SWR Aktuell: Herr Professor Plachter, ist das mit Blick auf den noch überschaubaren Kenntnisstand zur Omikron-Variante ein guter Zeitpunkt, um die Quarantäne-Regeln für Beschäftige in kritischer Infrastruktur im Grunde zu lockern?
Bodo Plachter: Zunächst muss man ganz klar sagen: Alle, die sich infiziert haben, sollten natürlich in Quarantäne sein und bleiben. Ich denke, es ist im Augenblick konsensfähig, dass Infizierte nicht zur Arbeit gehen oder eingesetzt werden sollten, wenn es nicht absolut notwendig ist. Aber es geht natürlich um die Kontaktpersonen. Hier muss geprüft werden, wie kritisch einzelne Infrastrukturbereiche wirklich sind und ob man sie nicht auf anderem Wege bedienen kann. In einzelnen Bereichen muss man aber natürlich darüber nachdenken, ob man unter Umständen die Quarantäne-Dauer von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verkürzt.
"Aber entscheidend ist, wie kritisch die Infrastruktur wirklich ist."
In der Konsequenz heißt das aber, dass dann trotzdem alle möglichen Hygiene-Maßnahmen getroffen werden müssen: Natürlich Masken tragen und soweit es geht, Kontakte einschränken. Aber entscheidend ist, wie kritisch die Infrastruktur wirklich ist. Ich kann mir vorstellen, dass man sich überlegen muss, sollte zum Beispiel bei einer Feuerwehr nicht mehr genügend Personal im Dienst sein, ob man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Kontakt hatten, zurückholt, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Anders ist es vielleicht, wenn es darum geht, im Supermarkt die Regale einzuräumen. Man muss jetzt wirklich schauen, wo es überhaupt notwendig ist, über eine Verkürzung der Quarantäne zu diskutieren und wo man die bisherige Quarantäne-Regelung beibehalten kann.
SWR Aktuell: Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt derzeit bei einer Ansteckung mit Omikron, dass sich Infizierte und Kontaktpersonen für 14 Tage isolieren beziehungsweise in Quarantäne begeben sollen. Das schließt auch Geimpfte und Genesene ein. In Israel etwa können sich Betroffene nach sieben Tagen aus der Quarantäne raus testen. Ist das ein denkbares Modell für Deutschland?
Plachter: Es muss hier in der Tat zwischen Infizierten und Kontaktpersonen unterschieden werden. Bei Infizierten halte ich es für sinnvoll, sich auf die sicherere Seite zu begeben und die Quarantäne-Vorgaben soweit möglich aufrecht zu erhalten. Denn auch Freitesten ist mit einem Risiko verbunden. Manchmal sehen wir Patienten, die mal negativ und am nächsten Tag wieder positiv getestet werden. Ich wäre grundsätzlich bei Menschen vorsichtig, die nachweislich infiziert sind. Eine andere Situation ergibt sich natürlich bei Menschen, die Kontakt mit Infizierten hatten.
"Auch Freitesten ist mit einem Risiko verbunden. Manchmal sehen wir Patienten, die mal negativ und am nächsten Tag wieder positiv getestet werden."
Hier muss bewertet werden, wie eng der Kontakt war und wie lange er bestand. Wenn ich mich beispielsweise drei Tage mit der Familie getroffen habe und eine Person war dabei nachgewiesen infektiös, dann ist dies eine anderen Situation als wenn ich ein halbe Stunde mit jemanden in einer Situation zusammen war, in der beide Maske getragen haben und der Kontakt möglicherweise gar nicht ausgereicht hat, um sich zu infizieren. Im Prinzip ist es dann an den Gesundheitsämtern zu entscheiden, ob in der letzteren Situation eine Quarantäne verkürzt werden kann - dann mit entsprechendem Testen und Hygienemaßnahmen. Wenn wirklich jemand zurück an die Arbeit geholt werden muss, dann muss man sehr genau abwägen und alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um Folgeinfektionen zu vermeiden.
B.1.1.529 in Deutschland FAQ zu Omikron - Was wir über die neue Corona-Variante wissen
Die neue Corona-Variante B.1.1.529 - Omikron genannt - breitet sich zunehmend auch in Rheinland-Pfalz aus. Was wir bislang über Omikron wissen:
SWR Aktuell: Ein Vorschlag des bayrischen Gesundheitsministers lautet, dreifach geimpfte Kontaktpersonen von der Quarantäne zu befreien. Was halten Sie davon?
Plachter: Das halte ich für gewagt. Auch dreifach Geimpfte können sich infizieren. Wir haben solche Fälle bereits beobachtet. Insofern wäre ich an dieser Stelle vorsichtig. Aktueller Stand der Wissenschaft ist: Auch dreifach Geimpfte können sich infizieren und können natürlich das Virus auch weitergeben.
