Der Eingang des Klinikums Ludwigshafen (Foto: SWR)

Klinikreform gefordert

Klinikdirektor aus Ludwigshafen: "Corona-Welle im Herbst war verheerend"

Stand
INTERVIEW
Panja Schollbach

Die ersten Bundesländer kippen die Isolationspflicht für Corona-Infizierte. Klinikdirektor Prof. Günter Layer aus Ludwigshafen ist skeptisch und erklärt im Interview, warum die Herbst-Welle "verheerend" war und er Bundesgesundheitsminister Lauterbach gerne mal einladen würde.

SWR Aktuell: Die ersten Bundesländer kippen die Isolationspflicht für positiv auf Corona Getestete - halten Sie das für vertretbar?

Prof. Günter Layer: Gute Frage, das weiß im Moment noch keiner! Das kommt aber ja immer wieder darauf an, was die nächste Welle, die ja höchstwahrscheinlich kommen wird, mit sich bringt. Neue Variante, gefährlichere Variante, keine gefährlichere Variante, alles wie bisher oder - wenn wir Glück haben - gar keine neue Welle oder nur noch ein laues Lüftchen? Meines Erachtens weiß das niemand. Und daran entscheidet sich auch, ob das im Endeffekt sinnvoll war oder ob dann hinterher wieder jeder sagt: "Das hättet ihr nicht tun sollen!"

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SWR Aktuell: Durch die Impfung gibt es eine Basisimmunität von mehr als 90 Prozent innerhalb der Bevölkerung und in der Regel gibt es keine schweren Krankheitsverläufe mehr. Sind das nicht gute Gründe?

Layer: Wir haben jetzt sehr früh im Herbst eine sehr hohe Welle gehabt. Die war höher als alles andere, was wir jemals erlebt haben. Das war noch nicht so sehr aufgefallen, weil die krankmachende Komponente eben relativ gering war. Wir sind jetzt wieder am Abflauen dieser Welle, und die nächste steht vor der Tür. Wenn die wieder harmlos wird, ist alles gut. Aber wenn die nicht harmlos wird, dann wird jeder wieder anfangen zu jammern.

SWR Aktuell: Wie hat sich denn die Herbst-Welle in der Klinik gezeigt?

Layer: Die war eigentlich wirklich verheerend! Das hat die Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen. Die Kliniken haben das wahrgenommen, und die Politik hat es von uns vermittelt bekommen. Wir waren so in der Ecke gestanden, wie noch nie seit die Corona-Zeit begonnen hat. Es waren keine Betten mehr verfügbar, es waren keine Transporte mehr verfügbar. Selbst Rettungsflüge befanden sich stundenlang über Rheinland-Pfalz bis sie ein Intensivbett gefunden haben. Das sind Dinge, die hat die Öffentlichkeit weder wahrgenommen noch vermittelt bekommen. Und das war kurzzeitig, ungefähr 10 bis bis 14 Tage lang, wirklich eine ganz, ganz schwierige Situation – aber eben nicht durch den Schweregrad der Patienten. Sonst wäre das natürlich durch die Presse gegangen. Wir sind der Krankheitsfälle kaum Herr geworden, weil es sehr viele Kranke gab und gleichzeitig extreme Personalausfälle in den Kliniken und in den anderen Systemen des Gesundheitswesens. Das war schwierig!

Der Eingang des Klinikums Ludwigshafen (Foto: SWR)
Der Eingang des Klinikums Ludwigshafen

SWR Aktuell: Wie sieht es denn jetzt momentan aus?

Layer: Es hat sich wieder normalisiert. Im Moment ist die Versorgung in den Kliniken kein Problem. Wir arbeiten ganz stabil und die Zahlen sind ja auch wieder massiv nach unten gegangen. Wir sind sozusagen in einem Abklingen dieser B4/B5-Welle. Und jetzt warten wir auf die neue Omikron-Variante BQ1.1. Die Berechnungen sagen, dass die Zahlen irgendwann im Dezember vor Weihnachten wieder massiv hochgehen werden. Mal schauen, ob die Prognosen recht behalten.

SWR Aktuell: Gibt es denn noch schwere Corona-Verläufe auf den Intensivstationen?

Layer: Nein. Wir hatten generell nur sehr wenig Intensivfälle, die durch Corona bedingt waren. Wir haben natürlich immer wieder Intensivpatienten, die auch Corona haben und nur sehr wenige, die wirklich diese typischen Pneumonien, also Lungenentzündungen, haben. Und wir haben noch weniger Todesfälle wegen Corona. Ich erinnere mich jetzt nur an einen in den vergangenen Wochen. Das ist vergleichsweise wirklich wenig. Wir haben bei uns im Haus derzeit zwei aktive Corona-Fälle auf den Intensivstationen - aber nicht wegen, sondern mit Corona.

