Während viele Kinder im Land schon jetzt das nahende Ende der Sommerferien bedauern, kann der zehnjährige Johann den 4. September kaum abwarten. Dann kommt er auf das Sebastian-Münster-Gymnasium (SMG) in Ingelheim, mit rund 1.700 Schülerinnen und Schülern das größte Gymnasium in Rheinland-Pfalz.
Für Johanns Eltern bedeutet der Schulstart wie für viele tausende Eltern im Land große Investitionen. Jedes Jahr im Spätsommer rufen Lehrerinnen und Lehrer umfangreiche Listen mit Materialien auf, vom Schulbuch bis zum Spezialbleistift - trotz fortschreitender Digitalisierung an den Schulen. Und gerade die Dinge, die es für den Schulalltag braucht, werden von Jahr zu Jahr teurer.
Preise für Hefte und Blöcke besonders stark gestiegen
Ob Hefte, Blöcke, Stifte oder Schulbücher - alles, was sich im Schulranzen findet, ist in den vergangenen Jahren erheblich teurer geworden. Am stärksten ist der Preisanstieg laut Statistischem Bundesamt bei Papierprodukten wie Schulheften oder Zeichenblöcken. Sie kosten 13,6 Prozent mehr als vor einem Jahr und fast doppelt so viel wie im Juli 2020. Die Bücherpreise sind dagegen nur moderat gestiegen.
"Wenn man sich anschaut, welche Posten da pro Schuljahr zusammenkommen, ist das schon heftig", sagt Johanns Vater, der selbst Lehrer ist und deswegen weiß: Die Finanzsituation des Elternhauses hat einen sehr großen Anteil an den Bildungschancen der Kinder. "Diese Preissteigerungen machen die Unterschiede dann noch deutlicher. Das kann nicht im Sinne der Bildungsgerechtigkeit sein."
Mehr Digitalisierung durch iPads in Schulen
Die Schule seines Sohnes ist eine sogenannte iPad-Schule. Alle Schülerinnen und Schüler benötigen ab der 5. Klasse für "unterrichtliche Zwecke" ein iPad. Das Gerät, das hier die Eltern anschaffen müssen, darf nicht zu groß, zu klein oder zu alt sein. Inklusive Zubehör, Bruchschutz und Versicherung kommen so hohe Beträge zusammen. Außerdem brauchen die Kinder weiter analoge Materialien wie Blöcke, Stifte und Bücher.
Immerhin: Ingelheim gibt Schülerinnen und Schülern mit Erstwohnsitz in der Stadt unabhängig vom Schulort einen Pauschalbetrag für die Lernmittel hinzu. Pro Kind und Schuljahr erhalten Eltern 135 Euro (weiterführende Schule) beziehungsweise 110 Euro (Grundschule). Das ist allerdings kein Standard in Rheinland-Pfalz.
Keine Lernmittelfreiheit in RLP
Anders ist es in Baden-Württemberg oder in Hessen, wo Johanns Vater als Politik- und Englischlehrer arbeitet. In beiden Bundesländern herrscht Lernmittelfreiheit, Eltern können also umsonst Schulbücher leihen. Er schätzt, so spare man "locker 150 bis 200 Euro pro Schuljahr". Wiesbaden und andere Städte stellten den Schülerinnen und Schülern zudem neuerdings iPads als Gratis-Leihgabe zur Verfügung.
In Rheinland-Pfalz können sich lediglich Familien mit geringem Einkommen (nicht mehr als insgesamt 26.500 Euro im Jahr) über das Bildungs- und Teilhabepaket an einer kostenlosen Schulbuchausleihe beteiligen. Zudem gibt es die Möglichkeit, Unterstützung über Sozialhilfeleistungen zu erhalten.
Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium betont auf SWR-Anfrage, Bildungschancen sollten in Rheinland-Pfalz nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Es verweist unter anderem auf die Option für alle Eltern, freiwillig an der Schulbuchausleihe für gedruckte Lernmittel teilzunehmen.
Eltern müssen dann für einjährig verwendete Schulbücher ein Drittel des Ladenpreises zahlen. Bei Schulbüchern, die zwei oder drei Jahre im Einsatz sind, wird ein Sechstel fällig. Länger als drei Jahre im Unterricht genutzte Schulbücher sowie Arbeitshefte und Grammatik- oder Wörterbücher können Eltern nicht kostenpflichtig ausleihen.
