Zwei Tage durchgeweint
Katja zupft an einem Sofakissen herum, das sie schützend auf ihrem Schoß ausgebreitet hat. Ihr Blick ist nach unten gesenkt, wenn sie spricht. Ihre Stimme ist leise aber fest. Nein, es sei keine leichte Entscheidung gewesen, der Heimat den Rücken zukehren. Zwei Tage habe sie durchgeweint. Und wenn sie für sich ist, ihre beiden Kinder sie nicht sehen, weint sie immer noch über den Verlust der Heimat. Doch es habe keine Alternative zur Flucht gegeben, sagt sie. Zuhause sei es einfach zu unsicher geworden.
Eine Herzensangelegenheit zu helfen
Wenn Katja traurig von ihrer Flucht erzählt, schießen ihrer Gastmutter Elke Thomas immer auch gleich die Tränen in die Augen. Für sie und ihren Ehemann Helmut Thomas sei es keine Frage gewesen, ob sie Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, sondern eine Herzensangelegenheit. "Ich kann seit Kriegsbeginn keine Nacht mehr schlafen. Wenn ich nur an die Geschehnisse dort denke, bekomme ich schon wieder eine Gänsehaut“, drückt sie ihr großes Mitgefühl für die ukrainische Bevölkerung aus.
Ihr Mann und sie seien vor Jahren selbst in der Ukraine gewesen und waren überwältigt von der dortigen Gastfreundschaft. "Vielleicht können wir ja jetzt etwas davon zurückgeben“, hofft Elke Thomas.
Spielsachen, Kleidung, Fahrräder für die Kinder
Während die beiden Frauen miteinander sprechen, spielt die fünfjährige Maria mit Puppen auf dem Wohnzimmerboden im Haus von Familie Thomas. "Unsere Kinder sind aus dem Haus. Ich bin Rentnerin und habe Zeit. Es macht mir Freude zu helfen“, erklärt Elke Thomas. Zusammen mit ihrem Mann hat sie Spielsachen, Kinderkleidung und sogar gebrauchte Fahrräder für die Kinder besorgt.
Große Dankbarkeit
Katja, die ihren Nachnamen aus Angst vor Repressionen gegen ihren in der Ukraine zurück gebliebenen Mann, nicht nennen möchte, ist Familie Thomas unendlich dankbar. "Hier sind wir in Sicherheit. Es geht uns gut“, erzählt sie. Helmut Thomas beschreibt Katja als unendlich liebenswürdig. "Sie hilft, wo sie kann, im Haus mit. Die Katja ist eine ganz angenehme Frau“, berichtet er.
Der lange harte Weg nach Bad Dürkheim
Die lange Reise nach Bad Dürkheim erfolgte überstürzt. Nicht einmal genügend Proviant hatte Katja für sich und die Kinder dabei, erzählt sie. Mit Zügen und Bussen sei es von Saporischschja nach Warschau und weiter nach Berlin gegangen. Dann von Berlin nach Mannheim und dort holte Familie Thomas die Ukrainerin Katja und die Kinder vom Bahnhof ab.
Große Angst in der Ukraine
Katjas Zuhause ist gerade mal 100 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt, das durch den Brand vor einigen Tagen eine traurige Berühmtheit erfahren hat. Natürlich habe sie große Angst vor einer möglichen atomaren Katastrophe gehabt, erklärt Katja. Die Fahrt sei strapaziös gewesen, die Züge gerade in der Ukraine komplett überfüllt. Auf einen Platz seien vier Leute gekommen. Doch sowohl in Polen als auch in Deutschland habe man sie und die Kinder sehr herzlich aufgenommen und gut versorgt.
Von ihrem Mann habe sie sich vor der Reise nicht verabschieden können. Er kämpft seit Jahren in der Ostukraine gegen die Separatisten-Gruppen. Nun kämpfe er in seiner Heimat gegen die russische Armee.
Die Kinder sind verstört
Während die kleine Maria immer wieder auf den Schoß ihrer Mutter klettert und ihr überall im Haus folgt, sitzt ihr 13-jähriger Bruder Andre still auf dem Sofa. Er geht in die achte Klasse und ist sichtlich mitgenommen von der Tatsache auf einmal nicht mehr zur Schule zu können, Familie und Freunde nicht mehr, um sich zu haben. "Erst haben wir den Kindern gar nichts erzählt. Aber natürlich fragten sie uns, warum sie ständig in den Keller gehen sollten. Und sie verstanden auch nicht, warum wir unsere Heimat verlassen müssen. Ich habe ihnen dann erklärt, dass wir zuhause einfach nicht mehr sicher sind“, erzählt Katja.
Pfälzerin als Ersatz-Oma
Elke Thomas berichtet, dass gerade die Fünfjährige bei ihrer Ankunft in Bad Dürkheim furchtbar nörgelig, weinerlich und geradezu aggressiv gewesen sei. Doch nun habe sie sich beruhigt.
"Wir spielen jeden Tag miteinander und haben Spaß, obwohl wir uns eigentlich gar nicht richtig verstehen, von der Sprache her, meine ich“, lacht Elke Thomas. "Ich fühle mich jetzt so ein bisschen wie eine Oma“, erklärt sie.
Zu helfen bedeutet mehr als eine Schlafmöglichkeit bereit zu stellen
Vieles haben Elke und Helmut Thomas schon für Katja und ihre Kinder organisiert: Ämtergänge, Corona-Tests. Familie Thomas ist klar, dass es nicht damit getan ist, den ukrainischen Flüchtlingen ein Bett hinzustellen. Später geht es vielleicht auch darum, dass die Kinder in den Kindergarten bzw. zur Schule gehen müssen, Katja eine Arbeitsstelle finden muss.
Deutschland kennenlernen
Das Ehepaar stellt sich auf ein längerfristiges Engagement ein. "Ich habe ja Zeit und auch Platz haben wir genug, alles kein Problem“, erklärt Elke Thomas. "Und im Sommer, da reisen wir ein bisschen durch Deutschland. Das habe ich mit der Katja schon besprochen“, erzählt die rührige Rentnerin. "Die wussten ja nicht einmal, wo sie gelandet sind. das haben wir ihnen erst einmal auf der Landkarte zeigen müssen“, so die Bad Dürkheimerin weiter. Doch so weit in die Zukunft will Katja gar nicht denken. Denn eigentlich will sie nur eines: So schnell als möglich wieder heim und ihren Ehemann fest in die Arme nehmen.