Rückblick auf die 70er-Jahre in Rheinland-Pfalz (Foto: picture-alliance / Reportdienste, SWR, Montage: SWR)

Zeitgeschichte

Als die Rote Armee Fraktion nach Rheinland-Pfalz kam

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Anna-Lara Weidinger
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Vor 50 Jahren überfielen im Februar 1972 acht Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) eine Bank in Ludwigshafen. Das war jedoch nicht der einzige Anschlag der Gruppe in Rheinland-Pfalz: Wir zeichnen nach, wo im Land Bezüge stecken.

Lange, bevor sich die Rote Armee Fraktion im "Deutschen Herbst" 1977 auf prominente Vertreter der Bundesrepublik und der Industrie konzentrierte, gab es in Rheinland-Pfalz einige Überfälle, Attentate und den weiteren Verlauf der Geschichte prägende Ereignisse. Einige von ihnen haben wir herausgestellt.


22. Dezember 1971: Banküberfall in Kaiserslautern und Mord an Herbert Schoner

Um kurz nach 8 Uhr herrscht in der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank wenig Betrieb, als sie von drei mit Strickmützen maskierten Täter überfallen wird, die insgesamt 135.000 Deutsche Mark erbeuten. Die Tat, nur zwei Tage vor Heiligabend, sorgt bundesweit für Entsetzen, denn ein junger Polizist, der erst 32-jährige Herbert Schoner, wird ermordet.

Mehrere Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) überfielen am 22.12.1971 die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in Kaiserslautern. Dabei kam der Polizist Herbert Schoner ums Leben. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)
Sie war Ziel des Überfalls: Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in der Fackelstraße.

Schoner begleitet einen Angestellten der pfälzischen Regierungskasse zu Fuß bei einem Geldtransport, als er, wenige Meter von der Bank entfernt, einen VW-Bus im Halteverbot sieht. Als er den Fahrer ansprechen will, setzt dieser den Bus zurück und feuert dann mehrere Schüsse durch das Seitenfenster ab. Der schwer verletzte Schoner schleppt sich bis zur Eingangstür der Bank, wo er von den herausstürmenden RAF-Mitgliedern erschossen wird. An Heiligabend wird der Polizist, der eine Frau und zwei kleine Kinder hinterlässt, in seiner Heimatgemeinde Weilerbach beigesetzt. 1.000 Menschen nehmen an der Beerdigung teil.

Für viele Menschen kommt es überraschend, dass die RAF ausgerechnet in Kaiserslautern zuschlägt. Die Tat verdeutlicht: Es kann zu jeder Zeit, an jedem Ort, so weit sein. Historiker sind sich heute einig, dass diese frühen Überfälle keine politisch motivierten Taten sind, sondern dem Aufbau der Stadtguerilla gelten. Mit dem geraubten Geld werden zum Beispiel Waffen und gefälschte Ausweispapiere beschafft und Wohnungen angemietet. Nach Ansicht der Ermittler sind unter anderem Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe am tödlichen Banküberfall beteiligt. Kurz nach der Tat entdeckt eine Sonderkommission im Almenweg 7e eine konspirative Wohnung der RAF mit zahlreichen Fingerabdrücken, unter anderem von Meinhof.

21. Februar 1972: Banküberfall in Ludwigshafen

Nur drei Monate nach dem Banküberfall in Kaiserslautern und dem Mord an Herbert Schoner überfallen acht RAF-Terroristen, mit Fasnachtsmasken getarnt, wiederum eine Filiale der Hypotheken- und Wechselbank - diesmal am Ludwigshafener Ludwigsplatz. Ihre Beute: Rund 286.000 Deutsche Mark. Die Tat zählt zur Auftaktphase der Vorbereitungen für die erste "Offensive" der Baader-Meinhof-Bande in Westdeutschland - und wurde nie aufgeklärt. Auch verurteilt wurde bis heute niemand.

Beim Ludwigshafener Polizeipräsidium klingeln an jenem Morgen pausenlos die Telefone, Anrufer melden schwere Verkehrsunfälle, Schlägereien, Diebstähle. Aber sie sind nur ein Ablenkungsmanöver, um die Polizei zu zerstreuen: Gegen 8:30 Uhr stürmen die acht RAF-Terroristen die Bank. Sie sind schwer bewaffnet, eine Täterin gibt einen Schuss in die Decke ab. Sie entwenden Geld aus der Kasse im Schalterraum und zwingen die Angestellten, die Tresore zu öffnen. Um 8:35 Uhr verlassen sie die Bank bereits wieder - und die Polizei trifft erst um 8:40 Uhr am Ludwigsplatz ein.

