"Ich bin am Limit." Einen Satz wie diesen hört und liest man selten, vor allem in der Politik. Er kommt von Tatiana Muñoz, der Ortsvorsteherin in Mainz-Hechtsheim.
Die 37-Jährige übt das Mandat ehrenamtlich aus, arbeitet als Beraterin für Verwaltungsmodernisierung – inzwischen in Teilzeit, um alles unter einen Hut zu bekommen. Doch dann kommt eine "familiäre Herausforderung", wie sie sagt.
Ausnahmesituation brachte sie an ihr Limit
Auf Twitter, Instagram und Facebook öffnet Muñoz sich. Sie schreibt, dass wichtige Projekte für den Stadtteil anstehen, Treffen mit Vereinen, und sie bekommt auch Anfragen von ihren Bürgerinnen und Bürgern.
"Darf ich als Politikerin ehrlich Schwäche zeigen?"
Die Arbeit als Ortsvorsteherin macht ihr Spaß. „Es ist alles gut durchgeplant und dann plötzlich kommen große familiäre Herausforderungen dazwischen. Die Intensität steigt, die Taktung mit. Fr mich geht Familie immer vor. Die eigene Energie wird aber nicht mehr.“
"Mentale Gesundheit ist wichtig"
Sich so zu öffnen, ehrlich und transparent zu sein und eigene Grenzen öffentlich zu zeigen, war Tatiana Muñoz ein Anliegen. Und es war auch mit Sorgen verbunden.
Sie sagt, dass sie aufgeregt war, lange nachgedacht hat und sich dann dazu entschieden hat, es offen zuzugeben: "Ich möchte meine Öffentlichkeit für etwas Sinnvolles einsetzen. Hier habe ich die Möglichkeit, als Ortsvorsteherin zu sagen: Mentale Gesundheit im Amt ist total wichtig."
Ehrlich bleiben
Was genau die Herausforderung in ihrer Familie ist, möchte die 37-Jährige nicht öffentlich erzählen. Auch hier ist ihr wichtig, Grenzen zu setzen und ihre Familie zu schützen. Nur so viel: Neben der emotionalen Belastung kam ein "Ritt durch die Behörden und Ämter" dazu, sagt sie.
Sich verstellen, die Belastung einfach weg lächeln, das wollte sie nicht. Tatiana Muñoz betont, dass sie auf keinen Fall eine mentale Schutzmauer um sich bauen wollte. Sie hätte sonst ihre Empathie verloren. "Ich möchte auch transparent sein gegenüber meinen Hechtsheimern. Ich wollte "ich" sein können, ich wollte ehrlich sein zu den Leuten hier."
Besser mit sich selbst umgehen
Vor einem Jahr ist die Ortsvorsteherin während der Pandemie zu weit über ihre Grenzen gegangen, sagt Tatiana Muñoz. Damals konnte sie vor Erschöpfung nicht aufstehen, sie nahm sich eine Pause. Inzwischen habe sie gelernt, ihr Limit wahrzunehmen und besser mit sich selbst umzugehen. Das heißt für Tatiana Muñoz: zu priorisieren, genug zu schlafen, gesund zu essen, sich Zeit zu nehmen.
"Es gibt private Termine, die sind unantastbar."
Sie sieht, dass es in Ordnung ist, Sachen abzugeben, zu verschieben und sich Hilfe zu holen. Und vor allem, dass es nicht die privaten "Energietankstellen“ sind, die als Erstes vom Tagesplan gestrichen werden sollten. "Das, was mir die Kraft gibt, mein Mandat gut auszuüben, ist wichtig. Das ist zum Beispiel Sport, Zeit mit meiner Familie sowie Zeit mit meinen Freundinnen und Freunden."

Wie reagiert der Stadtteil?
Die Sorge, wie der Stadtteil reagiert, war da. Sie fragte sich: Würde man ihr Schwäche vorwerfen? Die allermeisten Rückmeldungen sind aber positiv, sagt Muñoz. "Viele haben gesagt, dass sie das stark finden und dass ich auf mich aufpassen soll."
Auch in den Kommentaren unter ihrem Post in den Sozialen Netzwerken sind die meisten einer Meinung: Schwäche zugeben ist eine Stärke - auch in der Politik. Es sei nicht immer alles perfekt. "Lasst uns die Politik ent-entmenschlichen" schreibt die 37-Jährige in dem Post.
Muñoz ist sich sicher: Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen leiden im Stillen. Sie möchte das nicht. "Mein Ziel ist ein sinnhaftes, gesundes Leben zu haben. Das bedeutet, dass ich Ortsvorsteherin bin, dass ich den Job mache, den ich sehr liebe, und auch genug Zeit habe für Freunde und Familie."
Sie möchte authentisch sein, ehrlich sein, und zeigen, dass das auch in der Politik geht. "Meine Hoffnung ist, dass so auch Menschen Lust bekommen, Politik zu machen, die nicht immer vermeintlich stark sein oder sich verstellen wollen."