Am Willersinnweiher in Ludwigshafen wurde im März 2020 eine junge Frau brutal vergewaltigt und gewürgt; sie starb später im Krankenhaus. Der Prozess gegen den zur Tatzeit 17-jährigen, mutmaßlichen Täter zog sich über knapp zwei Jahre hin. Im August sprach das Landgericht Frankenthal das Urteil gegen den inzwischen 19-Jährigen: zehn Jahre Haft im Jugendstrafvollzug wegen Mordes und Vergewaltigung. Danach legten Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision ein. Daher war das Urteil noch nicht rechtskräftig und der 19-Jährige blieb formal in Untersuchungshaft.
Lange Verfahrensdauer war das Problem
Das Pfälzische Oberlandesgericht in Zweibrücken gab jetzt einer Haftbeschwerde statt und hob den Haftbefehl mit der Begründung auf, der Mann habe durch Verfahrensverzögerungen bereits zu lange in Untersuchungshaft gesessen. Das sei mit dem rechtsstaatlichen Prinzip einer beschleunigten Verurteilung von Straftätern unvereinbar. So sei in einem Zeitraum von fast zwei Jahren lediglich an 57 Tagen verhandelt worden. An 20 dieser Verhandlungstage hätten die Sitzungen weniger als zwei Stunden gedauert.
Der SWR-Rechtsexperte Christoph Kehlbach erläutert die Entscheidung des Oberlandesgerichtes so: "Der Staat darf eigentlich nur Menschen ins Gefängnis stecken, die auch rechtskräftig verurteilt sind. Eine Ausnahme macht die Untersuchungshaft. Aber gerade weil es eine Ausnahme ist, muss es mit dem Strafverfahren dann auch schnell gehen. Man kann also nicht einfach jemanden in U-Haft stecken und dann bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf ein Urteil warten lassen. Und genau das war hier das Problem."
Landgericht Frankenthal weist Verantwortung von sich
Das Landgericht Frankenthal erklärt die lange Verfahrensdauer mit dem umfangreichen Prozessstoff, aufwändiger Beweisaufnahme und vielen Prozessbeteiligten. Eine Sprecherin des Landgerichts führt aus: "Mit allen diesen mussten sämtliche 57 Prozesstermine abgestimmt werden. Hinzu kamen während des Prozesses mehrere Krankheitsfälle, unter anderem Corona-Erkrankungen, von Prozessbeteiligten, die dazu geführt haben, dass das Verfahren über Wochen nicht weiter betrieben werden konnte."
Die Verteidigung begrüßt, dass die Untersuchungshaft des Angeklagten beendet ist. Sie hofft aber nun auf ein schnelles rechtskräftiges Urteil. Anwalt Alexander Klein sagte dem SWR: "Der Angeklagte hat kein Interesse daran, jetzt ein Jahr lang in Freiheit auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu warten. Denn das ist ja auch vertane Lebenszeit. Er würde seine Strafe auch gern hinter sich bringen."
Aktuell kann der 19-Jährige sich frei bewegen. Er wurde nach Angaben seines Anwalts ohne jegliche Auflagen aus der U-Haft entlassen.
Verteidiger der Familie: Eltern sind entsetzt
Die Eltern der verstorbenen 17-Jährigen seien entsetzt, dass der mutmaßliche Mörder ihrer Tochter wieder auf freiem Fuß sei, sagte der Anwalt der Nebenklage, Christoph Hambusch dem SWR. Auch er könne die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht nachvollziehen. Diese Entscheidung sei unerträglich, so Hambusch.
Die Polizei habe bereits versucht, die Familie zu beruhigen. Er schließe auch nicht aus, dass die Polizei den mutmaßlichen Mörder beobachte, so der Rechtsanwalt.
Frankenthal fordert eventuelle Sicherheitsverwahrung
Die Staatsanwaltschaft Frankenthal fordert in ihrer Revision, dass in dem Urteil eine "vorbehaltene Sicherungsverwahrung" aufgenommen wird. Das bedeutet, dass während der Haftzeit in einem gesonderten Verfahren festgestellt werden kann, dass eine Wiederholungsgefahr besteht und der Verurteilte auch nach dem Verbüßen seiner Haftstrafe weiter unter Aufsicht bleiben muss.
CDU beantragt Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag
Die CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag will das Verfahren zum Thema im Rechtsausschuss machen. Die Abgeordnete Anette Moesta teilte am Freitag mit: "Es ist nicht akzeptabel, dass eine Person, der derartig schwere Verbrechen zur Last gelegt werden, aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss, weil das Gerichtsverfahren nicht in angemessener Zeit zum Abschluss gebracht werden kann." Justizminister Herbert Mertin (FDP) müsse erklären, wie es zu dieser Verzögerung kommen konnte und ob mangelhafte Personalausstattung des Gerichts dafür die Ursache gewesen sei. Außerdem wolle die CDU-Fraktion wissen, wie sichergestellt werde, dass der Verurteilte keine weiteren Schwerverbrechen begehe.