Frau mit Blindenstock steht auf Fußgängerweg an defektem Ampelsignal. (Foto: SWR, Nicole Mertes)

Wege und Ampeln in Trier für Blinde nicht barrierefrei

Für blinde Menschen ist die Trierer Innenstadt gefährlich

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Nicole Mertes
Nicole Mertes arbeitet als Redakteurin im SWR Studio Trier (Foto: Nicole Mertes)

Die Stadt Trier hat sich Inklusion auf die Fahne geschrieben. Doch für blinde Menschen ist es gefährlich, in der Innenstadt unterwegs zu sein. Blindenampeln funktionieren nicht.

"In der Stadt Trier können Menschen mit Behinderung selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben und sich sicher im öffentlichen Raum bewegen."

Für viele blinde und sehbehinderte Menschen in Trier wirkt der Text des Aktionsplans Inklusion wie der reinste Hohn. Die Wirklichkeit, mit der sie täglich im Alltag konfrontiert sind, sieht anders aus, sagt Marion Palm-Stalp, die fast blind ist und sich in der Selbsthilfeinitiative "Pro Retina" engagiert.

"Eine vierspurige Straße am Moselufer überqueren zu wollen ist eine absolute Kamikazeaktion."

Navigationssystem für Blinde (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An der Kreuzung am Martinsufer zum Zurlaubener Ufer ist es für blinde und sehbehinderte Menschen sehr gefährlich, die Straße zu überqueren. Die Ampeln haben gar kein akustisches oder sensorisches Signal. Die Gehwege sind nicht mit ertastbarem Pflaster markiert. Marion Palm Stalp von Pro Retina Trier fordert hier geeignete Ampelanlagen für Blinde.

Blinde erleben Odyssee durch Trier

Sie schildert eine Erfahrung, die sie bei einem Ausflug mit blinden und sehbehinderten Menschen in Trier machte. Die Gruppe wollte an der Kreuzung am Martinskloster/Kaiser-Wilhelm-Brücke die Straße überqueren, um zum Zurlaubener Moselufer zu kommen.

Der Zebrastreifen ist dort nicht für Blinde ertastbar markiert, die Ampeln haben kein akustisches Signal, so dass Blinde sie überhaupt nicht bemerken können, sagt sie. Dazu noch der vierspurige Autoverkehr, der auch noch auf die Brücke abbiegen kann.

Navigationssystem für Blinde endet an Treppe (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An einigen Stellen in Trier gibt es im Straßenpflaster eine mit dem Blindenstock ertastbare Markierung im Straßenpflaster. Hier am Zurlaubener Ufer endet die Markierung in der Mitte einer Treppe, nicht am Geländer. Bild in Detailansicht öffnen
Ramponiertes Navigationssystem für Blinde an Ampel (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An vielen Ampeln in Trier sind die akustischen und sensorischen Systeme für Blinde defekt. Einige sind so alt, dass es keine Ersatzteile mehr gibt. Bild in Detailansicht öffnen
Trier ist für Blinde nicht barrierefrei (Foto: SWR, Nicole Mertes)
Viele Wege für Blinde enden an einer Wand. An der Kreuzung von der Kaiserstraße zur Neustraße sind zwar weiße Spurrillen für Blinde im Pflaster des Gehwegs angelegt, folgt man ihnen, stößt man allerdings gegen die Glaswand einer Restaurantterrasse. Bild in Detailansicht öffnen
Stolperfallen für Blinde sind Steinblöcke auf dem Gehweg (Foto: SWR, Nicole Mertes)
Hier in der Zurmaiener Straße liegen große Felsblöcke auf dem Gehweg. Was Autofahrer am wilden Parken hindern soll, ist für blinde und sehbehinderte Menschen eine gefährliche Stolperfalle. Marion Palm-Stalp von Pro Retina Trier weist auf Stolperfallen für Blinde hin und fordert mehr Barrierefreiheit. Bild in Detailansicht öffnen
Navigationssystem für Blinde (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An der Kreuzung am Martinsufer zum Zurlaubener Ufer ist es für blinde und sehbehinderte Menschen sehr gefährlich, die Straße zu überqueren. Die Ampeln haben gar kein akustisches oder sensorisches Signal. Die Gehwege sind nicht mit ertastbarem Pflaster markiert. Marion Palm Stalp von Pro Retina Trier fordert hier geeignete Ampelanlagen für Blinde. Bild in Detailansicht öffnen

Es gibt noch viele andere Stellen, die für Menschen mit Sehbehinderung und Blinde gefährlich sind, sagt Marion Palm-Stalp. Ob am Hauptbahnhof, an der Kreuzung zur Porta Nigra oder an der Südallee, an der Ostallee und an unzähligen weiteren Stellen in der Stadt.

