Die Stiftung Lebensblicke aus Ludwigshafen ist alarmiert von den Zahlen der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Professor Jürgen Riemann, Vorsitzender der Stiftung Lebensblicke, erklärt: "Sogar junge Erwachsene, die nicht zur Risikogruppe gehören, also weder übergewichtig sind noch etwa an Diabetes leiden, bekommen immer öfter eine Krebsdiagnose."
Deshalb sollten aus seiner Sicht vor allem die Darmkrebsvorsorge-Untersuchungen deutlich vor dem 55. Lebensjahr durchgeführt werden.
Anteil junger Erwachsener mit Darmkrebs wächst
Laut einer Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg hat der Anteil junger Erwachsener, die die Diagnose Darmkrebs erhalten, deutlich zugenommen. 14 Prozent der Erkrankten sind aktuell deutlich unter 55 Jahren. Eine kostenlose Vorsorgeuntersuchung ist in Deutschland bei Frauen aber erst ab 55 Jahren, bei Männern ab 50 Jahren vorgesehen. In den USA sind Vorsorge-Untersuchungen immerhin ab 45 Jahren vorgesehen. Das sei das Mindeste, fordert die Stiftung Lebensblicke.

Genauere Diagnosen möglich
Professor Christian Klink vom Diakonissenkrankenhaus in Speyer erklärt gegenüber dem SWR: "Die Diagnosen sind heutzutage viel genauer, dank bildgebender Verfahren wie einem MRT oder einem CT. Dadurch entdecken wir natürlich auch viel öfter Gewebeveränderungen." Auch er beobachtet eine Zunahme von Krebserkrankungen im Bauchraum - auch bei jüngeren Patienten, allerdings besonders bei Menschen, die übergewichtig sind.
Junge Frau aus Harthausen bekommt seltenen Darmkrebs
Auch Sarah Unterländer, 29 Jahre jung, aus Harthausen bei Speyer, wurde von Professor Klink behandelt. Sie gehört zu keiner Risikogruppe, leidet weder an Übergewicht noch an Diabetes noch an einer anderen Vorerkrankung. Die Erzieherin hat kurz vor Ostern die Diagnose "muzinöse Neoplasie am Appendix" bekommen, eine sehr seltene Krebsart im Blinddarm, die sich auf den gesamten Bauchraum ausdehnen kann. Sarah Unterländer hatte Glück. Ihr Tumor wurde rechtzeitig entdeckt, bei einer Vorsorgeuntersuchung bei der Frauenärztin.
Schock nach überraschender Krebsdiagnose
"Meine Frauenärztin vermutete ein Myom. Das sollte im Krankenhaus entfernt werden. Doch als ich aufwachte, erklärte mir eine Krankenschwester, man habe den Blinddarm entfernt", erzählt die sympathische junge Frau. Die eigentliche Diagnose bekommt sie dann überraschend ein paar Tage später. Die Klinik ruft an und bittet Unterländer zur Besprechung der Befunde nochmal zu kommen - die junge Frau ist entsetzt und schockiert.

Angst vor Unfruchtbarkeit
Im Diakonissenkrankenhaus in Speyer habe man sie freundlich und sachlich über ihre Krebsart informiert. Sie habe sich auch mit einer Operation, in der Bauchfellgewebe entfernt werden sollte, und einer örtlichen Chemo im Bauchraum einverstanden erklärt. "Aber als ich erfuhr, dass die Chemo auch die Eierstöcke zerstört und es unklar ist, ob ich dann jemals gesunde Kinder auf die Welt bringen werde, war es bei mir vorbei", erzählt Unterländer mit brüchiger Stimme.
Junge Patienten haben andere Bedürfnisse
Laut der Stiftung Lebensblicke in Ludwigshafen sind dies genau die Punkte, die es bei der Behandlung junger Erwachsener zu beachten gilt. Die Betroffenen stehen mitten im Leben, möchten wieder zurück in ihren Beruf, müssen Kinder versorgen oder wollen eine Familie gründen.
Sarah Unterländer wird sofort geholfen. Das Speyer Diakonissenkrankenhaus organisiert einen Termin im Kinderwunschzentrum. Sarah Unterländer kann sich sofort einer Hormontherapie unterziehen und schon nach 14 Tagen werden ihr 14 Eier entnommen, die eingefroren werden, damit Sarah Unterländer und ihr Ehemann zu einem späteren Zeitpunkt das Projekt "Familiengründung" angehen können.