1974: Holger Meins verhungert in der JVA Wittlich

Der Tod Holger Meins', der an Bombenanschlägen auf US-Einrichtungen, Banküberfällen und Attentaten beteiligt gewesen sein soll, gilt als Meilenstein im Zusammenhang mit der jahrelangen Radikalisierung der RAF. Von Sympathisanten wurde er zum Märtyrer stilisiert. Meins, 33 Jahre alt, wog bei 1,86 Meter Größe zum Schluss nicht einmal mehr 40 Kilogramm. Der ehemalige Filmstudent schließt sich im Oktober 1970 der RAF an und wird 1972 zusammen mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in Frankfurt verhaftet.

Über die JVA in Bochum und Koblenz landet er im Frühjahr 1973 in Wittlich, wo er isoliert wird. Hier verstirbt er nach seinem dritten Hungerstreik, der am 13. September 1974 begann, am 9. November. Sein Gesundheitszustand hat sich über Wochen hinweg verschlechtert. An seinem Todestag ist der Anstaltsarzt am langen Wochenende nicht verfügbar, und der Vorschlag Meins' Anwalts, Siegfried Haag, einen externen Arzt hinzuzuziehen, wird abgelehnt. Er selbst wird über Stunden davon abgehalten, seinen Mandaten zu sehen.

Als Meins' Tod bekannt wird, versammeln sich Tausende auf den Straßen, in Berlin erschießt ein Kommando der "Bewegung 2. Juni" den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann. Für viele sind die schockierenden Fotos der Leiche Meins' ein Grund, sich der RAF anzuschließen - unter ihnen auch Siegfried Haag. Meins' Beerdigung in Hamburg wird zur politischen Demonstration gegen den Staat.

Nach der Beerdigung des am 9. November 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks gestorbenen RAF-Terroristen Holger Meins am 18. November 1974 formierte sich ein Demonstrationszug. Zweiter von links Pfarrer Helmut Ensslin, der Vater der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Meins wurde in Hamburg beerdigt. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / dpa)
Nach der Beerdigung des am 9. November 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks gestorbenen RAF-Terroristen Holger Meins am 18. November 1974 formierte sich ein Demonstrationszug. Zweiter von links Pfarrer Helmut Ensslin, der Vater der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Holger Meins wurde in Hamburg beerdigt.

Zum Zeitpunkt des Todes Holger Meins befinden sich weitere RAF-Mitglieder bereits seit Monaten im Hungerstreik. Sie wollen zusammengelegt werden und den Status von Kriegsgefangenen bekommen. Während andere Kliniken ihre Aufnahme verweigern, nimmt die Uniklinik Mainz die beiden RAF-Mitglieder Klaus Jünschke und Wolfgang Grundmann im Zustand völliger Entkräftung auf die Intensivstation auf.

1975 - 1977: "Kleiner Baader-Meinhof-Prozess" in der Kartoffelhalle in Kaiserslautern

Der "Kleine Baade-Meinhof-Prozess" beginnt am 2. September 1975 vor den Osttoren der Stadt, in einer Halle, in der nach 1945 erst Kartoffeln und dann Fahrzeuge des Katastrophenschutzes untergestellt wurden. 131 Prozesstage finden über zwei Jahre verteilt hier statt. Das provisorische Gerichtsgebäude war monatelang für rund eine Million Mark umgebaut worden. Der Prozess gegen drei Mitglieder der RAF erweckt riesiges Medieninteresse: Klaus Jünschke, Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann müssen sich verantworten. Verhandelt werden bundesweit begangene Straftaten - und auch der Banküberfall in Kaiserslautern und die Ermordung Herbert Schoners 1971. Jünschke und Grashof werden zu lebenslang verurteilt, Grundmann erhält vier Jahre Haft.

Klaus Jünschke, Codename "Spätlese", wird 1988 vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel begnadigt. 1986, zwei Jahre zuvor, ruft er seine Mitstreiter in einem offenen Brief dazu auf, "den bewaffneten Kampf einzustellen". Es ist die erste Begnadigung eines RAF-Mitglieds in Deutschland. Der Prozess wird als "Kleiner Baader-Meinhof-Prozess" bezeichnet, weil parallel dazu das "große" Verfahren in Stuttgart gegen Andreas Baader, Gundrun Ensslin und Jan-Carl Raspe läuft.

