
Die Grabsteine wurden direkt am damaligen Flussufer des Rheins gefunden - heute ist dort die Mainzer Altstadt. Auf einem Abrissgrundstück soll ein Neubau errichtet werden. Wie bei solchen Bauprojekten üblich, sichten zuerst die Archäologen die Baugrube. Normalerweise finden sie römische Fundamente oder Reste der alten römischen Kastelle und Häfen.
Doch diesmal war die Überraschung groß, sagt Marion Witteyer, die Leiterin der Landesarchäologie Mainz bei der Präsentation am Mittwoch. Die Grabsteine stammen vom alten jüdischen Friedhof auf dem Judensand in Mainz - und steckten in einer Mauer. "Sie wurden nach einem Pogrom, wahrscheinlich das von 1438, verschleppt und sind dann dort eingemauert worden."
Praxis im Mittelalter: Jüdische Grabsteine als Baumaterial
Der Friedhof auf dem Judensand gilt bis heute als der Älteste überhaupt im askenasischen Judentum und war bis etwa 1300 der Größte. Für Mainz gab es ganz besondere Bestattungsriten, so wurde der Grabstein mit der Schrift auf ein Monument aufgesetzt, nicht wie andernorts direkt in die Erde. Nach der Vertreibung der Juden 1438 wurden die Grabsteine auf dem Judensand entfernt und wiederverwendet. Ein Vorgang, der auch aus anderen europäischen Städten bekannt ist.
Die 18 jetzt gefundenen Sandsteine sind mit hebräischen Buchstaben und Zahlen beschriftet. Aber diese konnten noch nicht gelesen werden, sagt Rabbiner Aharon Vernikovsky. "Man kann hier Buchstaben erkennen, die das hebräische Jahr des Todes dieser Person benennen", sagt er. "Sie sehen hier die fünf Buchstaben, die immer auf einem jüdischen Grabstein sind und die zu einer Tradition der Grabsteinkultur im Judentum zählen - ein typischer Grabstein aus dem Mittelalter."
Unschätzbarer Wert für das Judentum?
Vielleicht sind die Grabsteine von unschätzbarem Wert für das Judentum, wenn es sich um wichtige Rabbiner oder Gelehrte der alten jüdischen Gemeinde handeln sollte. "Wir werden gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde besprechen, wie wir mit diesem Fund umgehen", so der rheinland-pfälzische Kulturminister Konrad Wolf (SPD). An erster Stelle werde die wissenschaftliche Bearbeitung und Untersuchung stehen. "Diese Steine stehen für die Vergangenheit, aber auch eine Zukunft, die wir in den Mittelpunkt rücken wollen, indem wir diese Geschichte einer breiten Öffentlichkeit präsentieren wollen."
Auf dem Denkmalfriedhof auf dem Judensand in Mainz haben bisher rund 100 Meter Steine, die als Baumaterial verwendet wurden, eine zweite Ruhestätte gefunden. Dieser neue Fund ist ein weiterer Beleg für die jüdische Tradition in Mainz, ein weiterer Baustein für den Antrag des Landes Rheinland-Pfalz, die sogenannten SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz von der UNESCO als Welterbe anerkennen zu lassen. Im Sommer soll über den Antrag entschieden werden.