Trier ist für Blinde nicht barrierefrei (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An der Kreuzung Neustraße- Kaiserstraße-Südallee-Saarstraße wurde beim Versuch der barrierefreien Gestaltung einiges falsch gemacht. Nur auf einer Seite ist der Weg für Blinde mit einer Spur im Straßenpflaster markiert. Die Blindenampeln geben kein akustisch hörbares Signal, weil die Stromspannung nicht zum Modell der Sensoren passte.

Stadt reagiert nicht auf Blindenkritik

Seit Jahren macht sie mit der Selbsthilfeinitiative Pro Retina auf die Missstände aufmerksam. Im Juni 2021 lud sie Triers Baudezernenten Andreas Ludwig zu einem Stadtrundgang durch die Trierer Innenstadt ein. Es ging um mangelnde Barrierefreiheit in Trier, um Ampeln, Wege, graue Poller ohne hell-dunkel Kontraste.

"Nichts ist seitdem passiert, im Gegenteil. Es sind Zebrastreifen weggekommen, die Ampeln sind nicht verbessert worden."

Sie sprach auch mit dem Behindertenbeauftragten der Stadt Trier, Gerd Dahm. Der sieht ein strukturelles Problem in der Stadtverwaltung und nennt ein Beispiel. Bei der Sanierung des Straßenpflasters in der Haupteinkaufsstraße der Stadt, der Simeonstraße, war ursprünglich nicht geplant, einen Streifen mit glatten Fliesen für Rollstuhlfahrer einzubauen.

Trier ist für Blinde nicht barrierefrei (Foto: SWR, Nicole Mertes)
Ohne die glatte Mittelspur kämen Rollstuhlfahrer hier nicht gut klar. Was allerdings fehlt ist eine Markierung der Spur für blinde und sehbehinderte Menschen.

Der Streifen in der Mitte der Fußgängerzone kam erst, nachdem der Behindertenbeauftragte bei der Stadt Trier Druck gemacht hat. Doch selbst dann ging noch etwas schief, denn die Markierung für Blinde und die kontrastreiche Gestaltung für Sehbehinderte wurde vergessen.

Koordinator für Barrierefreiheit müsste her

Das Amt des Behindertenbeauftragten ist ein Ehrenamt. Seine Aufgabe sei es, Rat und Verwaltung zu beraten, sagt er. Er sei aber nicht ins operative Geschäft der Verwaltung eingebunden, sei nicht im "Umlauf", wie es im Rathausjargon heißt. Der gute Wille sei bei der Trierer Stadtverwaltung aus seiner Sicht da, allerdings fehle Geld und Personal. Es sei ein strukturelles Problem in der Stadtverwaltung.

"Die Belange von Menschen mit Behinderung fallen oft hinten runter, im täglichen Geschäft, in dem Druck, der da ist, weil niemand verantwortlich ist, es ist ein Koordinationsproblem."

Trier ist für Blinde nicht barrierefrei (Foto: SWR, Nicole Mertes)
Viele Wege für Blinde enden an einer Wand. An der Kreuzung von der Kaiserstraße zur Neustraße sind zwar weiße Spurrillen für Blinde im Pflaster des Gehwegs angelegt, folgt man ihnen, stößt man allerdings gegen die Glaswand einer Restaurantterrasse.

Ein Beispiel ist die Kreuzung Saarstraße-Südallee-Kaiserstraße. Die sollte eigentlich blindengerecht ausgestattet werden. Es geht um die Gesamtschau, sagt der Behindertenbeauftragte.

Die Oberflächen auf dem Bürgersteig müssten so gestaltet sein, dass sie mit dem Blindenstock ertastbar seien. Die Wege müssten für einen blinden Menschen wahrnehmbar, sicher und sinnvoll geführt sein, nicht im Zickzack und nicht so, dass sie plötzlich in einer Hecke enden.

Die akustischen und sensorischen Signale an den Ampelmasten müssten funktionieren. Im Trierer Baudezernat seien für Wegführung, Pflaster und Ampeln aber verschiedene Mitarbeiter zuständig.

Ramponiertes Navigationssystem für Blinde an Ampel (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An vielen Ampeln in Trier sind die akustischen und sensorischen Systeme für Blinde defekt. Einige sind so alt, dass es keine Ersatzteile mehr gibt.

"Wir haben in der Stadt Trier Ampeln mit Sensoren und Signalen, die jahrzehntealt sind, da gibt es schon keine Ersatzteile mehr."

Mehr Kompetenz in die Verwaltung

Dass es in der Stadtverwaltung grundlegende, strukturelle Änderungen geben muss, der Ansicht ist auch Wolf Buchmann. Er ist selbst blind und sitzt für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Trierer Stadtrat, ist für die Fraktion Sprecher beim Thema Inklusion.

