Der einstige "König aller Gemüse" leidet unter seiner Beliebtheit und ist längst allzeit verfügbare Massenware, ein Produkt der Lebensmittelindustrie, das nicht mehr nur einmal die Woche, sondern tagtäglich verfügbar und bezahlbar sein soll.
Ursprünglich war die Spargelsaison in Deutschland knapp bemessen. Sie dauerte etwa zwei Monate, von Ende April bis zum 24. Juni, dem Johannistag. Moderne Anbaumethoden, vor allem die Nutzung von Folien, haben es möglich gemacht, dass man regionalen Spargel nun schon Ende März erhält. Die deutschen Anbauer trotzen so auch dem Weltmarkt, der das Wärme liebende Gemüse auch im Winter ins Land zu bringen vermag. Die Verbraucher wünschen sich jedoch in der Heimat angebauten Spargel. Und darauf haben die Supermarktketten und die Anbauer reagiert.
Doch läuft das alles - Stichwort "Ausbeutung von Erntehelfern" - fair ab und wie steht es mit der Bio-Qualität, die ja auch für viele Menschen immer wichtiger wird?
Wunsch und Realität in der Spargelernte
Einst gab es das: Verwandte auf dem Land hatten einen kleinen Spargelacker und man fuhr am Samstag zu Besuch dorthin und stach selbst das Kilo Spargel, das dann auf den Sonntagstisch kam.
Doch heute ist das ein romantischer Wunschtraum. Die Realität sieht so aus: riesige, mit Plastikfolie bedeckte Felder, auf denen Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa für wenig Lohn schuften. Denn Spargel ernten für den großen Markt ist ein harter Job: wieder und wieder über den Damm bücken, um die Spitzen freizulegen und die Stangen mit dem Spargelstecher vorsichtig unten im Sand abzuschneiden und herauszuziehen, in den Korb legen, den Korb weitertragen. Und das über kilometerlange Distanzen am Tag.
Es wird immer nur soviel Folie aufgedeckt, wie schnell geerntet werden kann. Auch das Aufdecken der langen Folien ist Schwerstarbeit. Manchmal sind sie noch mit Eisschichten bedeckt. Inzwischen werden teils auch Maschinen eingesetzt, die die Folien von den Dämmen heben.

Wie kam es zum großflächigen Spargelanbau in Deutschland? Das habe durchaus der Lebensmitteleinzelhandel zu verantworten, meint Joachim Ziegler vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Betriebe, die an große Discounter lieferten, hätten in den Wachstumsjahren sehr schnell an Fläche zugelegt. Die größten Gebiete gebe es rund um Berlin in Brandenburg, wo auf etwa 4.000 Hektar Spargel angesiedelt sei.
Man könne die Entwicklung zu immer größeren landwirtschaftlichen Betrieben bedauern, doch es bestehe ein "wahnsinniger Mangel" an gut ausgebildeten und motivierten Nachwuchskräften. Immer weniger Menschen würden sich "mit Hand und Kopf" mit der Landwirtschaft beschäftigen wollen, sagt Ziegler. Er leitet auch den Bundesarbeitskreis der Berater und Versuchsansteller zum Spargelanbau. Was die Kritik an den Methoden angehe, so fehle es oft daran, sich in die andere Seite hineinversetzen zu können. Manche Kritiker würden vielleicht anders argumentieren, wenn sie sich in die Unternehmer hineindenken würden.
Früher sei Spargel nur dort angebaut worden, wo der Boden dafür geeignet war. Es habe keine Folien gegeben, keine entsprechenden Kühlhaltungs-, Lagerungs- und Verpackungsmethoden. Heute könne der Lebensmitteleinzelhandel tagtäglich Spargel anbieten, "wie er das brauche". Der Spargel aus dem Ausland sei mindestens drei Tage alt, bevor er im Regal liege, oft sei er noch älter, so Ziegler.

Saisonarbeitskräfte stellen die Hälfte aller Beschäftigten
Kein regionaler Spargel ohne Saisonarbeiter: Wie viele Saisonarbeitskräfte in der Spargelernte in Rheinland-Pfalz beschäftigt sind, weiß der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd nicht. Generell seien in der Landwirtschaft im vergangenen Jahr 39.200 Saisonarbeitskräfte tätig gewesen, die Hälfte aller Beschäftigten in der Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz. Mit diesem Anteil liegt das Land bundesweit an der Spitze. Der Grund: es gebe hier viele Sonderkulturen wie etwa den Weinbau.
