Das Bekanntwerden der vertraulichen Details ist nach Ansicht des Trierer Politikwissenschaftlers Uwe Jun ein für Rheinland-Pfalz außergewöhnlicher Vorgang. "Es ist ungewöhnlich, dass man hier in Rheinland-Pfalz dieses Mal die Auseinandersetzung schärfer sucht und Informationen preisgibt, die zunächst nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren", sagte der Wissenschaftler von der Universität Trier. Eigentlich gehe es in Rheinland-Pfalz etwas beschaulicher zu, Kontroversen würden nicht so scharf ausgetragen, wie auf der Bundesebene oder in manch anderen Bundesländern.
Spiegel offenbar stark um Image besorgt
Kurz vor der Anhörung der jetzigen Bundesfamilien- und früheren rheinland-pfälzischen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) am Freitag im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe waren Chat-Protokolle aus dem Juli 2021 bekanntgeworden. Nach den von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und "FOCUS online" veröffentlichten Kurznachrichten ging es zwischen der Politikerin sowie ihren Pressesprechern am Morgen nach der Katastrophe vor allem darum, ein "Wording" dafür zu finden, dass sie rechtzeitig gewarnt hätten. Das löste scharfe Kritik aus.
Rücktrittsforderungen von Union und Freien Wählern SMS in Flutnacht: Spiegel sieht sich missverstanden
Ex-Umweltministerin Spiegel hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass sie nach der Flutkatastrophe vor allem um ihr Image besorgt gewesen sei. Im U-Ausschuss des Landtags sagte sie, Hilfe für Betroffene habe im Mittelpunkt gestanden. Von Union und Freien Wählern kommen derweil Rücktrittsforderungen.
Vorher waren schon andere Informationen aus Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur tödlichen Flut in Medien aufgetaucht. Die Ermittlungen richten sich gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), und ein weiteres Mitglied seiner früheren Einsatzleitung.
"Der Wettbewerb ist rauer geworden"
Gründe für solch ein Durchstechen von Details gebe es mehrere, sagte Jun. "Der Wettbewerb ist rauer geworden." Politische Akteure gingen allgemein konfrontativer vor, nutzten Chancen zur Diskreditierung politischer Gegner eher, zumal sich das in sozialen Netzwerken schnell verbreite. Im Falle der Flut stehe Rheinland-Pfalz bundesweit im Fokus, was sonst nicht allzu oft der Fall sei. "Und wir haben mit Frau Spiegel eine Persönlichkeit, die nun auch bundespolitisch im Blickpunkt steht."
Die Absicht derjenigen, die Informationen herausgegeben haben, scheine in erster Linie zu sein, Spiegel einen Schaden zuzufügen, ihr in gewisser Weise moralische Integrität abzusprechen und mögliche Versäumnisse vorzuwerfen. "Aber es wirft auch kein gutes Licht auf die Politik insgesamt, wenn sich das bewahrheiten sollte", sagte der Politologe. Denn damit solle der Eindruck erweckt werden, dass die persönliche Karriere höher eingestuft werde als das Allgemeinwohl.
Jun: Durchstechen von Infos kann Systemfeinden nutzen
Doch wem könnte das nutzen? Es gebe Parteien, die etablierten politischen Akteuren und Parteien skeptisch bis kritisch gegenüberstünden, sagte Jun. "Die sagen, dass es eine politische Elite gibt, die nur an ihrem eigenen Fortkommen interessiert ist. Solche Schlagzeilen passen in deren Darstellungsweise."
Im Fall der Flutkatastrophe mit viel menschlichem Leid kämen auch noch Emotionen ins Spiel, die eine Debatte befeuerten. "Es hat viele beschäftigt, wir haben auch eine große Solidarität mit den Opfern gesehen in der Gesellschaft", sagte Jun. Wenn in einem solchen Kontext über Moralvorstellungen diskutiert werde, spreche das die Menschen noch mal intensiver an als bei anderen Themen.
Experte fühlt sich an "House of Cards" erinnert
Spiegel schrieb in der in den Medienberichten veröffentlichten Kommunikation auch, dass sie Innenminister Roger Lewentz (SPD) zutraue, dass er sage, die Katastrophe habe verhindert werden können oder wäre weniger schlimm gewesen, wenn das Umweltministerium früher gewarnt hätte. Es ist etwa von einem "Blame Game" die Rede, wem also wie Schuld in die Schuhe geschoben werden könne.
Dazu sagte Jun, auch Polit-Serien wie "House of Cards" griffen solch ein Verhalten auf. Politische Akteure versuchten nun mal, ein eigenes positives Image aufzubauen und Kontrahenten schlechter dastehen zu lassen. "Das gehört alles zu den alltäglichen Seiten der Politik, aber es sind die Seiten, die von vielen nicht besonders gemocht werden."