Trier ist für Blinde nicht barrierefrei (Foto: SWR, Nicole Mertes)
Wolf Buchmann ist blind und Mitglied im Stadtrat Trier für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er ist für die Fraktion auch Sprecher zum Thema Inklusion und setzt sich für mehr Barrierefreiheit ein.

An der Kreuzung Saarstraße-Südallee-Kaiserstraße wurde alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, sagt er. Nicht funktionierende Blindenampeln, weil die Stromspannung nicht zum Ampelmodell passte, keine durchgehende ertastbare Markierung und keine gute Streckenführung. Er hat 2019 einen Ortstermin dort organisiert, die Fehler sind der Stadtverwaltung bekannt. Aber getan hat sich seitdem nichts.

"Bei dem Tempo, das wir in Trier haben, werden unsere Enkel noch nicht in einer barrierefreien Stadt wohnen können."

Gerade im Baudezernat müsste es fachlich kompetente Menschen geben, die sich bei jedem Projekt um die Barrierefreiheit kümmern, sagt Wolf Buchmann. Das sei aber nicht der Fall. Die Fluktuation beim Personal im Baudezernat sei enorm hoch, so gehe Wissen verloren.

Navigationssystem für Blinde endet an Treppe (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An einigen Stellen in Trier gibt es im Straßenpflaster eine mit dem Blindenstock ertastbare Markierung im Straßenpflaster. Hier am Zurlaubener Ufer endet die Markierung in der Mitte einer Treppe, nicht am Geländer.

Man habe es über viele Jahre mit Fortbildungen versucht, aber gesehen, es funktioniere so nicht. Ich glaube, alle sind guten Willens aber machen Fehler, sagt er. Strukturell brauche man Menschen, die sich systematisch um Barrierefreiheit kümmerten, die automatisch eingebunden würden.

"Es braucht SpezialistInnen, die sich regelmäßig darum kümmern, die in alle Planungsverfahren zwingend eingebunden sind, das ist die einzige Möglichkeit, wie das Problem zu lösen ist."

Die gesetzlichen Grundlagen sind eigentlich gut, sagt Wolf Buchmann. Barrierefreiheit ist in der Landesbauordnung verankert, es müssten sich eben nur alle immer daran halten. Einen Antrag im Stadtrat anzustoßen, die Blindenampeln im Stadtgebiet zu erneuern, so dass sie einheitlich sind und funktionieren, hätte aus seiner Sicht wahrscheinlich keinen Erfolg.

Blinde Frau sucht vergeblich Sensor an Ampelmast (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An der Kreuzung Martinsufer-Zurlaubener Ufer ist an den Ampeln gar kein akustisches oder sensorisches Signal für Blinde angebracht. Auch im Straßenpflaster ist an der Ampel keinerlei ertastbarer Hinweis für blinde und sehbehinderte Menschen angebracht. Die Straße hier als blinder Mensch überqueren zu wollen ist gefährlich, darauf weist Marion Palm Stalp von Pro Retina Trier hin.

Dann werde von Seiten der Stadtverwaltung sicher gesagt, das sei ein wichtiges Anliegen, man habe dafür aber zur Zeit keine Kapazitäten, es sei kein Geld da, es sei kein Personal da, andere Projekte seien vorrangig.

Aktionsplan Inklusion der Stadt Trier nach 5 Jahren ausgelaufen

Beim Punkt barrierefreie Gestaltung der Trierer Innenstadt hat sich trotz des Aktionsplans Inklusion nicht viel getan, so die Einschätzung von Wolf Buchmann. Wenn sich nicht so viele blinde, gehörlose oder im Rollstuhl sitzende Menschen engagieren würden, hätte sich noch weniger bewegt, sagt er. Auch Marion Palm-Stalp, die bei Pro Retina etwa 200 blinde und sehbehinderte Menschen betreut, will nicht aufgeben. Es macht sie wütend, dass sich in Trier in Sachen Barrierefreiheit so wenig tut.

Frau mit Blindenstock steht auf Fußgängerweg an defektem Ampelsignal. (Foto: SWR, Nicole Mertes)
An der Kreuzung Theodor-Heuss-Allee - Ostallee ist es für blinde und sehbehinderte Menschen schwierig, sich zu orientieren. Ampeln geben keine klaren Signale, funktionieren nicht immer und die Gehwege sind nicht mit für Blinde ertastbaren Rillen markiert. Marion Palm-Stalp von Pro Retina fordert mehr Barrierefreiheit.

"Wer nimmt uns in unserer Gesellschaft wahr, mit den Bedürfnissen, die wir haben? Nämlich, dass wir gefahrlos eine Straße überqueren können."

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