Juli 1978: Geplante Hubschrauberentführung in Altenkirchen

Auch im Westerwald, im Kreis Altenkirchen, stößt das Bundeskriminalamt (BKA) in der Kreisstadt selbst auf Spuren der Täter. Dreh- und Angelpunkt ist das Kunststoffwerk Werit an der Kölner Straße. Das BKA hat im Juli des Jahres 1978 zuvor Informationen erhalten, dass die RAF beabsichtige, den Helikopter des Werks zu mieten - und informiert vorab den Seniorchefs des Werks, Helmhold Schneider. Und tatsächlich: Wenige Tage später melden sich zwei Personen und vereinbaren einen Flug, unter dem Vorwand, einen Werbefilm drehen zu wollen. In Wirklichkeit geht es aber um die Befreiung von in Landau einsitzenden Terroristen. Das BKA will den Flug überwachen und leitet den Piloten an, die Terroristen zu einem Kaffee in das Flughafenrestaurant einzuladen, um so in den Besitz von Fingerabdrücken zur Identifizierung zu gelangen und Zeit zu gewinnen.

Doch bei der Aktion geht alles schief, was schiefgehen kann - der Laborwagen bleibt im Wochenendverkehr stecken, die Terroristen werden unruhig und lassen sich zwar zu einem Kaffee überreden, suchen dann aber das Weite. Die Fingerabdrücke sind zu allem Überfluss unbrauchbar. Der Seniorchef des Kunststoffwerks und der Pilot müssen für mehrere Tage untertauchen, weil das BKA in einer konspirativen Wohnung Zeichnungen findet, die wiederum auf die Wohnungen der beiden hinweisen.

31. August 1981: Bombenanschlag in Ramstein

Um 7:15 Uhr erschüttert eine Explosion den Flugplatz Ramstein: Vor den Gebäuden von US-Luftwaffe und Nato jagt die RAF einen Sprengsatz in einem gestohlenen VW hoch. 20 Menschen werden verletzt, 17 Amerikaner, drei Deutsche, fast alle nur leicht, zwei US-Offiziere schwer. Die Druckwelle zerstört weitere Autos und richtet großen Schaden an den Gebäuden an. Die Attentäter werden nicht gefasst, aber in der Folge die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

Später bekennt sich die RAF gegenüber der Deutschen Presse-Agentur zu dem Anschlag. Es ist bereits die zweite Generation um Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Henning Beer. Kurz nach Ramstein verüben sie einen erfolglosen Anschlag auf den Oberbefehlshaber der US-Army in Heidelberg, General Kroesen.

1990er-Jahre: RAF-Prozesse in Koblenz

Anfang der 90er verhandelt das Koblenzer Oberlandesgericht mehrere RAF-Fälle. 1991 und 1992 findet unter schärfsten Sicherheitsmaßnahmen der Prozess gegen die damals 47-jährige Inge Viett statt, ein prominentes Mitglied der RAF. Er sorgt monatelang für Aufsehen, denn als Zeugen werden ebenfalls bekannte Terroristen wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt mit dem Hubschrauber in die Stadt eingeflogen. Auch Henning Beer steht 1991 in Koblenz vor Gericht - er wird wegen seiner Beteiligung an dem Anschlag auf den US-Flugplatz Ramstein zur Verantwortung gezogen.

Rund sieben Jahre später, am 20. April 1998, geht bei der Nachrichtenagentur "Reuters" in Köln ein achtseitiges Schreiben ein. Es wird als authentisch eingestuft und in ihm verkündet die RAF ihre Selbstauflösung: "Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte."

Kaiserslautern

Täter erschießen Polizisten 50 Jahre nach dem RAF-Banküberfall in Kaiserslautern

Vor 50 Jahren ermordete die Rote-Armee-Fraktion bei einem Banküberfall in der Innenstadt von Kaiserslautern einen Polizisten. Später verunsichern die Terroristen ganz Deutschland.

Diskussion Was bleibt vom Terror der Roten Armee Fraktion?

Es diskutieren: Stefan Aust - Herausgeber der Tageszeitung „Die Welt“, Dr. Wolfgang Kraushaar - Politikwissenschaftler an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, Prof. Dr. Petra Terhoeven - Historikerin, Universität Göttingen, Moderation: Martin Durm

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