Hybride Arbeit und flexible Arbeitszeiten. (Foto: IMAGO, IMAGO / Ikon Images)

Mehr Freizeit bei gleichem Lohn?

Warum so viele Menschen eine Vier-Tage-Woche wollen

STAND
AUTOR/IN
Johanna Stein

In Belgien ist es bereits Gesetz: Angestellte dürfen künftig entscheiden, ob sie ihre Wochenstunden an vier oder fünf Tagen abarbeiten wollen. Auch in Deutschland wünscht sich die Mehrheit der Menschen so eine Regelung - doch welche Vorteile versprechen sich Angestellte und Unternehmen in Rheinland-Pfalz von einer Vier-Tage-Woche?

So funktioniert die Vier-Tage-Woche

Ein Modell, wie das in Belgien, wünschen sich in Deutschland mehr als 70 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv. Hätten Erwerbstätige in Deutschland die Wahl, würden sich demnach knapp 60 Prozent für die Vier-Tage-Woche entscheiden. Weniger als ein Drittel der Befragten würde bei ihrer jetzigen Wochenarbeitszeit mit fünf Arbeitstagen bleiben.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, wie eine Vier-Tage-Woche ablaufen kann: Entweder arbeiten Angestellte, wie in Belgien auch, ihre wöchentliche Arbeitszeit an vier statt an fünf Tagen ab. Oder die gesamte Wochenarbeitszeit verringert sich um wenige Stunden. Bei beiden Modellen sollen die Mitarbeitenden weiterhin den gleichen Lohn erhalten wie zuvor. Das Modell kann sich für Unternehmen und Angestellte lohnen, wenn sie es richtig umsetzen.

Bessere Motivation, bessere Leistung?

In Deutschland ist die Vier-Tage-Woche noch nicht sehr weit verbreitet. In Trassem (Kreis Trier-Saarburg) möchte nun ein Wellness-Hotel ein entsprechendes Konzept einführen. Hotelier Niko Boesen erhofft sich dadurch zufriedeneres Personal, das motivierter arbeitet und länger im Betrieb bleibt.

Video herunterladen (16,8 MB | MP4)

Dass es durchaus möglich ist, mit einer Vier-Tage-Woche ein besseres oder zumindest gleichbleibendes Arbeitsergebnis zu erzielen, belegt eine Studie aus Island, die von 2015 bis 2019 durchgeführt wurde. Bei einem groß angelegten Projekt arbeiteten 2.500 Menschen über vier Jahre hinweg nur noch an vier Tagen pro Woche mit einer Wochenarbeitszeit von 35 bis 36 Stunden statt wie zuvor 40. Sie fühlten sich dabei wohler und weniger gestresst. Gleichzeitig waren sie effizienter und haben zum Teil sogar produktiver gearbeitet als zuvor. Weniger Stunden bedeuten also nicht unbedingt, dass dadurch auch weniger Arbeit geleistet wird.

Zeitoptimierung als Schlüssel zum Erfolg

Dass eine Vier-Tage-Woche sinnvoll ist, denkt auch Karrierecoachin und Zeitmanagement-Trainerin Cordula Nussbaum. "Unser privater Alltag ist sehr komplex geworden", erklärt sie. Bei den vielen Verpflichtungen sei ein geschenkter freier Werktag daher sehr entlastend. Damit das System erfolgreich anlaufen könne, müsse ein Unternehmen seine Abläufe auf den Prüfstand stellen und "Zeitfresser" eliminieren. Gemeint sind damit beispielsweise umständliche Kommunikationstools oder zeitaufwändige Programme.

Wenn das Arbeitspensum zu hoch ist, führt eine Vier-Tage-Woche also nur dazu, dass Angestellte mehr Stress ausgesetzt sind. Dieser Meinung ist auch Alexander Spermann, ein Arbeitsmarktforscher und Volkswirt, der in Köln und Freiburg lehrt. Er gibt zu bedenken: "Die Vier-Tage-Woche verlangt hochproduktives Arbeiten." Wenn das Arbeitspensum gleich bleibe, bedeute das mehr Druck und mehr Stress für die Mitarbeitenden. "Daran kann man sich aber auch gewöhnen", sagt Spermann. Er ist der Meinung, dass sich das Arbeitsmodell bei einem gleichbleibenden Wochenpensum nur für bestimmte Branchen und Mitarbeitende eignet. Unternehmen sollten die Möglichkeit allerdings anbieten, so würde sich zeigen, wer es wirklich will und wer es schaffen kann.