SWR Aktuell: Wer stirbt in diesem Herbst an Corona?

Layer:  Das waren in der letzten Welle wieder vor allem die Hochbetagten. Wir hatten zum Teil über 100 Corona-Infizierte im Haus, was wieder ein Spitzenwert war, wie im vor-vorletzten Winter. Das waren vor allem die Über-80-Jährigen, die schwer betroffen waren. Geimpft sind sie ja fast alle – aber nur ein Teil war geboostert. Der Schweregrad der Erkrankung geht natürlich durch die Impfung massiv zurück. Aber nichtsdestotrotz sind eben 80-Jährige gefährdet, auch wenn die Infektion nicht so schwer zuschlägt.

SWR Aktuell: Experten sagen, in diesem Winter könnten erstmals Grippe und Corona gleichzeitig grassieren. Das könnte für die Kliniken zur Dauerbelastung werden. Ist da was dran aus ihrer Sicht, und was ist zu tun?

Layer: Das ist ja immer so: Wenn mehrere Jahre die Grippewellen nicht so ausgeprägt waren und die Impfung sehr zuverlässig geschützt hat, dann kommt irgendwann auch wieder ein Jahr, in dem das schlechter gelingt. Dazu kommt, dass die Grippeimpfung meines Erachtens, ohne dass ich das durch Zahlen stützen könnte, zumindest bisher nicht so frequentiert wird, wie in den vergangenen Jahren. Es gibt eine gewisse Impfmüdigkeit. Nicht nur, was Corona angeht, sondern auch was die Influenza angeht. Das würde die Gefahr da noch ein Stück weit verstärken. Und es ist tatsächlich so, dass auch in Rheinland-Pfalz unerwartet früh dieses Jahr viele Influenzafälle aufgetreten sind. Wir merken das in unserer Klinik nicht. Wir haben vereinzelte Fälle, zuletzt zwei. Aber insgesamt sind in Rheinland-Pfalz schon über 100 Fälle stationär behandelt worden. Das sind ungewöhnlich viele und ungewöhnlich früh. Man kann nur dazu aufrufen, dass sich alle, insbesondere die Risikogruppen, impfen lassen.

SWR Aktuell: Es gibt ja in Rheinland-Pfalz die sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt, positiv Getestete können, wenn sie keine Corona-Symptome haben, arbeiten gehen - natürlich unter Einhaltung dieser strengen Hygienemaßnahmen. Wie ist es denn am Klinikum?

Layer: Wir lassen die Mitarbeiter, die positiv getestet sind, derzeit nicht arbeiten. Wir fürchten nicht so sehr, dass sie die Infektion weitergeben, aber dass das bei den Patienten und bei den Angehörigen nicht gut ankommen würde. Jeder, der sich irgendwie infiziert, würde natürlich fragen, war es nicht dadurch bedingt? Und man muss auch sagen, das ist auch versicherungstechnisch gar nicht so einfach zu beantworten. Wenn ein Angehöriger zum Beispiel nach einem Todesfall klagt, wie die Gerichte da entscheiden werden, ob so etwas zulässig war. Gesetzeslage hin, Gesetzeslage her - das möchten wir nicht riskieren. Ich persönlich kenne auch keinen einzigen Covid-Infizierten, der asymptomatisch war. Sie müssen bedenken, dass man auch, wenn die Erkrankung nicht so schwerwiegend ist, eingeschränkt ist und sich den Belastungen, die wir heute im Klinikalltag erleben, nicht mehr unbedingt gewachsen fühlt. Das sind so viele ungeklärte Fragen. Wir möchten das nicht riskieren.

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SWR Aktuell: Die Corona-Pandemie hat die Kliniken schon an die finanziellen Grenzen gebracht. Jetzt kommen aber auch noch steigende Energiekosten dazu. Die Bundesregierung hat einen Härtefallfonds aufgelegt - acht Milliarden Euro unter anderem für die Kliniken. Reicht das denn?

Layer: Ob es reichen wird, weiß ich nicht. Das werden irgendwelche schlauen Betriebswirte für uns durchrechnen, was reicht und was nicht reicht. Wir kennen ja auch, ehrlich gesagt, gar nicht ganz genau die Entwicklung der Energiekosten. Ich hoffe mal, dass da in der ersten Panik jetzt ein bisschen übertrieben worden ist und dass die Maßnahmen, die wir durch die Bundesregierung erleben, uns dann ein Stück weiterhelfen werden.