SWR Aktuell: Inwieweit lässt sich eine verkürzte Quarantäne überhaupt verantworten - auch mit Blick auf die überschaubare Datenlage zu Omikron?
Plachter: Die Frage ist, wie schon erwähnt, wie kritisch die Infrastruktur wirklich ist. Hier werden viele Bereiche diskutiert - angefangen von Polizei und Feuerwehr bis hin zu demjenigen, der die Regale im Supermarkt einräumt. Da ist ein weites Feld dazwischen. Wenn man etwa den Dienst der Feuerwehr nicht aufrecht erhalten kann, dann muss man Kompromisse eingehen.
"Das alles ist eine Fallentscheidung, man kann nicht pauschal sagen, so und so machen wir das."
Und wir haben ja Möglichkeiten, selbst wenn ein gewisses Infektionsrisiko bestehen würde, dieses mit entsprechenden Maßnahmen wie Abstand und Maske einzuschränken. Das alles ist eine Fallentscheidung, man kann nicht pauschal sagen, so und so machen wir das. Wenn ein Polizeibeamter sechs Stunden mit einer Kollegin oder einem Kollegen im Streifenwagen sitzt, ist das natürlich unter Umständen ein Problem. Wenn es dagegen keinen direkten oder kaum Kontakt gibt, wird man anders entscheiden. Es gibt keine Antwort, die für alles gültig ist. Wir wissen, dass Omikron ansteckender ist, wir wissen aber noch nicht, wie schwer die Erkrankungen sind, die durch diese Variante ausgelöst werden. Man wird also situativ entscheiden müssen, ob man die Quarantäne verkürzt. Ich glaube nicht, dass man pauschal sagen kann, die und die Berufe sind in kritischer Infrastruktur, die Mitarbeitenden müssen jetzt beispielsweise auf jeden Fall freigetestet werden.
SWR Aktuell: In vielen Ländern um uns herum verbreitet sich die Omikron-Variante offenbar deutlich stärker als in Deutschland - zumindest nach den erhobenen Infektionszahlen. In Deutschland herrscht nun Unsicherheit, ob das auf fehlende Daten zurückzuführen ist, weil über die Weihnachtsfeiertage weniger Infektionen erfasst und weniger getestet wurde. Wovon gehen Sie aus?
Plachter: Natürlich ist über Weihnachten weniger berichtet worden. Diese Untererfassung betrifft aber sicher auch die anderen Länder um uns herum. Auf der anderen Seite hängt es davon ab, wie stark der Eintrag ursprünglich war. Das heißt, wie viele Menschen, die mit Omikron infiziert waren, sind überhaupt eingereist. So ist es möglich, dass das Virus in England früher und häufiger eingetragen wurde. Zudem hat Großbritannien lockerere Regelungen gehabt. Das heißt, die Gefahr der Übertragung war möglicherweise deutlich höher als bei uns. Das bedeutet, das Virus ist in einer Situation gekommen, in der die Übertragung einfacher war.
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Bei uns bestanden gewisse Einschränkungen, auch das wird zu der Entwicklung beigetragen haben. Aber wegen der begrenzten Datenlage kann man die Frage nicht wirklich beantworten. Wir wissen gar nicht genau, wie hoch die Omikron-Inzidenz tatsächlich ist. Ich kann nur aus dem Sequenzier-Konsortium der Universitätsmedizin Mainz berichten. Hier haben wir bislang nur wenige Omikron-Fälle gesehen. Insgesamt scheint es aber so zu sein, dass bei uns die Inzidenz der Omikron-Fälle gegenüber unseren Nachbarländern etwas hinterher hinkt. Aber natürlich wird auch bei uns Omikron irgendwann ein wesentlicher Faktor sein, ob diese Variante Delta komplett verdrängt, wird man sehen.
SWR Aktuell: In einer Woche, am 7. Januar, gibt es die nächsten Bund-Länder-Beratungen. Dann soll auch über eine mögliche Verkürzung der Quarantäne-Dauer gesprochen werden. Rechnen Sie damit, dass bis dahin ausreichend Daten vorliegen, um auf dieser Basis entscheiden zu können?
Plachter: Laut RKI wird es bis Mitte Januar dauern, bis die Corona-Daten wieder komplett verlässlich sind. Wir sollten auch nicht vergessen, dass zum Jahreswechsel wieder drei Tage nur eingeschränkt getestet und erfasst wird. Man wird also auf der Grundlage der nächste Woche verfügbaren Daten entscheiden müssen. Mit Blick auf die Nachbarländer wird man aber wohl prognostizieren können, wie es bei uns weiter gehen wird. Insofern glaube ich schon, dass man eine vernünftige Entscheidungsgrundlage haben wird.
Das Interview führte SWR Aktuell-Redakteur Dirk Rodenkirch.