Wie kommen die Tanzschulen durch Corona? (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Heiko Rebsch)

"Die Leute lechzen nach Veranstaltungen"

Wie es den Tanzschulen in der Pandemie ergeht

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Oliver Nieder

Viele Menschen in einem Saal und viel körperliche Nähe - in der Pandemie haben es Tanzschulen nicht leicht. Wie geht es ihnen in Rheinland-Pfalz nach zwei Jahren Pandemie?

Ein großer Tanzkongress macht seit Donnerstag vier Tage lang in Mainz Station. 800 Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind dabei. Bis Sonntag gibt es etwa 90 Workshops, Diskussionsveranstaltungen und Aufführungen.

"Und wir wollen ein Kongress zum Anfassen sein", sagt Honne Dohrmann als Ballettchef des mitveranstaltenden Staatstheaters. Damit meint er die Workshops, bei denen die Mainzer zum Mitmachen eingeladen sind. Aber tanzen? Also anfassen bei weniger als 1,50 Meter Abstand, mit vielen Menschen in der Nähe und bei beständigem Ein- und Ausatmen? Unter diesen Bedingungen haben Tanzschulen in Rheinland-Pfalz versucht, die vergangenen zwei Corona-Jahre zu bewältigen. Mit welchem Erfolg?

Mehrere Jahrgänge weggebrochen

"Es läuft wieder an, aber langsam", sagt Tina Willius-Senzer, Inhaberin der gleichnamigen Clubtanzschule in Mainz. Die Schule ist überregional bekannt und geschichtsträchtig, Willius-Senzer kennt viele in der Branche. Bis zu 50 Prozent Kundenverlust habe es in den Tanzschulen gegeben. Bei den Schülern zeitweise bis zu 100 Prozent. "Diese Zielgruppe der 14- bis 16-Jährigen, das wird Jahre dauern, bis wir da aufgeholt haben", sagt sie. Keine Schülerpartys, keine Abibälle, keine Mundpropaganda nach dem Motto: "Hey, du musst doch auch noch einen Tanzkurs machen." Diese Jahrgänge seien einfach weggebrochen. "Die kommen vielleicht erst wieder, wenn sie 30 oder 35 Jahre alt sind."

Neueinsteiger im Sommer schwer zu gewinnen

Ähnlich ist die Lage bei kleineren Tanzschulen in anderen Teilen von Rheinland-Pfalz. "Vom Stand wie vor Corona kann noch lange keine Rede sein", sagt Angela Metzger von der Tanzerlebniswelt Metzger in Kaiserslautern. Zu Beginn der Pandemie habe es viele Kündigungen gegeben. Neueinsteiger, "das Brot für die Zukunft", seien nun erst mal schwerer zu gewinnen. "Die fragen sich, soll ich jetzt ausgerechnet mit Tanzen anfangen?" Einige hätten sich an die Couch zuhause gewöhnt. Und Nachwuchs sei zwei Jahre lang ausgeblieben. Wer aber schon einmal den Spaß am Tanzen gewonnen habe, der komme eher zurück. Zudem sei die Sommersaison immer schwieriger: Wer fängt schon bei 30 Grad im Schatten einen Tanzkurs an?

Hoffnungen liegen auf dem Herbst

Die Hoffnungen liegen auf dem Herbst, allen Unwägbarkeiten zum Trotz. "Wir schieben die bösen Gedanken zur Seite", sagt Metzger. Vor allem die Kinder seien derzeit fröhlich drauf. "Da kommt ein enormer Zuspruch, viele haben Nachholbedarf." Auch bei den Solo-Kursen stiegen die Zahlen wieder. Metzger und ihre Gruppen nutzen jetzt viele Gelegenheiten, um mit ihrem Angebot präsent zu sein, seien es Straßenfeste oder Aktionstage. Mut machten ihr auch die treuen Kunden, die Honorare weiterzahlten, obwohl nichts lief. Das und die staatlichen Hilfen hätten der Schule geholfen, als es eng wurde.

50 Prozent weniger als vor Corona

Ihrem Kollegen Marc Daumas aus Neuwied ging es mit seiner Tanzschule ähnlich: "Von den Stammkunden sind 95 Prozent geblieben", berichtet er. Einmal habe er drei Monate, später noch mal sieben Monate dicht machen müssen. "Jetzt läuft es wieder an, Jugendliche und Paare kommen. Aber es sind bestimmt noch 50 Prozent weniger als vor Corona." Bis der frühere Stand erreicht sei, werde es noch eineinhalb Jahre dauern, schätzt er.

Verbandspräsident sieht "Glück im Unglück"

Eine Erwartung, die Jürgen Ball teilt. Er ist Präsident des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbands (ADTV), dem auch Willius-Senzer, Metzger und Daumas angehören. Der Verband zählt bundesweit rund 800 Mitgliedsschulen, davon 36 in Rheinland-Pfalz. Er glaubt, dass die Tanzschulen in Rheinland-Pfalz insgesamt Glück im Unglück hatten. "Rheinland-Pfalz hat es schneller als andere Bundesländer geschafft, nach den Lockdowns die Wiedereröffnung zu erleichtern", sagt er. "Die Leute kommen wieder, sie wollen sich bewegen", ist er überzeugt. So sei die Quote der Rückkehrer bei den Tanzschulen höher als in anderen Bereichen wie Schauspiel oder Kino.

Staatshilfen und treue Kunden waren Unterstützung

Von den 800 ADTV-Schulen seien bundesweit zwischen 30 und 40 geschlossen worden, erklärt Ball. Davon hätte ein Handvoll auch ohne Pandemie dicht gemacht, Corona sei hier nur der Auslöser gewesen. Überbückungsgelder, Soforthilfen und Kurzarbeitergeld seien gut gewesen, ebenso das Engagement der Schulen. So hätten viele Einrichtungen im vergangenen Sommer ihr zuvor ausgefallenes Angebot nachgeholt. Zur Freude der Kunden, die ihren Schulen trotz Unterrichtsausfalls treu geblieben waren.

Online-Kurse nicht das, was die Leute letztlich wollten

Nun blicken die Tanzschulen gespannt auf den Herbst. Angela Metzger hofft auf unbeschwerte Präsenz. "Es gab zwar die Online-Kurse, aber das war letztlich für viele nicht das, was sie wollten." Einen Eindruck, den Tina Willius-Senzer in Mainz teilt: "Die Leute lechzen nach Veranstaltungen."

Mainz

"Beim Tanzen sind alle gleich" Kostenlose Tanzstunden für Flüchtlingskinder in Mainz

Ob Ballett, Kindertanz oder Hiphop, in der Mainzer Tanzschule Manfred S. können Kinder und Jugendliche, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind, umsonst an Tanzstunden teilnehmen.

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