Schmerzhafte Behandlung
Anschließend steht die Krebs-OP an: Während der Operation bekommt die Patientin außerdem eine Chemo-Bauchspülung. "Sie haben mir fünf Zugänge am Bauch angebracht, auf der einen Seite zwei, auf der anderen drei. Die Chemolösung wurde eingebracht, im Bauchraum verwirbelt und dann wieder ausgeführt", erklärt die 29-jährige Erzieherin. Die erste Nacht verbringt sie auf der Intensivstation, zwei Tage muss sie isoliert liegen.
Ehemann an ihrer Seite
"Als ich aufwachte hatte ich solche absurden Schmerzen, dass ich kaum Luft bekam. Obwohl ich eine Peridualanästhesie hatte, durch die ich Schmerzmittel in Höchstdosis bekam", erzählt Sarah Unterländer im SWR-Interview. Am Ende half ihr nur noch Opium, um zur Ruhe zu kommen. Und die Unterstützung ihres Mannes. Der durfte aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht zu ihr. "Aber ich konnte ihn jederzeit anrufen. Abends hat er mir stundenlang aus einem Buch vorgelesen, seine Stimme hat mich etwas beruhigt", berichtet die junge Frau sichtlich ergriffen von den jüngsten Ereignissen.

Zukunft: Behandlungen direkt am Tumor
Die Chancen von Sarah Unterländer stehen gut: Die Chemo sollte auch noch die letzten kleinen Krebszellen in ihrem Bauch eliminiert haben. Gezielten Krebsbehandlungen am Ort des Tumors gehören die Zukunft, erklärt Professor Klink vom Diakonissen Krankenhaus in Speyer. "Möglicherweise werden wir durch diese Art der Chemotherapien und Bestrahlungen in Zukunft ganz auf Operationen verzichten können", so der Fachonkologe.
Und irgendwann werde auch der MRNA-Technik, die momentan bei der Corona-Impfung eingesetzt wurde, die medizinische Zukunft gehören - als eine Art "Krebs-Impfung", doch noch stecke diese Technik in den Kinderschuhen.

Traum: Hochzeitsreise nach Schottland
Sarah Unterländer fährt in den nächsten Tagen erst einmal in die Reha. Ihr Ziel: wieder mobil werden, denn im Augenblick kämpft sie sogar mit dem ganz normalen Laufen. Im Juli hat sie aber Besonderes vor: Die verschobene Hochzeitsreise mit ihrem Mann nachholen!
"Es geht nach Schottland, da träumen wir seit zehn Jahren davon", sagt die junge Frau. Und die Zeichen stehen sehr gut für Sarah Unterländer, dass nicht nur dieser Traum wahr werden wird.
SWR1 Rheinland-Pfalz: Thementag zu Krebs und Behandlungsmöglichkeiten
Mehr über die Geschichte von Sarah Unterländer und weitere Informationen zum Thema Krebs bei jungen Menschen gibt es am Mittwochvormittag bei SWR1 Rheinland-Pfalz zwischen 9.30 Uhr und 11 Uhr. Unter anderem spricht SWR1 Rheinland-Pfalz mit einem Reproduktionsmediziner von der Stiftung Junge Erwachsene und Krebs über die Frage, welche Behandlungsmöglichkeiten es speziell für junge Krebspatientinnen mit Kinderwunsch gibt.