Interview: Bürokratie erschwert schnelle Hilfe für ukrainische Flüchtlinge (Foto: dpa Bildfunk, Michael Kappeler)

Bürokratie erschwert Hilfe

Flüchtlingshelfer aus Oberbillig: "Es müsste alles viel schneller gehen"

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Solveig Naber

Jeden Tag kommen mehr Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen - auch in die Region Trier. Behörden und freiwillige Helfer stoßen zunehmend an ihre Grenzen, wie ein Fall aus Oberbillig im Kreis Trier-Saarburg zeigt.

Daniel Gilweit aus Oberbillig hat das Hilfsnetzwerk "Wir - für die Ukraine" schon wenige Tage nach Kriegsbeginn gegründet. Das Gemeinschaftsprojekt wird von vielen Eltern und anderen Freiwilligen aus den umliegenden Gemeinden unterstützt. Bisher wurden mehr als 20 geflüchtete Frauen und Kinder privat untergebracht.

SWR Aktuell: Mit steigenden Flüchtlingszahlen steigen auch die Anfragen an das Hilfsnetzwerk. Kommen Sie und Ihr Team an Ihre Grenzen?

Daniel Gilweit: "Ja. Es ist so, dass wir schon zu Beginn sehr schnell lernen mussten, kurzfristig Lösungen zu finden. Wir haben das durch die unglaublich vielen motivierenden Angebote, Ideen und Unterstützer, die wir bekommen haben, geschafft. Eine Herausforderung ist natürlich immer erst mal die Unterkunft, also eine Wohnung für die Leute zu finden.

Die andere Herausforderung ist dann die Betreuung der Menschen, die hier sind. Das sind Menschen, die wirklich gar nichts haben. Im besten Fall noch ihren Reisepass und vielleicht noch einen Koffer. Diese Menschen brauchen alles, von Hygieneartikeln über Unterwäsche und Kleidung. Wir reden von Arztterminen, wichtigen Medikamenten, die sie meist nicht dabei haben.

"Anmeldungen und normale alltägliche Dinge: All das muss möglichst schnell organisiert werden."

Bürokratische Vorgaben bremsen aus

SWR Aktuell: Die Flüchtlinge müssen angemeldet werden, um Sozialleistungen oder eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Die Kinder sollen schnell in die Schulen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Behörden? 

Gilweit: "Wir haben sehr schnell ein großes Netz aufgebaut. Und wir haben zu den Behörden eine gute Beziehung, zu den Sachbearbeitern, zu den Behördenleitern, zu denen, die da mitmachen. Das ist nicht selbstverständlich, dass wissen wir. Wir haben uns da so organisiert, dass wir oft Dinge schnell und auf dem kurzen Dienstweg regeln können.

Nichtsdestotrotz sind einige Vorgaben vom Bund, den Landesministerien oder auch von den einzelnen Kommunen problematisch. Natürlich können und wollen wir die nicht umgehen. Aber sie hindern einen oft, schnell Lösungen zu bekommen."

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Fehlende Impfnachweise sind ein Problem

SWR Aktuell: Welche Schwierigkeiten gibt es?

Gilweit: "Schwierig wird es zum Beispiel, wenn es um solche Dinge wie Impfungen geht. Neben der Corona-Schutzimpfung auch die Masern-Impfung für die Kinder. Wir wollen die Kinder ja so schnell wie möglich in die Schule bringen. Aber nicht alle Kinder haben einen Impfpass dabei.

Manche Mütter haben den zufälligerweise mitgenommen. Das erleichtert uns die Sache, auch wenn wir den noch übersetzen müssen. Bei den Kindern, die dies nicht haben, müssen wir schauen, dass wir eine Antikörperbestimmung machen. Also müssen Arzttermine organisiert werden, die Menschen dort hingebracht werden usw. Das dauert und kostet Ressourcen.

Wir haben das Glück, dass uns viele Freiwillige unterstützen. Mit Sachenspenden und Geld. Was wir auch brauchen, weil wir für die Menschen, die hier angekommen sind, erst mal vieles finanzieren müssen. Wir müssen die Geflüchteten mit dem Nötigsten versorgen, denn viele von ihnen haben nichts mehr.

Wir müssen Dinge kaufen, wir fahren durch die Gegend, zu Terminen, Notfällen. Und so sehr ich die Bürokratie in Deutschland auch schätze, aber bei uns ist es oft so, dass das für die Praxis viel schneller gehen müsste."

"Gerade für die Kinder müssen bei den Behörden neue, schnellere Wege geschaffen werden, um sie schnell zu integrieren."

Es gibt unglaublich viel Schriftverkehr, der so viel Arbeit macht. Wir haben den Vorteil, dass wir gut vernetzt sind und den direkten Draht in die Behörden haben. Und sie sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern das wir uns gegenseitig unterstützen. Doch es bleibt am Ende viel Bürokratie übrig und das ist ein großes Problem."

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SWR Aktuell: Sie können durch das Hilfsprojekt inzwischen auch Sprachkurse und teilweise auch psychologische Betreuung für die Flüchtlinge anbieten. Ist das nicht Aufgabe der Behörden?

Gilweit: Das ist richtig. Aber wir haben gesehen, dass auch bei der Flüchtlingskrise 2015 das Ganze nicht so gut funktioniert hätte, wenn nur Behörden das übernommen hätten. Die Behörden sind auch immer darauf angewiesen, dass Freiwillige helfen. Denn eine Behörde besteht nun mal nur aus einer gewissen Anzahl von Menschen, die ausgebildet sind, die da sein müssen.

Diese Leute stehen natürlich auch nicht 24 Stunden zur Verfügung. Sie können nicht immer zur Verfügung stehen, um die täglichen Dinge des Alltags für die Flüchtlinge zu organisieren oder sich darum zu kümmern.

"Da waren immer Freiwillige, die so etwas organisieren und ehrenamtlich bereit sind, für andere Menschen was zu geben."

Es ist wichtig, dass die Behörden da sind, um vieles zu organisieren. Aber auch die Behörden stoßen schnell an die Grenze. Zumal jetzt, da ein nie da gewesener Zuzug von Menschen durch einen sehr überraschenden Krieg in Europa kommt. Das gab es in dieser Form in Europa seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Da kann sich keiner, auch keine Behörde, drauf vorbereiten."

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Gilweit: Ich denke, wichtig wäre, dass die Behörden und die Leute, die diese Arbeit vor Ort leisten, besser zusammenarbeiten. Denn das eine geht nicht ohne das andere. Wir sind auch auf die Behörden angewiesen. Aber dennoch müssen die Behörden auch im Gegenzug anerkennen, dass wir viel, viel Arbeit leisten und übernehmen.

Wie soll ein ukrainischer Flüchtling, der kein Wort Deutsch spricht, wissen, wo der Unterschied zwischen einer Verbandsgemeinde, eines Kreises, einer Stadt oder eines Bundeslandes ist? Woher soll er das wissen, wo er hinkommen soll, wenn er etwas unterschreiben muss? Diese Arbeit leisten wir.

Das sollten die Behörden auch anerkennen und uns in ihre Arbeit noch besser integrieren. Und mit einer E-Mail oder einem Anruf schnell Dinge auch in Notfällen möglich machen, mal "alle Fünf grade sein" lassen, statt auf Verordnungen zu pochen. Das passiert jetzt schon in der Verbandsgemeinde Konz. Es müsste aber noch viel öfter gemacht werden und auch flächendeckend. Das würde vieles erleichtern und allen Beteiligten helfen."

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Solveig Naber