Kinderschutzbund fordert mehr Geld für arme Familien
Der Kinderschutzbund fordert zum Start des neuen Schuljahrs eine deutlich stärkere finanzielle Unterstützung für ärmere Familien in Rheinland-Pfalz. "Bildung muss komplett kostenfrei sein, damit auch Kinder aus Familien mit geringem Einkommen eine Chance haben", erklärt der Landesvorsitzende Klaus Peter Lohest am Dienstag.
Die Kosten für Schulhefte, Zeichenblöcke, Stifte und Farbkästen seien erheblich gestiegen und die Mittel aus dem Bildungspaket des Bundes viel zu niedrig für die vielen notwendigen Anschaffungen. Damit würden die Ungleichheiten im Bildungssystem vom ersten Schultag an zementiert, mahnt Lohest.
RLP: Nicht die Lehrer bestimmen über Schulbücher
Laut Bildungsministerium entscheiden in Rheinland-Pfalz die Schulen über die verwendeten Unterrichtsmaterialien. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass "im Sinne der Sparsamkeit und Nachhaltigkeit nur die Materialien angeschafft werden sollten, die auch Verwendung finden".
Änderung der Verwaltungsvorschrift Schulbuchbeschaffung in RLP: Wenn die Schulbücher nicht mehr vor Ort bestellt werden
Wenn Schulen Schulbücher brauchen, bestellen sie in der Regel bei der Buchhandlung ihres Vertrauens. Wegen einer neuen Vorschrift geht das nicht mehr so einfach.
Nachfrage bei einem Mathe- und Physiklehrer eines Mainzer Gymnasiums. Ärgert auch er die Eltern mit langen Materiallisten? Er sagt, es seien vor allem die Bücher, die den größten Posten ausmachten. Darüber zu entscheiden, welches Buch, welche Arbeits- und Lernhefte im Unterricht verwendet würden, liege nicht im Ermessen des einzelnen Lehrers. Darüber stimme sich die jeweilige Fachschaft ab. Frei sei er nur darin vorzugeben, welche Hefte oder Stifte von den Schülern angeschafft werden sollen. Doch das halte sich im Rahmen.
Digitalisierung zur Nachhaltigkeit, nicht als Selbstzweck
Eine wesentliche Rolle spiele dabei die Nachhaltigkeit. Mit Hilfe digitaler Unterrichtsmaterialien und Schulbücher könne viel erreicht werden, heißt es vom VBE. Aktuell sei man bei der Digitalisierung aber einfach noch nicht auf dem dafür nötigen Stand. Wenn beispielsweise Bücher digital verfügbar wären, könnte einiges an Kosten und auch an Gewicht im Schulranzen eingespart werden.
Digitale Lernmittel sind den gedruckten in Rheinland-Pfalz seit dem Schuljahr 2019/20 gleichgestellt. Schulen können daher digitale Lernmittel offiziell im Unterricht verwenden. Das Bildungsministerium betont dabei, Digitalisierung an Schulen dürfe kein Selbstzweck sein. Der Einsatz digitaler Medien und Möglichkeiten müsse pädagogisch motiviert sein und fundiert umgesetzt werden.
Langer Weg zur Digitalisierung des Unterrichts
Für Schülerinnen und Schüler mit Lernmittelfreiheit übernimmt das Land die Kosten für die notwendigen Geräte. Seit 2020 seien aus Landes- und Bundesmitteln insgesamt mehr als 70.000 mobile Endgeräte für Kinder aus einkommensschwachen Familien bereitgestellt worden, heißt es vom Bildungsministerium.
Bei den meisten anderen Kindern müssen die Eltern die Kosten für Geräte und Lizenzen für digitale Lernmittel selbst zahlen. Verantwortlich für deren Beschaffung bei den Verlagen sowie für die Rechnungsabwicklung sind die Schulen.
200 Schulen Teil eines digitalen Pilotprojekts
So läuft es auch am SMG in Ingelheim. Das Gymnasium nimmt als eine von rund 200 Schulen im Land teil am Pilotprojekt "Digitales Bücherregal" des Bildungsministeriums. Eltern können dabei freiwillig digitale Lizenzen für Schulbücher bestellen - allerdings nicht anstelle, sondern nur zusätzlich zu den verpflichtend anzuschaffenden Printversionen.