Geldscheine, Deutsche Rentenversicherung (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann)

Deutliches Rentenplus zum 1. Juli

Die Renten steigen kräftig - doch wie zukunftsfest ist das System?

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Christian Papadopoulos

Am 1. Juli sind die Renten so stark wie seit Jahrzehnten nicht gestiegen – um 5,35 Prozent in Westdeutschland. Gleichzeitig brodelt es im System: Immer weniger Menschen im Arbeitsleben finanzieren immer mehr Renten.

Ein Ansturm von Millionen Babyboomern auf die Rentenkasse steht kurz bevor. Das bedeutet zusätzliche Milliardenausgaben. Doch was ist mit den Jungen? Bekommen sie noch Rente und wenn, in welcher Höhe?

Warum steigen die Renten in diesem Jahr so deutlich?

Die Rentenfinanzen haben sich nach Auffassung von Bundesarbeitsminister Hubert Heil (SPD) in Deutschland positiv entwickelt, weil der Arbeitsmarkt in der Krise stabil geblieben sei. Tatsächlich sind die Löhne im vergangenen Jahr wieder deutlich gestiegen – um 3,8 Prozent im Vergleich zum Corona-Krisenjahr 2020, so das Statistische Bundesamt. Mit steigenden Löhnen werden stets auch die Rentenbezüge angepasst – zum 1. Juli nun um 5,35 Prozent im Westen und 6,12 Prozent im im Osten.

Bei der Deutschen Rentenversicherung in Rheinland-Pfalz mit Sitz in Speyer sieht man die Entwicklung positiv. Pressesprecher Hans-Georg Arnold sagte dem SWR: "Mit 5,35 Prozent ist die Rentenanpassung in diesem Jahr so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Für die Rentnerinnen und Rentner mildert das den starken Anstieg der Preise etwas ab. Auch im Rückblick sind die Renten kräftig gestiegen. So hat sich die Standardrente im Westen von 2010 auf 2020 um über 25 Prozent erhöht. Das liegt deutlich über der Inflationsrate."

"Einmal mehr zeigt sich: Auf die gesetzliche Rente ist Verlass und sie ist gerade in Krisenzeiten stabil."

Kritik von Sozialverbänden, Gewerkschaften und Arbeitgebern

Trotz der deutlichen Rentensteigerung sind Sozialverbände und Gewerkschaften unzufrieden: Sie kritisieren, dass Rentnerinnen und Rentner von der Erhöhung der Bezüge kaum profitieren werden. Die hohe Inflation fresse das Geld komplett auf, so DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Tabelle Rentenanpassung seit 2003  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/dpa-infografik GmbH | dpa-infografik GmbH)
Renten steigen ab 1. Juli überdurchschnittlich.

Sie kritisierte auch, dass die Bundesregierung den bisher ausgesetzten Nachholfaktor in diesem Jahr wieder einführt. Der soll die Nullrunde im vergangenen Jahr ausgleichen, als die Renten eigentlich sogar hätten sinken müssen. Das verhinderte jedoch die Rentengarantie. Unterm Strich fällt die Erhöhung in diesem Jahr durch den Nachholfaktor etwas geringer aus als eigentlich vom System vorgesehen.

Wirtschaftswissenschaftler halten das für notwendig, um Generationengerechtigkeit herzustellen – die jüngere Generation also nicht durch ständige Beitragserhöhungen zu belasten. Das sagt auch Arbeitsminister Heil:

"Wir wollen langfristig die Renten stabil halten, für alle Generationen, damit es Sicherheit im Alter gibt."

Heil verwies zudem darauf, dass die Renten trotz Nachholfaktor für 2022 weiterhin über vier Prozent steigen würden. Das sei immer noch sehr ordentlich. Doch auch daran entzündet sich Kritik: Der Bundesverband der Arbeitgeber warnte vor immer weiter steigenden Kosten der Rentenversicherung. Renten, die wie in diesem Jahr deutlich stärker stiegen als die Löhne, seien auf Dauer nicht bezahlbar.

Deutsche Rentenversicherung: Arbeitsmarkt und Beitragseinnahmen stabil

Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, verweist im Gespräch mit dem SWR darauf, dass eine gute Ausbildung, eine gute Teilhabe und wenige Lücken in der Rentenversicherung die besten Voraussetzungen für eine stabile Rentenversicherung seien. Aber auch die private Vorsorge sei wichtig, so Roßbach.

