Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen bei einer Videokonferenz mit der ukrainischen Partnergemeinde Boratyn. (Foto: SWR, Vanessa Siemers)

Hilferufe nach Sprendlingen

Zwischen Hoffnung und Angst in der ukrainischen Gemeinde Boratyn

Stand

Für die Menschen in der ukrainischen Gemeinde Boratyn ist in diesen Tagen kaum noch an Schlaf zu denken. Die Angst, dass der Krieg immer näher an sie heranrückt, ist groß. Ihre Partnergemeinde Sprendlingen-Gensingen hilft, wo sie kann.

Es ist eine bedrückende Stimmung im Büro von Bürgermeister Manfred Scherer (SPD). Schon bevor die Videokonferenz mit der ukrainischen Partnergemeinde losgeht, ist Scherer die Anspannung deutlich anzumerken. Täglich steht er mit Anatoliy Levchuk, dem Partnerschaftsbeauftragten in Boratyn, in Kontakt. Und jedes Mal sind die Nachrichten, die er von dort hört, schlimmer.

Eindrücke mitten aus dem Kriegsgebiet

Es ist Punkt 14 Uhr. Die Videokonferenz startet. Völlig übermüdet und sichtlich erschöpft erscheinen Anatoliy Levchuk und seine Kollegin auf dem Bildschirm. Es scheint eine unwirkliche Situation zu sein – die Teilnehmenden der Videokonferenz sind gleichzeitig so nah und doch so fern mitten im Kriegsgebiet. Levchuk beginnt zu erzählen. Wie Städte und Dörfer angegriffen werden, wie Ukrainer erschossen werden und wie russische Truppen versuchen, weiter Angst unter der ukrainischen Bevölkerung zu verbreiten.

Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen bei einer Videokonferenz mit der ukrainischen Partnergemeinde Boratyn. (Foto: SWR, Vanessa Siemers)
Bürgermeister Manfred Scherer fällt es schwer zu hören, wie viel Angst die Menschen in Boratyn haben.

Mit jedem weiteren Satz wird allen Anwesenden in der Videokonferenz noch einmal grausam aufgezeigt, was die Menschen in der Ukraine momentan erleben. Auch Bürgermeister Manfred Scherer kämpft mit den Tränen.

"Ich kann mir vorstellen, welche Todesängste die Kolleginnen und Kollegen dort drüben derzeit haben. Die Angst, dass es jetzt vom belarussischen Gebiet einen Einmarsch gibt, dass es Luftangriffe gibt. Das macht uns alle sehr betroffen."

Hilfe aus Sprendlingen zumindest ein kleiner Lichtblick

Seine Stimme zittert leicht. Er muss kurz Luft holen, bevor er weiterspricht. Für Manfred Scherer sind solche Videokonferenzen nur schwer zu ertragen, auch wenn er weiß, dass sie für die Menschen in Boratyn einer der wenigen Lichtblicke sind.

Viele der Menschen dort kennt er persönlich, hat sie bei einem Besuch schon einmal getroffen. Jetzt so hilflos zu sein und mit ansehen zu müssen, wie die meisten von ihnen aus Angst kaum noch schlafen können – ein Gefühl, dass er nur schwer in Worte fassen kann.

Bomben in Nachbarstadt von Boratyn gefallen

Boratyn liegt im Nordwesten des Landes. Bis jetzt wurde die Gemeinde noch nicht direkt angegriffen. Doch die Nachbarstadt Luzk ist schon bombardiert worden, wie ihm seine ukrainischen Freunde geschildert haben. Und der Krieg rückt auch für die Menschen in Boratyn immer näher. "Sie haben mir erzählt, dass es jetzt Vorbereitungen gibt, um einen möglichen Angriff abzuwehren", so Scherer.

Hilfskonvoi mit Generatoren und Verbandsmaterialien

Die Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen versucht zu helfen, wo es geht. Ein Hilfskonvoi mit Spenden soll noch am Mittwochabend in die Ukraine geschickt werden. Wo genau die Hilfsmittel übergeben werden sollen, muss noch geklärt werden.

Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen bei einer Videokonferenz mit der ukrainischen Partnergemeinde Boratyn. (Foto: SWR, Vanessa Siemers)
Der Partnerschaftsbeauftragte in Boratyn, Anatoliy Levchuk, erzählt von den jüngsten Ereignissen in der Ukraine.

Schutzwesten und Helme werden dringend benötigt

Seit Tagen schon sammeln die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer alle möglichen Hilfsgüter. Generatoren, Taschenlampen, Funkgeräte, Verbandsmaterial. Das alles hat die Verbandsgemeinde schon zusammen. Was jetzt noch dringend fehlt, sind Schutzwesten und Helme. Manfred Scherer und die anderen versuchen alles, um auch diese noch zu besorgen. Doch das ist nicht so einfach. "Die wirklich guten Westen fallen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, das ist nicht so einfach, die zu bekommen", so Scherer.

Der Bürgermeister verspricht in der Videokonferenz alles zu tun, um doch noch an Schutzausrüstung zu kommen. Und für einen kurzen Moment huscht ein zaghaftes Lächeln über die Lippen von Anatoliy Levchuk. Er und seine Kollegen und Kolleginnen sind für die Hilfe aus Sprendlingen-Gensingen sehr dankbar.

Die Hilfsbereitschaft in der Verbandsgemeinde ist groß. Erst Anfang der Woche haben Jugendliche Geld gesammelt und innerhalb von zwei Stunden 3.000 Euro zusammenbekommen. Außerdem gibt es ein Spendenkonto, und auch die Wohnraumangebote reißen nicht ab, wie Scherer sagt: "Viele rücken jetzt enger zusammen, um in ihrer Wohnung ein Zimmer für Geflüchtete freizumachen."

"Das ist eine Hilfsbereitschaft, die habe ich so noch nicht erlebt."

In den vergangenen Tagen sind laut Scherer auch schon die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in der Verbandsgemeinde angekommen. Die Menschen aus der Partnergemeinde Boratyn sind aber nicht dabei. Sie wollten erstmal bleiben und ihr Land verteidigen.

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