Ab und zu Streit über Abzüge für Kost und Logis
Systematische Verstöße gegen die Einhaltung der Bestimmungen zum Mindestlohn seien in Rheinland-Pfalz nicht bekannt, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit. Nach Aussage des landwirtschaftlichen Berufsstandes gebe es allerdings gelegentlich Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten, weil die getroffenen Vereinbarungen, zum Beispiel über Abzüge für Kost und Logis, den Beschäftigten nicht mit ausreichender Klarheit bekannt waren. Die weit überwiegende Zahl der Arbeitgeber schließe inzwischen eine spezielle Erntehelferversicherung als Krankenversicherung für die Saisonarbeitskräfte ab, so das Wirtschaftsministerium weiter.
In diesem Jahr mangele es im Gegensatz zu den beiden Corona-Jahren zuvor nicht an Saisonarbeitskräften, sagt Pressesprecher Andreas Köhr vom Bauern- und Winzerverband. Laut Arbeitsministerium müssen bis einschließlich 25. Mai alle Betriebe übergangsweise Basisschutzmaßnahmen zum Infektionsschutz für die Saisonarbeitskräfte treffen.
Die Betriebe schauten allerdings mit Sorge auf die Entwicklungen in der Ukraine, so Köhr. Es sei unklar, was das etwa für die Verfügbarkeit von Erntehelfern aus den Nachbarländern zur Ukraine wie Polen und Rumänien bedeute. Stand heute sei aber: es gibt teils Engpässe, aber Ernteausfälle drohen beim Spargel nicht.
Man sei vollkommen abhängig von den Arbeitskräften aus Osteuropa, bekräftigt Joachim Ziegler. Wenn diese nicht mehr kämen, hätte man in Deutschland ein "ganz großes Problem". Das gelte natürlich auch für andere Gemüse- und Obstkulturen.
Werden die Arbeitsstandards im Spargelanbau genug kontrolliert?
Kritik an den Arbeitsstandards und Vorwürfe wegen Lohnbetrugs kann Ziegler nicht nachvollziehen. "Der faire Umgang mit den Erntehelfern ist gewährleistet", sagt er. "Die Kontrolldichte ist enorm."
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Rheinland-Pfalz sieht das anders. Man arbeite eng mit dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen zusammen. Aus dessen Erfahrungen werde deutlich, dass die Kontrollen nicht häufig genug stattfinden würden und oft zu spät erfolgten. Der Verein gehe deshalb davon aus, dass die Betrugsfälle leider an der Tagesordnung seien. Die Erkenntnisse des Vereins seien in einem Bericht der Initiative Faire Landarbeit zusammengefasst.
Auch aus Rheinland-Pfalz würden dem Verein alle Jahre wieder Missstände bei der Unterbringung und Verpflegung der Saisonkräfte bekannt, teilt der DGB auf Anfrage mit. Da die Erntehelfer eingeschüchtert würden und sie zudem noch stark abhängig von den Arbeitgebern seien, nicht nur durch die Arbeit, sondern auch durch die gestellte Unterkunft, seien die Saisonarbeiter sehr selten zu einer Konfrontation beziehungsweise zu einer Aussage bereit. Die Sprachbarriere komme erschwerend dazu.
Regionaler Bio-Spargel noch ein "Nischenprodukt"
Vom bundesweit angebauten Spargel wurden 2021 sechs Prozent unter Bio-Kriterien erzeugt. Das sei noch ein Nischenprodukt, sagt Köhr, der sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes bezieht. In Rheinland-Pfalz gebe es vor allem im Süden sehr große Spargelbetriebe mit mehreren hundert Erntehelfern; es gebe aber auch kleine Spargelanbauer im Land, die nur eine Handvoll Saisonarbeiter beschäftigen würden.
Es sei ihm nicht bekannt, dass sich bisher Betriebe zusammengeschlossen hätten, um besonders den Öko-Spargelanbau zu bewerben. Es gebe aber reine Öko-Betriebe, die unter anderem auch Spargel anböten. Einen vorwiegend auf Spargelanbau spezialisierten Betrieb, der mit Öko werbe, kenne er nicht.
Neben der Kritik an den Arbeitsbedingungen der Saisonhelfer gibt es auch Jahr für Jahr die Kritik von Umweltschützern an den Anbaumethoden: Umstritten sind der großflächige Einsatz von Folien, die Beheizung von Feldern und der Einsatz von Dünger und Pestiziden.