"Wir haben uns ja in Deutschland entschieden, dass die Rentenversicherung nicht das Versorgungssystem ist, was allein fürs Alter tragen soll, sondern es gab ja damals auch den Einstieg in die staatlich geförderte private Altersversorgung. Ich war gerade in einer Schule und ich kann jungen Menschen nur raten: Versucht das System zu verstehen, wie funktioniert das, und von Anfang an auch mitzudenken, dass man das, was man hat, auch in Vorsorge investiert und nicht nur in den Konsum", sagte Roßbach.

Trotz der Pandemie habe die Rentenversicherung in in den ersten fünf Monaten des Jahres ein Plus von sechs Prozent bei den Pflichtbeiträgen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erwirtschaftet. Mit 39 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gebe es sogar mehr als vor der Pandemie. Arbeitsmarkt und Beitragseinnahmen seien stabil, die Renten seien immer pünktlich ausgezahlt worden. Die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage liegt laut Roßbach bei 40 Milliarden Euro.

Positiver Trend zeigt sich auch in Rheinland-Pfalz

Die Zahl der rentenversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich in auch Rheinland-Pfalz in den vergangenen Jahren deutlich erhöht - dank der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der hohen Nachfrage vor allem nach Fachkräften. Wie die Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz mitteilte, waren 2020 knapp 1,6 Millionen Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Zur Jahrtausendwende lag diese Zahl mit 1,2 Millionen deutlich darunter. Gestiegen sei auch der Anteil von Frauen unter den rentenversicherungspflichtig Beschäftigten von 42 Prozent im Jahr 2000 auf rund 48 Prozent im Jahr 2020.

Selbstständige sollten auch in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen

Roßbach kritisierte allerdings, dass Deutschland das einzige Land in Europa sei, das die Selbstständigen nicht in das staatliche Rentensystem integriert hat. Über drei Millionen Menschen seien derzeit nicht abgesichert. Bereits in der letzten Legislaturperiode habe es Überlegungen gegeben, das zu ändern. Auch die neue Ampel-Koalition habe ähnliche Vorstellungen. "Wir haben festgestellt, wenn ich als Selbstständiger nachher in die Rente gehe, bin ich doppelt so häufig betroffen von Grundsicherung. Da wäre Handlungsbedarf aus meiner Sicht, da wir ja diese ganzen Fürsorgeleistungen aus unseren Steuermitteln bestreiten müssen. Es stellt sich daher schon die Frage, inwieweit ich alle Menschen, die erwerbstätig sind, dann auch in der einen oder anderen Weise sich an ihrer eigenen Altersvorsorge verpflichtend beteiligen lasse“, sagte Roßbach.

Deutschland profitiert von Zuwanderung im Erwerbsleben

Die Bundesagentur für Arbeit habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland Zuwanderung benötige. "Und wir hatten auch in den letzten zehn Jahren eine immense Zuwanderung aus dem europäischen Ausland. Fast zwei Millionen Menschen sind quasi unbemerkt in unseren Arbeitsmarkt integriert worden. Das ist die eine Facette. Wir haben noch Erwerbsbeteiligung von Frauen, die sich auch so langsam steigert. Auch das bringt Beitragseinnahmen. In diesem Sektor, denke ich, müssen wir in Deutschland eine Menge investieren, weil wir es aus unserer eigenen Kraft heraus nicht erreichen“.

"Der Arbeitsmarkt ist das Spiegelbild der Sozialversicherung, denn darüber werden die Einnahmen generiert."

Trotz längerer Lebenserwartung kein Grund zur Panik bei Rente

Gabriele Frenzer-Wolf, Direktorin der Rentenversicherung Baden-Württemberg, sagt, dass wir einen großen Teil des demografischen Wandels durchlebt haben, ohne dass die Rentenversicherung zusammengebrochen sei. Im Gegenteil, trotz der immer längeren Lebenserwartung der Menschen seien die staatlichen Zuschüsse zur Rentenversicherung heute um 25 Prozent niedriger als in der Gründungsphase des umlage-basierten Systems vor 65 Jahren unter dem damaligen Bundeskanzler Adenauer (CDU). Panikmache sei überhaupt nicht angesagt. Man habe viele Krisen überstanden, etwa die Finanzkrise von 2008 oder jetzt die Corona-Pandemie, und man sei da gut durchgekommen. Auch die Menschen, die wegen Corona in Kurzarbeit waren, hätten weiterhin Rentenbeiträge gezahlt.

