Vater aus Landau startet Petition

Landau: Spart das Land an Förderschulen unter dem Deckmantel der Inklusion?

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Autor/in
Sebastian Barth
Autor Sebastian Barth

Die Landesregierung will offenbar die 10. Klasse an Förderschulen abschaffen. Schüler konnten damit bislang trotz Lernbeeinträchtigung ihren Berufsabschluss und so einen Job bekommen. Eltern gehen auf die Barrikaden.

Dieter Vonnieda hat einen Sohn an der Nordringschule in Landau - einer Förderschule. Die Kinder haben dort seit Jahren die Möglichkeit, nach der eigentlichen Förderschulzeit von neun Jahren noch eine 10. Klasse dranzuhängen. Dadurch können sie einen "Abschluss zur Berufsreife" machen, was früher der Hauptschulabschluss war.

Land will 10. Klasse abschaffen

Das Land konkretisiert in diesen Tagen Pläne, dass das spätestens ab 2028 nicht mehr möglich sein wird. Dann müssen die Kinder nach der achten Klasse auf eine Realschule Plus wechseln und dort nach der neunten Klasse den Abschluss machen. Welche Förderung und Unterstützung sie dabei bekommen, ist noch völlig unklar.

Schülerinnen der Nordringschule in Landau vor dem Schulgebäude
Nordringschule in Landau

Rund 300 Förderschüler jährlich von der Neuregelung betroffen

Vonnieda erfuhr erst kürzlich, dass die Weichen bereits Ende dieses Jahres unabänderlich gestellt werden sollen. Danach ist es seinen Informationen zufolge nur noch eine Formsache, dass die Abschaffung der 10. Klasse kommt. Er startete Ende November eine Petition, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens rund 4.300 Eltern und auch Lehrer und Schulleiter unterzeichnet haben.

Nicht nur die zehnte Förderschulklasse soll abgeschafft werden, sondern auch die ersten beiden Förderschuljahre. Kinder sollen erst in der Regelgrundschule starten. Insgesamt fallen also drei Förderjahre weg. Vonnieda vermutet, dass hier Förderlehrerstellen eingespart werden sollen. "Die Förderschulzeit wird verkürzt, das heißt: die Zeit in der die Schülerinnen und Schüler umfänglich betreut werden wird weniger und - klar - dann werden weniger Lehrer gebraucht, und dann wird Geld gespart."

Die Förderschulzeit wird verkürzt (...) - klar - dann werden weniger Lehrer gebraucht, und dann wird Geld gespart.

Bildungsministerium: "So viel Normalität wie möglich"

Das Land begründet die Abschaffung der 10. Klasse anders: Es werde der Ansatz der "inklusiven Bildung" verfolgt und den Schülern "so viel Normalität wie möglich" verschafft. Außerdem sollen künftig "nur so viele Sonderwege wie notwendig" bestehen bleiben. Als die neue Schulordung vorgestellt wurde, gab es mehr als 80 Eingaben. Die Schulordnungsentwürfe werden laut Ministerium zur Zeit noch weiter diskutiert. Allerdings wurden laut Ministerium nur noch mit einzelnen Beteiligten Kritikpunkte erörtert. Dieter Vonnieda fürchtet, dass die Verordnung mit nur wenigen Änderungen durchgeboxt wird. Das Ministerium bestätigt, dass der Sonderweg der 10. Klasse auf jeden Fall abgeschafft wird, aber dass es eine "lange" Übergangszeit geben soll - bis 2028.

Dieser Vorschlag orientiert sich an dem Prinzip, in der inklusiven Bildung so viel Normalität wie möglich zu gewährleisten und nur so viele Sonderwege wie notwendig einzurichten.

Schülerinnen der Nordringschule in Landau vor dem Schulgebäude
Lena Kruzel (li.) und Katharina Becker vor ihrer Schule in Landau

Schüler und Schülerinnen dankbar für das Angebot

Lena Kruzel (14) und Katharina Becker (15) sind Schülerinnen der Nordringschule in Landau. Sie sagen dem SWR, dass sie ohne diesen geschützten Rahmen der Förderschule den Abschluss auf keinen Fall schaffen würden. Die Klassen sind mit 14 Schülern deutlich kleiner als an der Realschule Plus und wenn sie etwas nicht verstehen, bekommen sie es noch ein zweites oder auch drittes mal erklärt.

Jutta Munzinger hat zwei ihrer Kinder mit der Förderschule erfolgreich in den Beruf gebracht. Ihr Enkel ist jetzt vier Jahre alt und geht noch in den Förderkindergarten. Dass die Möglichkeit der 10. Klasse jetzt abgeschafft wird, empfindet Munziner als einen Schlag ins Gesicht der ohnehin benachteiligten Kinder.

Schulleiter: 10. Klasse in der Förderschule ein Erfolgsmodell

Mehrere Schulleiter haben die Petition von Dieter Vonnieda sofort unterzeichnet. Sie können nicht verstehen, warum dieses Modell vom Land aufgegeben werden soll. Ein Sprecher des Bildungsministeriums betont, dass von insgesamt 69 Förderschulen im Land nur 24 diese 10. Klasse überhaupt anbieten. "In den 45 anderen Förderschulen werden Schülerinnen und Schüler schon heute gut auf die verschiedenen Übergänge nach der 9. Klasse vorbereitet." Die Schulleiter bleiben aber dabei: Zumindest haben bislang die Eltern die Wahl, ihren Kindern diesen besonderen Schutz zukommen zu lassen.

Es gibt das freiwillige 10. Schuljahr derzeit in 24 von 69 Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. In den 45 anderen Förderschulen werden Schülerinnen und Schüler schon heute gut auf die verschiedenen Übergänge nach der 9. Klasse vorbereitet.

Von der Förderschule zur Supermarktleiterin oder zum Anlagenmechaniker

Die Schulleiter, die die Petition unterstützen, wollen nicht namentlich genannt werden. Als Beamte sind sie der Staatstreue verpflichtet. Wer öffentlich scharf kritisiert, gefährdet seinen Job und die Pension. Der ehemalige Schulleiter Peter Schmid sieht für sich weniger Gefahr: Er hat bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren immer 10. Klassen unterrichtet und betreut. Wie erfolgreich die zehnte Klasse ist, belegt in seinen Augen das Abschiedsgeschenk: Eine gebundene Sammlung von Briefen ehemaliger Zehntklässler. Alle danken ihm und beschreiben, was sie mittlerweile mit ihrem Berufsabschluss erreicht haben, weil man ihnen, wie sie sagen, die Aufmerksamkeit und Zeit in der Schule gegeben hat. Sie sind Altenpfleger, Supermarktleiterinnen, Anlagenmechanikerinnen, Mechatroniker. Für Schmid "durch die Bank erfolgreiche Berufskarrieren, die aber aus der Schule heraus auf den Weg gebracht worden sind."

"Ein ehemaliger Schüler zum Beispiel bewältigt die elektronische Fehlersuche bei Mercedes. Ich könnte sowas nicht. Da sind Filialleiter und Leiterinnen von Supermärkten dabei, Altenpfleger und Altenpflegerinnen. Alles durch die Bank erfolgreiche Berufskarrieren, die aus der Schule heraus auf den Weg gebracht worden sind - mithilfe dieser 10. Klasse."

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