Folieneinsatz steuert die Produktion des Spargels
Der Einsatz von Folie sei ein absoluter Standard im Spargelanbau, so Köhr. Sie werde eingesetzt, um früh schon Spargel aus heimischem Anbau zu haben. Was spricht sonst noch dafür? Je nach Witterung zeigt die schwarze oder die weiße Seite der Folie nach oben. Diese sehr schwere Folie wärmt die Dämme, in denen der Spargel wächst. Durchsichtige Anti-Taufolien wiederum schützen ebenfalls, wenn die Temperaturen im Frühling nachts noch stark fallen. Das Wachstum lässt sich mit den schwarz-weißen Wendefolien steuern. Die dunkle Seite zieht das Sonnenlicht an, die helle Seite hält Hitze ab. So gelingt es den Betrieben über die komplette Saison entsprechend der Nachfrage das Angebot vorzuhalten.

Die Folienabdeckung führt auch dazu, dass man weniger Erosion, weniger Abtrag des Bodens durch Wind hat. Zudem muss weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, um Unkraut zu bekämpfen, da es unter der Folie nicht wächst. Die Schwarz-Weiß-Folie sei bis zu zehn Jahre verwendbar. Es gebe auch Betriebe, die damit werben, dass sie ohne Folie Spargel produzieren, sagt Köhr. Dann müsse man als Verbraucher jedoch bis Mitte, Ende April warten, um diesen Spargel zu erhalten. Das sei also eine Frage der Abwägung, wie lange man warten wolle. Ein Großteil der Bevölkerung würde jedoch dann zum importierten Spargel greifen, meint Köhr. Der habe aber eine deutlich schlechtere Öko-Bilanz und der Lohn der Saisonarbeiter sei etwa in Spanien und Griechenland weitaus niedriger.
"Die Folie ist nicht mehr wegzudenken."
Den Einsatz von Dünger sehe er nicht kritisch, sagt Köhr. Dieser werde gebraucht, egal ob im konventionellen oder im ökologischen Anbau. Im Bio-Anbau werde kein künstlich hergestellter Dünger benutzt, dafür Kompost oder Mist. Und was den konventionellen Anbau angehe, so sei die Dünge-Verordnung in Deutschland sehr streng. Auch hier schneide der deutsche Spargel in der Bilanz besser ab als die Importware.
Beheizte Felder gebe es im südlichen Rheinland-Pfalz nicht, so Köhr. Bundesweit gebe es auch nur wenige Beispiele. Oftmals werde dabei die Abwärme von Kraftwerken benutzt.
Und zum Pestizideinsatz erläutert Spargel-Experte Ziegler, dass das Stängelgemüse generell weniger mit Pestiziden belastet sei als andere Gemüsesorten, da der Pflanzenschutz erst nach der Ernte ausgetragen werde. Bis zu zehn Monate vergehen dann, bis die neuen Sprossen kommen. Wer sicher gehen möchte, dass sein Spargel pestizidfrei ist, der muss wohl auf Bio-Spargel zurückgreifen. Beim Bio-Spargel sei der Ertrag durch die Anbaubedingungen aber geringer, das bedeute einen höheren Preis, sagt Ziegler.
Mehr regionaler Spargel über einen längeren Zeitraum
Der Spargel sei eine "Diva", brauche ein gewisses Temperaturregime, so der Fachmann aus Neustadt an der Weinstraße. Und so versuche man, ihm das Leben zu erleichtern. Die Folie sei nicht mehr wegzudenken. Spargel dürfe nicht zu langsam wachsen. So sei es bei zu kühlen Temperaturen früher oft gewesen. Dann beginne er nämlich, unten zu verholzen.
Die Folien hätten natürlich auch Nachteile, nicht nur, dass die Äcker nicht so schön anzuschauen seien. Die Gefahr von Mikroplastik sei, wenn die Folien rechtzeitig beseitigt würden, jedoch sehr gering, lasse sich aber nicht ganz verhindern.
Müsste Spargel nicht viel teurer sein?
Es ist also schwierig, Spargel zu bekommen, der nicht unter einer Folie wuchs und zudem von Arbeitern gestochen wurde, deren sehr harter Job finanziell angemessen gewürdigt wurde. Müssten also, gemessen an der Arbeit, die die Spargelernte macht, die Preise nicht höher sein? Um die Arbeiter angemessen zu bezahlen, um den Anbau umweltverträglich zu gestalten.
Ob es "fairen" Spargel gibt, hängt wohl wesentlich am Verhalten von uns, den Verbrauchern. Würden wir nicht erwarten, dass die Stangen auch gedeihen, wenn es dem Spargel zu kalt ist, bräuchte es weniger Folien. Würden wir uns also gedulden, bis es tatsächlich Spargelzeit ist und in diesem Zeitraum den Spargel wieder als Festessen - für das man bereit ist, entsprechend zu zahlen - betrachten, wäre dies ein Schritt auf dem Weg zum "fairen" Spargel.