Für Evgeniia hat sich das Leben von einem Tag auf den anderen völlig verändert. Gemeinsam mit ihren beiden drei und sechs Jahre alten Kindern ist sie im April nach Mainz gekommen – auf der Flucht vor Bomben und Schüssen in ihrem Heimatland Ukraine. Ihr Wunsch war es, sich hier möglichst schnell zu integrieren. Sie wollte Integrations- und Sprachkurse besuchen. Doch Evgeniia scheiterte: "Ich konnte mich nicht anmelden, weil es niemanden gab, bei dem ich die Kinder abgeben konnte. Wir haben uns für einen Kindergartenplatz beworben, aber die Antwort bekommen, dass es keine Plätze gibt."
Kindergartenplätze Mangelware
"Das ist kein Einzelfall", sagt Alexander Gladkov. Er ist Mitarbeiter beim Integrationsdienst der Malteser in Mainz und betreut ukrainische Geflüchtete. "Es flüchten vor allem Frauen und Kinder vor dem Krieg. Die meisten ukrainischen Kinder bekommen hier keinen Kindergartenplatz, obwohl er ihnen rechtlich zusteht." Schnell ergänzt er: "Ich will allerdings keine Schuld verteilen oder die Stadt Mainz schlecht dastehen lassen. Die Situation war vorher schon schwierig. Jetzt kommen nochmal einige hundert Kinder dazu."
Malteser versuchen, Kinder zu betreuen
Gladkovs Lösungsversuch: Er prüft in solchen Fällen, ob die Malteser eine Kinderbetreuung einrichten können. Sie können sich dann um die Kinder ukrainischer Mütter kümmern, damit diese in dieser Zeit einen Integrations- oder Sprachkurs besuchen können. Doch vorher müsse er noch rechtliche Fragen klären. Zum Beispiel: Wie ist das mit der Aufsichtspflicht? Welche rechtlichen Hürden muss eine solche Kinderbetreuung eventuell nehmen?

Lösung: Der Wegzug aus Mainz
So lange wollte Evgeniia nicht warten. Sie hat sich für eine andere Lösung entschieden. Sie ist nach Nieder-Olm gezogen. "In Kleinstädten ist es mit einem Kindergartenplatz etwas einfacher." Makar, der sechsjährige Sohn, sei bereits eingeschult. Für Ulyana, ihre dreijährige Tochter, wartet sie nun auf einen Kindergartenplatz.
Das Problem mit der Kinderbetreuung gibt es auch in anderen Städten. In Worms hat nach Angaben der Stadt gerade mal ein ukrainisches Flüchtlingskind einen Kindergartenplatz in einem städtischen Kindergarten bekommen – obwohl die Stadt 18 Kindergärten betreibt. "Die Situation ist leider sehr angespannt“, kommentiert der Stadtsprecher Jonas Diebold die Lage. Die Stadt Bad Kreuznach hat 15 ukrainische Kinder in ihre Kindergärten aufgenommen, heißt es aus dem dortigen Rathaus.
Lange Wartezeiten für Sprachkurse
Doch die Frage der Kinderbetreuung ist nicht die einzige, der die Geflüchteten hier gegenüberstehen. Um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, bräuchten etwa 80 Prozent von ihnen einen Sprachkurs, schätzt der Kreis Alzey-Worms. Entsprechend verzeichnet er eine steigende Nachfrage. Die Kurse an der Kreisvolkshochschule seien ausgebucht, so Kreis-Sprecherin Simone Stier. Man versuche aber, weitere Lehrkräfte für die einzelnen Standorte zu gewinnen. Auch die Stadt Worms vermeldet ausgebuchte Sprachkurse, die Wartezeit betrage dort aktuell drei Monate.
"Diese Menschen sind nicht wehleidig. Sie haben die Mentalität, die Ärmel hochzukrempeln."
Die ukrainischen Geflüchteten seien sehr motiviert, heißt es aus vielen Richtungen - ganz egal, ob es darum gehe, die Sprache zu lernen oder zu arbeiten. Gladkov beschreibt seine Beobachtungen mit den Worten: "Diese Menschen sind in der Regel nicht wehleidig. Sie haben die Mentalität, die Ärmel hochzukrempeln. Auch wenn einige von ihnen wegen ihren Erfahrungen Angst vor Menschenansammlungen haben, gehen sie trotzdem zum Amt, weil sie arbeiten wollen."
