In der Stadt Mainz gehören rund 1.000 Menschen der jüdischen Gemeinde an. Zwei von ihnen sind Emma Podval und Chani Marks. Was die beiden jungen Frauen gemeinsam haben, ist ihr jüdischer Glaube – sie leben ihn aber unterschiedlich aus.
Chani ist orthodoxe Jüdin
Chani ist 23 Jahre alt, lebt seit ihrer Geburt in Mainz und studiert Medizin. Seit sie Teenagerin ist, setzt sie sich aktiv mit ihrem jüdischen Glauben auseinander und lebt streng religiös, also orthodox. Das gebe ihr Halt und Struktur.
Sie selbst behauptet von sich, eine der religiösesten Jüdinnen in der Mainzer Gemeinde zu sein. Sie versucht sich genau an alle 613 Gebote des jüdischen Glaubens zu halten. Darunter fällt auch, dass sie jede Woche konsequent Schabbat feiert.
Während des Schabbat ist es Jüdinnen und Juden in der Zeit vom Freitagabend bis zum Samstagabend verboten zu arbeiten oder Feuer zu machen – was in die heutige Zeit übertragen auch das Einschalten von elektronischen Geräten verbietet.
Emma lebt jüdischen Glauben traditionell-religiös
Auch Emma feiert wöchentlich Schabbat. Anders als Chani verzichtet die fast 18-jährige Mainzer Schülerin dabei aber nicht auf alle elektrischen Geräte. Sie nutzt zum Beispiel ihr Smartphone weiter. „Ich möchte erreichbar sein, gerade für meinen Bruder, weil ich an den Wochenenden oft auf meine Nichten aufpasse“, meint Emma. Auch wenn sie nicht ganz auf das Handy verzichtet, nimmt sie es am Schabbat zumindest deutlich weniger in die Hand als unter der Woche.
Emma lebt traditionell-religiös. Sie hält sich an viele Gebote aus Überzeugung. Allerdings findet sie es aber auch schwer, alle Regeln einzuhalten, wie zum Beispiel die Kleidungsvorschriften. Die besagen, dass Frauen nur Kleidung tragen dürfen, die ihre Ellenbogen und Knie bedeckt.
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Jüdische Essensregeln sind nicht immer einfach
Und auch die Regeln rund um das Thema Essen stellen für sie eine Herausforderung dar. Denn koscheres Essen nach jüdischen Regeln bedeutet, Fleisch- und Milchprodukte strikt zu trennen. Sie dürfen zum Beispiel nicht in den gleichen Töpfen zubereitet werden. Emma und ihre Familie haben sich gegen diese strenge Trennung entschieden, vor allem aus Kostengründen: "Sich nach den jüdischen Regeln zu ernähren, würde bedeuten, dass wir zwei Küchen haben müssten", erklärt Emma.
Auch wenn Emma bei der Zubereitung von Speisen in der eigenen Küche weniger strikt vorgeht als Chani, steht für beide doch gleichermaßen fest: Nur koscheres Essen kommt auf den Tisch. Auch Schweinefleisch ist deshalb tabu.
Wenn Fleisch, dann koscher
Wenn Fleisch gegessen wird, darf das nur von Tieren sein, die Wiederkäuer sind und gespaltene Hufe haben, erklärt Chani. Das ist koscheres Fleisch im Sinne des Judentums.
In Mainz koscheres Essen zu kaufen, ist gar nicht so einfach, erzählen die beiden. Denn man wisse nie wie die Lebensmittel verarbeitet worden seien. Im Gegensatz zu Frankfurt – wo es viele Märkte und Restaurants gibt, die koscher sind – hat Mainz nur eine Handvoll Möglichkeiten zum Einkaufen und zum Essen gehen zu bieten.
Chani fährt daher regelmäßig nach Frankfurt, um hier in koscheren Supermärkten Fleisch, Milchprodukte oder bereits zubereitete Speisen zu kaufen. Grundsätzlich kochen die beiden Mainzer Jüdinnen daher viel selbst für sich und ihre Familien und gehen wenig auswärts essen. „Viele Dinge im Alltag sind durchs Essen ziemlich eingeschränkt. Und trotzdem finde ich es schön“, sagt Emma über die Regeln der koscheren Küche.
