch Lautwein wird Opfer von Folter, sagt er – wie genau, darüber kann er bis heute kaum sprechen. REPORT MAINZ liegen ein Untersuchungsbericht des Auswärtigen Amtes und ein psychologisches Gutachten vor. Sie lassen erahnen, was Lautwein in der Haft durchgemacht haben muss. 48 Tage lang, bis europäische Behörden seine Freilassung erwirken.

Zurück in Deutschland ist für den jungen Mann nichts mehr, wie es einmal war. In größeren Gruppen fühlt er sich unwohl. Nachts kann er vor Albträumen nicht mehr schlafen, wird zum Bettnässer. "Es gibt keinen Tag, keine Nacht, an dem mich die Zeit in der Haft nicht belastet."

Klage gegen Hilfsorganisation eingereicht

Bald wird der Fall auch das Landgericht Berlin beschäftigen. Es muss klären, ob die Hilfsorganisation Cadus, für die Lautwein im Einsatz war, Fürsorgepflichten verletzt hat, die eine Entführung hätten verhindern können. Denn Lautwein hat Cadus verklagt, fordert Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Vor Gericht tragen er und seine Anwälte beispielsweise vor, die Organisation habe vor dem Einsatz lediglich einen eintägigen Vorbereitungsworkshop organisiert, nicht aber ein mehrtägiges Sicherheitstraining, in dem auch das Verhalten bei Entführungen trainiert werde. Ein solches Training sei üblich in der Branche. Außerdem habe Cadus kein aktuelles Sicherheitskonzept für einen Einsatz in Syrien erarbeitet. Die Organisation habe zwar eine Beratungsfirma kontaktiert, für ein Sicherheitskonzept in E-Mails aber "keine dringende Eile" gesehen und schließlich nicht in Auftrag gegeben. Die Mails liegen REPORT MAINZ vor.

Martin Lautwein aus der Eifel wurde während eines Einsatzes in Syrien entführt und gefoltert. Nun verklagt er die Hilfsorganisation, mit der er in Syrien war. (Foto: dpa Bildfunk, Britta Pedersen)
Martin Lautwein aus der Eifel wurde während eines Einsatzes in Syrien entführt und gefoltert. Nun verklagt er die Hilfsorganisation, mit der er in Syrien war.

Ein weiteres Versäumnis sehen Lautwein und seine Anwälte darin, dass das Team in Al Qamishli untergebracht wurde. Die Stadt sei damals vergleichsweise unsicher gewesen. Nur dort seien in der Region neben kurdischen Kräften auch syrische Regierungstruppen präsent gewesen. Zudem sei Cadus vor Ort sorglos vorgegangen, habe etwa das W-LAN öffentlich einsehbar mit dem Namen der Organisation betitelt und damit den Standort des Hauses kundgetan. Lautwein und das Team hätten zudem keine ausreichenden Verhaltens- und Sicherheitsanweisungen erhalten. Das gesamte Team habe immer wieder die Unterkunft verlassen und sich in der Stadt bewegt, obwohl Cadus lediglich Papiere der kurdischen Autoritäten besorgt habe, jedoch keine Visa der syrischen Regierung, so die Argumentation Lautweins vor Gericht.

Ein Hilfseinsatz in Syrien im Krieg. (Foto: Martin Lautwein)
Ein Hilfseinsatz in Syrien im Krieg.

"Hätte Cadus Lautwein und seinen Kollegen nicht nach Al Qamishli geschickt und wäre seiner Fürsorgepflicht nachgekommen, wären sie dort nicht gefangen genommen und dann gefoltert worden", sagen Anna Gilsbach und Raphaël Callsen, die Anwälte Lautweins. Auch nach der Freilassung Lautweins habe Cadus es versäumt, ihm psychologische Betreuung und medizinische Leistungen anzubieten.

Hilfsorganisation weist Vorwürfe zurück

Vor Gericht und auch gegenüber REPORT MAINZ weist Cadus die Vorwürfe zurück. Al Qamishli als Aufenthaltsort sei eine der sichersten Städte in der gesamten Region gewesen. Nicht nur Cadus, auch alle anderen Hilfsorganisationen hätten im Nordosten Syriens nur mit irakischen und ohne Visa der syrischen Regierung agiert.

Lautwein sei zudem alles andere als unvorbereitet in den Einsatz gegangen und schriftlich sowie in dem Workshop ausführlich zu Sicherheitsaspekten und Risiken informiert worden, ein "branchenübliches Sicherheitstraining" gebe es nicht. Lautwein seien die Risiken seines eigenmächtigen Handelns, etwa regelmäßig die Wohnung zu verlassen, bewusst gewesen. Auch der Vorwurf, man habe kein Sicherheitskonzept gehabt, treffe nicht zu. Man arbeite mit einem Anbieter für Sicherheitsfragen zusammen – seit wann, ließ Cadus offen. Schließlich habe man Lautwein auch nach der Freilassung Unterstützungsangebote gemacht, Cadus-Mitarbeiter seien etwa bei Arztgesprächen anwesend gewesen.

Darüber hinaus teilte Cadus mit, man nehme seine Fürsorgepflicht sehr ernst. "Es wurden und werden durch Cadus keine Einsatzkräfte unvorbereitet ins Feld entsendet. Vorbereitungsmaßnahmen umfassen dabei sowohl Briefings als auch Tagesseminare mit Fachexperten.", so die Organisation. Allen Teilnehmenden von Auslandsmissionen, so auch im vorliegenden Fall, würden neben der Einsatzvorbereitung auch im Einsatz klare, sicherheitsrelevante Regeln zum Verhalten im Einsatz kommuniziert.

Streit um Prozesskostenhilfe

Für Lautwein und seine Anwälte gestaltet sich der Weg bis zur Verhandlung schon jetzt alles andere als leicht. Zunächst dauerte es mehr als ein halbes Jahr, um zu klären, welches Gericht für den Fall überhaupt zuständig ist.

Kürzlich lehnte das Landgericht Berlin zudem einen Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete nach Ansicht der Richter keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, u.a. da die Folter hauptsächlich den syrischen Regierungstruppen zuzuschreiben sei.

Für die Anwälte Lautweins ist diese Entscheidung eine voreilige Prognose. "Solch einen Fall hat es in Deutschland unserer Kenntnis nach noch nicht gegeben", so Callsen und Gilsbach. "Viele der Fragen sind in Deutschland bisher nie von einem Gericht geklärt worden, zum Beispiel welche Pflichten aus einem Vertragsmodell entstehen, das Cadus und Lautwein geschlossen haben."

Martin Lautwein will es um jeden Preis zum Prozess kommen lassen, sammelt Spenden, um diesen zu finanzieren. "Ich fühle mich im Stich gelassen", so Lautwein. Sein ebenfalls entführter Kollege und er seien Teil eines Teams, Teil von Cadus gewesen. "Und jetzt sollen wir allein den Schaden und die Verantwortung übernehmen? Das ist nicht fair." Der Prozess beginnt am 10. Oktober.

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