Aber unabhängig davon, müssen wir es jetzt mal hinkriegen, dass wir eine echte Krankenhausreform durchführen. Corona war nur der Katalysator einer Strukturkrise. Das, was jetzt aus der Politik kommt, ist keine echte Krankenhausreform! Das ist die Mischung aus einer Panikreaktion mit kurzfristigen finanziellen Hilfsangeboten, von denen die Klinikbetreiber und die Klinikmanager davon ausgehen, dass es nicht ausreichend sein wird. Die Pläne, die wir jetzt erleben, in Richtung Ambulantisierung, sind zumindest in Deutschland in der derzeitigen Situation nicht hilfreich aus meiner Sicht. Sie bilden die Realität unserer Versorgungssituation nicht ab. Das ist von Leuten ausgedacht, die nicht wirklich in der Klinik arbeiten!

SWR Aktuell: Was würden Sie dieser Reform entgegenhalten wollen?

Layer: Naja, versuchen Sie mal, in einem Haus mit fast 1.000 Betten jeden Abend die Betten zusammenzuschieben, um nachts weniger Schwestern vor Ort haben zu müssen. Das ist ja immer das, was vorgeschoben wird von unseren Politikern oder vom Gesundheitsminister, dass das eine Entlastung fürs Pflegepersonal und damit auch für die Kostenstrukturen eines Krankenhauses sein soll. Ich lade Karl Lauterbach gerne einmal ein, zu uns zu kommen und das zu praktizieren und mal umzusetzen vor Ort. Das ist einfach eine völlige Illusion. Das kann sich nur jemand am Schreibtisch ausdenken, der nicht vor Ort ist!  Ich kann nur sagen, die Politiker sollen mal kommen und sollen mal hier das Prozessmanagement für eine Woche übernehmen. Und dann kriegen sie von ihrem Lohn das abgezogen, was sie nicht eingetrieben haben. Da wären die schnell kuriert. Das ist einfach unrealistisch - ich will es mal ganz freundlich ausdrücken.

SWR Aktuell: Wie muss eine Krankenhausreform aussehen aus Ihrer Sicht?

Layer: Wir müssen an ein paar Themen ran, die bisher absolut tabu sind. Ohne, dass die Politik beginnt, sich mal zu trauen, diese Themen auch anzusprechen, werden wir keinen Schritt weiterkommen.

SWR Aktuell: Und welche Themen sind das?

Layer: Es geht zum Beispiel um den Patientenanspruch. Die Frage ist ja tatsächlich, sind wir in Deutschland so viel kränker als der Rest der Welt? Müssen wir für jedes Zipperlein zum Arzt, müssen wir am dritten Tag Kopfweh ein MRT machen? Das ist jetzt böse gesprochen. Ich glaube, wir müssen an dieses Thema 'Verantwortung des Patienten' heran. Wenn wir möchten, dass wir solidarisch diejenigen unterstützen, die wirklich krank sind, dann müssen wir auch den Begriff der Krankheit mal neu definieren.

SWR Aktuell: Wie könnte das aussehen?

Layer: Was muss wann behandelt werden, wo muss es behandelt werden und was braucht es dafür? Reicht eine hausärztliche Versorgung, reicht eine kassenärztliche Versorgung oder muss jemand stationär ins Krankenhaus? Diese Dinge muss man mal ein bisschen ehrlicher diskutieren, auch unter dem Aspekt Patientenanspruch. Wir haben unsere Ansprüche ins Unermessliche gesteigert und so leid es mir tut: Ich glaube, das geht nur, wenn wir den Patienten schmerzhaft auch an den Kosten beteiligen. Anders begreift man das nicht. Man denkt immer, man hat auf alles Anspruch, und das muss sich verändern!

Gleichzeitig ist es so, dass wir in der Pflege derartigen Mangel haben, dass jeder fünfte Berufsschulabgänger in die Pflege gehen müsste, damit wir in den kommenden Jahren diesen Bedarf decken können. Das ist alles völlig unrealistisch. Wir müssen Lösungen wiederfinden, die Ansprüche reduzieren. Wir werden weder genügend Ärzte bekommen, noch werden wir genügend Pflegepersonal bekommen. Und wir müssen deren Arbeitsbedingungen wieder so weit verbessern, dass es auch attraktiv ist, in den Gesundheitsberuf zu gehen. Und wenn wir nicht unsere Ansprüche reduzieren, dann wird das nicht gelingen. Das ist eine bittere Wahrheit und kein Politiker traut sich, das laut zu sagen.

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