Anders verhält es sich für Emma aber bei den Gesetzen rund ums Thema Partnerschaft.
Liebe zwischen zwei Religionen
Wer wie Chani streng nach den jüdischen Glaubensregeln lebt, dem ist weder erlaubt, einen nicht-jüdischen Partner zu haben, noch einen Mann nur zu umarmen. Beides tut Emma. Sich an diese Regeln zu halten, sei zwar laut des Judentums gewollt, komme für sie aber nicht in Frage.
Seit Januar hat die fast 18-jährige Schülerin einen Freund. Er ist evangelisch, nicht jüdisch. Für Emma ist er trotzdem Teil ihres Glaubens.
Wenn Emmas Beziehung auch in Zukunft hält, könnte sie sich vorstellen, ihre Kinder im Sinne beider Religionen zu erziehen und mit beiden Glaubensrichtungen ein gemeinsames Familienleben zu gestalten.
Heiratsvermittlung für jüdischen Ehemann
Für Chani hingegen ist klar: Sie wird in jedem Fall einen jüdischen Mann heiraten. Auch der Sex ist vor der Ehe tabu. Um den richtigen Mann zu finden, hat sie sich vor einigen Monaten bei einer jüdischen Heiratsvermittlung gemeldet.
„Da schickt man einfach erstmal unverbindlich seine Daten hin – Name, Alter, Beruf und so – macht Angaben wonach man sucht und dann bekommt man ab und zu Vorschläge von der Vermittlerin“, erklärt Chani. Ein paar Telefonate und Treffen hat es wohl auch schon gegeben, der Richtige war aber bisher nicht dabei.
Den Glauben in Mainz ohne Angst ausleben: Das geht!
Neben der Einhaltung der Regeln und Gebote ist für die beiden jungen Jüdinnen aber ebenso wichtig, dass sie sich sicher fühlen, wenn sie ihren Glauben ausleben. Und das könnten sie in Mainz, sagen beide. Aus ihrer Sicht sei Mainz eine ziemlich sichere Stadt – vor allem, weil sie recht klein sei und hier jeder jeden kenne.
Jüdisches Erbe in Speyer, Mainz und Worms Weltkulturerbe SchUM-Städte: Eine Würdigung jüdischen Lebens am Rhein
Im Mittelalter bildete der Städtebund zwischen den jüdischen Gemeinden von Speyer, Worms und Mainz das bedeutendste Zentrum jüdischer Lehre in Europa. 2021 nahm die UNESCO die sogenannten SchUM-Städte in die Liste des Weltkulturerbes auf. Am 1. Februar übergeben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay in Mainz feierlich die Urkunde.
Da Mainz mit Speyer und Worms zu den drei SchUM-Städten gehört, ist der jüdische Glaube hier in der Stadt generell präsenter. Das sorge auch dafür, dass zumindest für die beiden das Gefühl entstehe, sich hier freier und ohne Angst bewegen zu können, sagen die jungen Frauen.
Dennoch gehen die beiden jungen Jüdinnen sehr aufmerksam durch ihren Alltag. „Natürlich gibt es Leute, die unsere Religion immer noch nicht mögen. Antisemitismus ist überall, egal wo man hingeht“, sagt Emma.
Emma merkt das oft daran, wie die Leute auf ihre Halskette regieren – sie trägt den Davidstern. Damals hatte sie ihre Kette für eine Zeit lang wegen einer antisemitischen Anfeindung in der Schule nicht mehr getragen: „Ich habe mich einfach unwohl gefühlt, weil die Kette eben ein sehr starkes Symbol ist, der Davidstern wird direkt als ein Symbol für das Judentum erkannt wird.“
Mitterweile trägt sie die Kette aber wieder. Sie gehört zu ihr, wie der jüdische Glaube selbst und der mache sie stark: „Ich trage die Kette offen. Ich bin so, wie ich bin und das ist gut so.“
Und auch Chani steht zu ihrem Glauben. Er mache einen großen Teil ihrer Persönlichkeit aus und sie hat durch ihn gelernt, wohin sie gehört.
So unterschiedlich sie ihren Glauben also ausleben, desto geeinter sind die beiden jüdischen Mainzerinnen in ihrem Stolz: Sie gehören einer Religion an, die weltweit kaum vertreten ist und leben sie offen aus.