Eine Gurke wird über einen Gemüsekorb gereicht - im Moment steigen Preise für Lebensmittel so stark an, dass manche Menschen sich sogar überlegen müssen, ob sie sich noch eine Gurke leisten können. Auch die Energiekosten schnellen in die Höhe. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich)

Steigende Lebenshaltungskosten in RLP

Wenn's am Monatsende nicht mal mehr für eine Gurke reicht

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Tim Stobbe
Tim Stobbe ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz (Foto: SWR)

Bei immer mehr Menschen in Rheinland-Pfalz ist deutlich vor Monatsende das Konto leer. Strom, Gas, Lebensmittel, Wohnen - alles ist teurer geworden. "Wir können nicht keine großen Sprünge machen, wir können gar keine Sprünge machen", sagt eine Hartz-IV-Empfängerin aus Koblenz.

"Bisher hat's immer irgendwie noch funktioniert." Veronika Erol bezieht seit zwei Jahren Arbeitslosengeld II - Hartz IV. Mit ihrer elfjährigen Tochter lebt die 42-jährige Alleinerziehende in Koblenz. Geld war seitdem nie viel da, aber es hat ihr gereicht, sagt sie. Seit Jahresbeginn jedoch nicht mehr: "Das Geld bleibt gleich, aber alles andere explodiert."

In fast allen Bereichen des Alltags ist das Leben teurer geworden. Der Verbraucherpreisindex - ausgewählte Ausgaben von Privathaushalten - ist in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Inflationsrate war im Dezember 2021 mit 5,3 Prozent so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Preise für Strom, Gas und Sprit sind im Januar 2022 20 Prozent höher als im Vorjahr.

Lebensmittel im Januar mehr als acht Prozent teurer

Auch die Preise für Lebensmittel haben stark angezogen: Von Dezember auf Januar erhöhten sich die Preise für frisches Gemüse im Schnitt um 8,3 Prozent, für Milch, Butter und Molkereiprodukte um 6,3 Prozent. Gleichzeitig sind seit Jahren mehr und mehr Menschen von Armut gefährdet - in Rheinland-Pfalz wie auch bundesweit.

"Wenn man genau hinschaut, was man wirklich braucht, geht es mit Hartz IV", sagt Veronika Erol. Nach einer Forderung ihres Stromanbieters geht es bei ihr jedoch nicht mehr: 700 Euro musste sie nachzahlen. Beim Caritasverband in Koblenz hat sie sich Hilfe gesucht. Dort bekommt sie Lebensmittelgutscheine, mit denen sie einkaufen gehen kann, wenn das Geld nicht mehr zum Einkaufen reicht. "Es ist unfassbar", sagt sie. "Vor allem die Preise für Frisches."

Die Gurke, die ihre Tochter gerne isst, kostete sonst 60 oder 70 Cent. Inzwischen ist dafür an vielen Tagen fast das Doppelte fällig. Einkaufen geht sie abends, wenn frische Lebensmittel häufig reduziert sind, immer mit dem Taschenrechner-Programm des Handys in der Hand, um ihr Budget im Blick zu behalten und nicht an der Kasse Ware zurücklegen lassen zu müssen. "Das wäre mir sehr peinlich", sagt sie.

Steigende Preise "haben Leuten reihenweise das Genick gebrochen"

Bei seiner Arbeit in der Sozialberatung beim Caritasverband Koblenz hat Julian Rönner täglich mit Menschen wie Veronika Erol zu tun. "Es ist einfach zu wenig Geld bei den Leuten", sagt er. "Das Brot, die Banane, der Liter Sprit - die Lebenshaltungskosten sind zu hoch, bei den Mieten ist es schon lange so." Bis zu diesem Winter sei es bei vielen so gerade eben noch gut gegangen. Die steigenden Energiepreise "haben den Leuten reihenweise das Genick gebrochen", sagt Rönner.

Dass viele Menschen mit ihrem Einkommen aus teils mehreren Jobs oder mit den Sozialleistungen wie Hartz IV nicht auskommen, ist nicht neu. In den nun mehr als zwei Jahren der Corona-Pandemie hat sich die Lage jedoch zugespitzt. "Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas auf all das, was vorher nicht funktionierte", beobachtet Tanja Gambino, Leiterin der offenen Sozialarbeit beim Diakoniewerk Pfalz.

Viele Jobs sind in der Pandemie weggefallen

Schon vor der Pandemie hätten viele Menschen Schwierigkeiten, ihre Stromrechnungen und Miete zu zahlen oder überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Doch seien es vor der Pandemie vor allem Menschen in akuten Krisen, mit geringem Einkommen oder Empfänger von Sozialleistungen gewesen, die Hilfe in der Sozialberatung gesucht haben.

Hinzu gekommen sind laut Gambino viele Menschen in Kurzarbeit, Solo-Selbständige und auch Studierende, die ihre Ersparnisse aufgebraucht haben, durch die Pandemie zu wenig Einkommen haben oder ihre Mini-Jobs verloren haben. Auch Veronika Erol konnte zuletzt ihrem Mini-Job als Reinigungskraft nicht nachgehen: Zuerst war ihre Tochter, anschließend sie mit dem Coronavirus infiziert und sie mussten sich über Wochen isolieren.

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"Viele sind aus dem unteren Mittelfeld in die Armut gerutscht", schildert Landesdiakoniepfarrer Albrecht Bähr seine Beobachtungen. "Die Leute haben inzwischen existentielle Ängste." Die finanziellen Probleme erhöhten zudem den Druck in anderen Lebensbereichen, die Sozialberatungen seien voll: "Wir beobachten einen Anstieg bei häuslicher Gewalt", sagt Bähr. "Und Menschen, die clean waren, aber wieder in ihrer Sucht rückfällig werden."

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