Grundschulen - Wunsch nach mehr Hilfe vom Land (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marcel Kusch)

Kritik an Landesregierung

Ukrainische Flüchtlingskinder: Schulen fühlen sich allein gelassen

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Andrea Meisberger
Andrea Meisberger: Multimediale Reporterin SWR Studio Trier (Foto: SWR, Andrea Meisberger)

Sie können noch wenig deutsch – einige sind traumatisiert. Ukrainische Flüchtlingskinder müssten besser gefördert werden, fordern Lehrer an der Mosel. Sie fühlen sich vom Land allein gelassen.

Über 1.800 Kinder aus der Ukraine besuchen derzeit Schulen in der Region Trier. Zahlen, die von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) stammen. Die Behörde ist für die Schulen zuständig und im Moment im Zentrum der Kritik vieler Schulleitungen und Eltern in Rheinland-Pfalz, wenn es um die Integration der ukrainischen Kinder geht.

Ein Drittel von ihnen besucht Grundschulen. Der SWR hat mit mehreren Grundschulleitungen an der Mosel gesprochen, die die Schulpolitik der Landesregierung kritisieren.

Lehrer haben Sorge vor Konsequenzen wegen Kritik

Ihre Namen wollen die Schulleiter im Gespräch mit dem SWR nicht preisgeben. Sie möchten anonym bleiben, denn sie haben Sorge, dass ihre Kritik an Land und ADD Konsequenzen für sie haben könnte.

Fehlende psychologische Hilfe für traumatisierte Kinder

Viele der Kinder aus der Ukraine seien aber traumatisiert und bräuchten psychologische Hilfe, so die Schulleitungen. Wie viel Unterstützung die Kinder bräuchten, sei von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Neben dem Unterricht sei das für die Lehrkräfte oft nicht leistbar. Den Schulleitungen war dabei auch wichtig zu sagen, dass es natürlich richtig und wichtig sei, die Kinder in den Klassen zu betreuen.

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Doch Psychologen oder Schulsozialarbeiter an die Grundschulen zu bekommen, sei nahezu unmöglich, schildert eine Schulleitung. Besonders, wenn man kein Netzwerk habe.

„Es würde uns und den Kindern so sehr helfen, Schulsozialarbeiter oder Psychologen an der Schule zu haben.“

Die ADD teilte dem SWR mit, dass jede Schule mittlerweile über einen gewissen Stellenanteil an Schulsozialarbeit verfüge. Zudem könne jede Schule den schulpsychologischen Dienst kontaktieren.

Lehrermangel verschärft die Situation

Kinder unterrichten, zwischendurch Psychologe spielen und Sprachbarrieren überwinden, das alles in 45 Minuten ist für die allermeisten Lehrer allein fast nicht zu bewältigen. Unterstützung durch einen Kollegen sei in manchen Fällen erforderlich. Doch das Lehrpersonal für eine Schule sei ohnehin auf Kante genäht, so eine Schulleitung. Der Lehrermangel verschärfe daher die Situation. Auf der Strecke blieben dabei alle. Die ukrainischen Kinder, aber auch die deutschen. Es sei traurig, dass da oft die Zeit fehle, sagte eine Schulleitung dem SWR.

"Die Zeit reicht nicht und das Personal reicht schon drei Mal nicht."

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Die ADD weist diese Vorwürfe der Schulleitungen zurück

Die RLP-Schulen seien "grundständig personalisiert". Das bedeute, alle Planstellen seien besetzt. Ausfälle würden größtenteils von den Schulen selbst kompensiert. In neun Grundschulen in der Region Trier seien allerdings die Schulleitungs-Stellen nicht besetzt. Teilweise würden Schulen dann von einer anderen Schule mitbetreut.

Zu viel Bürokratie behindert Sprachentwicklung der ukrainischen Kinder

Oliver Pick ist der stellvertretende Landesvorsitzende des Verbandes "Bildung und Erziehung" (VBE). Er sagt, Hilfen für ukrainische Flüchtlingskinder zu beantragen sei enorm kompliziert und mit viel Bürokratie verbunden. Das bestätigen auch einige Schulleitungen dem SWR.

Als Beispiel nennen sie sogenannte DaZ-Stunden (Deutsch als Zweitsprache). Prinzipiell seien die speziellen Deutschstunden für die ukrainischen Kinder sehr gut. Doch es würden viel zu wenig genehmigt. Denn die Kinder würden, wenn sie hierherkommen, kein oder kaum Deutsch sprechen. Wie eine Schulleitung erklärte, bekomme sie beispielsweise nur zwei solcher DaZ-Stunden in der Woche – für alle Kinder, in diesem Fall vier, zusammen. Das sei zu wenig. Das sieht auch Pick vom Verband „Bildung und Erziehung“ so.

"Mit zwei Stunden in der Woche ist es nicht getan. Da lernt man die Sprache nicht."

Das System müsse insgesamt flexibler und unbürokratischer sein. Wo Hilfe gebraucht werde, müsse sie zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Oliver Pick kritisiert, dass alles zu lang dauern würde.

ADD sieht alle Schulen gut versorgt

Auch das sieht die ADD völlig anders als die Schulleitungen mit denen der SWR gesprochen hat. Generell sei es "nicht schwierig, Mittel zu beantragen". Zudem seien alle Schulen, die im Laufe des vergangenen oder diesen Schuljahres Bedarf angemeldet hätten, schnell und unkompliziert geholfen worden.

Auch im Rahmen der Sprachförderung seien im Schuljahr 2022/2023 1.000 Poolstunden an die Grundschulen im Schulaufsichtsbezirk Trier vergeben worden. "Da Mittel immer limitiert zur Verfügung stehen, erfolgt die Vergabe nötigenfalls gekürzt in Relation zum angemeldeten Bedarf", heißt es weiter. Wegen des Zuzugs ukrainischer Kinder seien einzelnen Schulen nochmal zusätzliche Stunden genehmigt worden. Das Angebot gelte auch für Kinder aus anderen Herkunftsländern.

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Schulleitungen: Probleme werden sich verschärfen

Das sehen die Schulleitungen vor Ort vollkommen anders als die ADD. In Zukunft werde es nicht einfacher werden, da sind sich die Schulleitungen und auch Oliver Pick vom Verband „Bildung und Erziehung“ einig. Generell gehe es nicht nur um die Kinder aus der Ukraine, denen in den Klassen geholfen werden müsse. Auch Kinder aus anderen Ländern wie beispielsweise Afghanistan oder Syrien bräuchten diese Unterstützung.

Zudem gehen einige Schulleitungen nach eigener Aussage davon aus, dass durch das Erdbeben in der Türkei und Syrien weitere Kinder in die Klassen kommen werden. Das sei auch in Ordnung. Aber dazu brauche man eben die Unterstützung des Landes. Die sei bisher Fehlanzeige.

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