Frauen im Westen arbeiten noch zuviel in Teilzeit

Frauen hätten bei der Rente aufgeholt. Das liege daran, dass die Frauen immer stärker am Erwerbsleben beteiligt sind. Die Erwerbsquote von Frauen habe sich im Westen deutlich herangearbeitet an die der Männer. Die Zahl der Beitragsjahre der Frauen habe sich in den letzten 20 Jahren um fast zehn Jahre erhöht. Dennoch seien die Renten der Frauen in Westdeutschland noch deutlich niedriger als die der Männer - etwa um ein Drittel. Das liege daran, dass im Westen vor allem das Zuverdiener-Modell gelebt werde. Frauen arbeiteten lange in Teilzeit. Im Osten sei das ganz anders. Denn dort hätten die Frauen in der DDR-Zeit in Vollzeit gearbeitet, und das habe sich bis heute kaum geändert. Frauen sollten auch im Westen mehr arbeiten, dann könne durch höhere Beitragseinnahmen die Welle der Baby-Boomer gut überstanden werden, forderte Frenzer-Wolf. Sie sprach sich gegen eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters aus. Wichtiger sei, dass die Menschen gut bis 67 Jahre arbeiten könnten. Dafür sei gesundheitliche Prävention besonders wichtig.              

Wer kann freiwillig in die Rentenkasse einzahlen?

  • Personen, die keine Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Selbstständige, Beamte und Freiberufler, aber auch Frührentner, die ihre Ansprüche noch im Ruhestand erhöhen wollen. Selbstständige können die freiwilligen Leistungen als Vorsorge von der Steuer absetzen.
  • Pflichtversicherte unter 45 Jahren, die für Schul- und Ausbildungszeiten Beiträge nachzahlen wollen.
  • Pflichtversicherte über 50: Sie können der Rentenversicherung anzeigen, dass sie planen, in Vorruhestand zu gehen und die damit einhergehenden Abschläge ausgleichen wollen. Die Rentenversicherung berechnet dann eine zu bezahlende Ausgleichssumme. Diese Summe dürfen die Betroffenen dann zusätzlich in die Rentenkasse einzahlen. Sie müssen aber später nicht davon Gebrauch machen. Das heißt, wenn man später regulär in Rente geht, werden diese Beiträge zusätzlich auf die Rente angerechnet. Die Untergrenze liegt in diesem Jahr bei 83,70 Euro pro Monat, das entspricht einer zusätzlichen Anwartschaft von 4,75 Euro im Monat. Die Beitragsobergrenze etwa für Selbstständige entspricht der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. In diesem Jahr sind das 15.763,60 Euro für das ganze Jahr.

Die Summen können auch auf einmal in einem Jahr eingezahlt werden. Welche Ansprüche sich aus den Einzahlungen ergeben, das heißt, wie viele Rentenpunkte damit erworben werden, errechnet die Deutsche Rentenversicherung Jahr für Jahr neu auf Grundlage des bundesweiten Durchschnittseinkommens.

Lohnen sich die freiwilligen Zahlungen in die Rentenkasse und für wen?

Die gesetzliche Rente ist wenig flexibel. Wer einmal Geld eingezahlt hat, der bekommt es nicht mehr zurück. Als Finanzierungsreserve für unvorhersehbare Ausgaben wie das neue Auto oder die defekte Heizung steht die Summe nicht mehr zur Verfügung. Einen privaten kapitalgedeckten Rentenvertrag kann ich dagegen vorzeitig kündigen, wenn auch mit Verlusten, und mir die Gesamtsumme auszahlen lassen. Außerdem ist die gesetzliche Rentenversicherung eine Wette auf ein langes Leben. Nach pauschalem Abzug von Steuern und Abgaben lohnt sich die Investition erst rund 16 Jahre nach Rentenantritt. Solange dauert es, bis die Summe der Auszahlungen die zuvor eingezahlten Beiträge übersteigt. Die gute Nachricht: Statistisch gesehen erreichen Menschen in Deutschland dieses Alter.

Andererseits läuft die Auszahlung sehr verlässlich, die Ansprüche können teilweise auf Hinterbliebene übertragen werden (Stichwort Witwenrente), und die Beiträge können von der Steuer abgesetzt werden. Wie groß diese Steuervorteile sind, kann allerdings nur eine individuelle Berechnung zeigen. Ausführliche Informationen zu diesen Fragen finden Sie auch online bei der Stiftung Warentest.   

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Christian Papadopoulos