Anerkennung von Abschlüssen dauert Monate
Wer bereits über ausreichende Sprachkenntnisse verfüge, finde in der Region sehr schnell einen Arbeitsplatz, so Gladkov. "Ich kenne einen Mann, der als Busfahrer arbeitet, andere fangen auf dem Bau an, einer hat eine Stelle als Steinmetz bekommen." Auch der Kreis Bad Kreuznach hat zwei geflüchtete Frauen eingestellt. Sie hätten sehr gute Deutschkenntnisse und würden als Übersetzerinnen im Jobcenter arbeiten und bei persönlichen Gesprächen unterstützen, berichtet Sprecher Dennis Fuhr.
Aber es läuft nicht immer so rund. Vor allem, wenn es sich um anspruchsvollere Beschäftigungen handelt, müssen Berufs- und Studienabschlüsse übersetzt und anerkannt werden. "Allein das kann Monate dauern und ist nicht gerade günstig", so der Wormser Stadtsprecher Jonas Diebold. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle ukrainische Qualifikationen in Deutschland anerkannt werden – selbst wenn sie ein abgeschlossenes Studium beinhalten.
Ein ukrainischer Richter beispielsweise könne wegen des anderen Rechtssystems niemals in Deutschland in seinem Beruf arbeiten. so Diebold. Schwierig sei es auch bei Ärztinnen und Ärzten. „Diese müssen in aller Regel, neben einem Nachweis von sehr guten Deutschkenntnissen, eine sogenannte ärztliche Gleichwertigkeitsprüfung durchlaufen. Das ukrainische Medizinstudium berechtigt selbst bei jahrelanger Berufserfahrung nicht dazu, in Deutschland in diesem Beruf zu arbeiten. Im Prinzip müssen die Menschen die ärztliche Prüfung, die die Menschen in Deutschland am Ende des Studiums machen, auch absolvieren. Das dauert mindestens drei Jahre, eher länger.
Home-Office für Arbeitgeber in der Ukraine
Im Gespräch mit den Kommunen ist immer wieder zu hören, dass die Geflüchteten wieder zurück in ihre Heimat möchten. Manche seien bereits wieder zurück in die Ukraine gereist. Die meisten warteten jedoch das Ende des Kriegs ab. Deshalb würden einige Geflüchtete improvisieren und von Deutschland aus im "Homeoffice" für ihren Arbeitgeber in der Ukraine arbeiten.
Kommune | Anzahl der Geflüchteten | Veränderungen |
---|---|---|
Mainz | 2.000 | plus 15-20 pro Woche |
Worms | 690 | keine konkrete Zahl |
Alzey | 130 | keine Veränderung |
Kreis Bad Kreuznach | 1.630 | keine Veränderung |
Kreis Mainz-Bingen | 2.290 | plus 80-90 pro Monat |
Kreis Alzey-Worms | 1.100 | Zahl rückläufig |
Unterbringung der Flüchtlinge ist nach wie vor problematisch
Eine weitere Herausforderung sind die Unterkünfte für die Geflüchteten. Die Stadt Mainz hat zuletzt Sammelunterkünfte im Heiligkreuzviertel und im Stadtteil Laubenheim eröffnet. Weitere Sammelunterkünfte seien in Planung, teilt Sprecherin Sarah Heil mit. Auch in den Kreisen Bad Kreuznach, Alzey-Worms und Mainz-Bingen heißt es, der Wohnraum werde knapp. Bardo Faust, Sprecher der Kreisverwaltung Mainz-Bingen, sagt: "In unserem Kreis sind die Verbandsgemeinden für die Unterbringung der Geflüchteten zuständig. Das hat bislang gut funktioniert. Aber wir bekommen immer öfter die Rückmeldung, dass die Verbandsgemeinden an ihre Grenzen stoßen."
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Oft stellen auch Menschen aus der Region Wohnraum zur Verfügung – etwa eine ganze Wohnung oder ein einzelnes Zimmer in einer Wohnung, in der sie selbst leben. Allerdings: Zu Beginn des Krieges hätten manche Menschen Zimmer in ihrer Wohnung freigeräumt und zur Verfügung gestellt. Nun wollten einige diese Zimmer wieder für sich selbst nutzen, sagte ein kommunaler Sprecher, der in diesem Zusammenhang nicht namentlich erwähnt werden möchte.
Ehrenamtliche Helfer gesucht
Solange die Situation auf vielen Ebenen so angespannt bleibt, will der Integrationsdienst der Mainzer Malteser helfen, wo es möglich ist – mit Sprachcafés, Möglichkeiten zum Austausch, vielleicht bald mit einer Kinderbetreuung. Dafür werden nach wie vor Freiwillige gesucht, die helfen. "Ehrenamtliche Unterstützung bringt uns viel mehr als Geld", sagt Gladkov. Denn diese Menschen seien es, die Familien wie Evgeniia und ihre beiden Kinder helfen können, sich in einer neuen und fremden Umgebung zurechtzufinden und manche Hürde zu nehmen.