Fluch oder Segen im Kampf gegen den Fachkräftemangel?

In Branchen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind, wollen manche Unternehmen die Vier-Tage-Woche anbieten, um einen Anreiz für Interessierte zu schaffen. So auch das Eifeler Fensterbauunternehmen Helmuth Meeth aus Wittlich. Der Betrieb wollte das Modell ursprünglich ab März 2022 anbieten.

Nun verzögert sich der Projektstart jedoch aus demselben Grund, aus dem das Modell überhaupt erst eingeführt werden sollte: Fachkräftemangel. "Wir können das Projekt aufgrund des Personalmangels aktuell nicht umsetzen", heißt es von Unternehmensseite. Die Vier-Tage-Woche stehe jedoch weiterhin auf der Agenda.

Das denken große Unternehmen aus Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz bewerten große Unternehmen das Modell der Vier-Tage-Woche sehr unterschiedlich. So lehnt die Versicherungsgruppe Debeka mit Hauptsitz in Koblenz das Modell derzeit vollständig ab. "Einen vollen Lohnausgleich zu leisten, also gleiches Gehalt bei geringerer Arbeitszeit, kommt für uns aus Kosten- und Wettbewerbsgründen nicht in Frage", erklärt Vorstandsvorsitzender Thomas Brahm. Im Gegenteil könne sich das Unternehmen derzeit eine Ausweitung der Fünf-Tage-Woche vorstellen. Gäbe es die Möglichkeit, samstags zu arbeiten, könnten Mitarbeitende ihre Arbeitszeit flexibler einteilen und das Unternehmen profitiere von einer besseren Erreichbarkeit, heißt es dazu von Unternehmensseite.

Der Chemiekonzern BASF aus Ludwigshafen lehnt eine Vier-Tage-Woche bislang ebenfalls ab. "Eine Vier-Tage-Woche ist für uns als weltweit agierendes Chemieunternehmen mit Produktionsstandorten, an denen vollkontinuierlich gearbeitet wird, gegenwärtig keine Option", heißt es in einem Statement des Unternehmens.

Anders handhabt es die Deutsche Bahn, deren Logistikunternehmen DB Cargo mit Sitz in Mainz zu einem der größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz zählt. Die klassische Fünf-Tage-Woche ist dort nicht weit verbreitet, was vor allem an den Schicht- und Wechseldiensten liegt. Das Unternehmen bietet jedoch viel Spielraum, was die Arbeitszeiten und den Arbeitsumfang der Angestellten betrifft. Ältere Mitarbeitende, die schon lange im Betrieb arbeiten, können eine Vier-Tage-Woche in Anspruch nehmen. Die anderen Mitarbeitenden der Deutschen Bahn bestimmen selbst, wie viel sie arbeiten möchten. Hierfür legen sie ein Jahresarbeitszeitsoll fest. Dieses Modell wünscht sich Arbeitsmarktforscher Spermann für die Zukunft.

Ist die Arbeitswelt insgesamt noch zu unflexibel?

Audio herunterladen (4,9 MB | MP3)

Spermann ist der Meinung, dass die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerwelt noch viel zu unflexibel seien. Man müsse von der klassischen Wochenarbeitszeit wegkommen und stattdessen Modelle verfolgen, die an einer Jahresarbeitszeit ausgerichtet sind, oder sogar darüber hinaus gehen. Sinnvoll wäre Spermann zufolge eine Arbeitszeit, die sich über das gesamte Leben verteilt und die verschiedenen Lebensphasen mitberücksichtigt. Ein Schritt in die richtige Richtung sei dafür die Jahresarbeitszeit. "Wir müssen einfach wegkommen von dieser Wochenbetrachtung."

Mehr zum Thema

Hohe Spritpreise und das Pendeln Wie wird es mit dem Homeoffice weitergehen?

Die Pandemie hat unsere Arbeitswelt grundlegend gewandelt. Mobiles Arbeiten wurde für viele zur neuen Normalität. Doch wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus? Vorstellungen von Beschäftigten und Unternehmen gehen weit auseinander.

Trier

Tausende Stellen sind 2021 unbesetzt geblieben Was Firmen gegen den Fachkräftemangel in der Region Trier tun

Für Betriebe in der Region Trier wird es immer schwieriger, Personal zu finden. Fast alle Unternehmen haben zu kämpfen, manche setzen auf kreative Ideen.

STAND
AUTOR/IN
Johanna Stein