Die 30-jährige Elena, ihre kleine siebenjährige Tochter Emily und Oma Walentina waren unter den ersten Flüchtlingen, die vor Wochen in der Pfalz ankamen. Denn die Verbandsgemeinde Lambsheim-Hessheim, zu der Großniedesheim gehört, war die erste in der Pfalz, die an die ukrainisch-polnische Grenze fuhr, um Hilfsgüter dorthin zu transportieren und Geflohene mitzunehmen. Die Verbandsgemeinde hatte zwei Busse und ein Feuerwehrfahrzeug dafür zur Verfügung gestellt, wie der Großniedesheimer Ortsbürgermeister Michael Walther (SPD) erzählt.

Gut angekommen in Großniedesheim
"Es geht uns schon viel besser, seit wir hier sind! Alle sind so liebenswürdig hier und helfen uns so sehr!", erzählt die junge Mutter, die aus der ukrainischen Stadt Charkiw geflohen ist, die seit Wochen von russischen Einheiten unter Dauerbeschuss steht.
Warum klappt es in Großniedesheim besser als anderswo?
"Warum es bei uns mit der Hilfe vielleicht ein bisschen besser klappt als anderswo? Weil wir hier in Großniedesheim entschlussfreudige Menschen sind, die bestens vernetzt sind“, erklärt Ortsbürgermeister Michael Walther nicht ohne Stolz. Und tatsächlich: In Sachen Ukraine-Hilfe scheint ein Zahnrädchen ins andere zu greifen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) betreibt eine Kleiderkammer, versucht aber auch Einkäufe für die geflohenen Mütter, Großmütter und Kinder zu erledigen und - wenn möglich - auch ein wenig seelsorgerisch tätig zu sein.
Zudem organisiert das DRK samstags ein Café in Vereinsheimen. Praktischerweise ist der örtliche DRK-Chef, Serge Endrizzi, auch der Vorsitzende der Ukraine-Hilfe in der Verbandsgemeinde. "Ein Organisationswunder!", lobt der Ortsbürgermeister.
Auch Kirche betreut Flüchtlinge aus Ukraine
Aber Großniedesheim scheint nur aus "Organisationswundern" zu bestehen. Beispiel: Christiane Pohl, Presbyterin in der Kirchengemeinde Heuchelheim und somit auch für Großniedesheim zuständig. Ihre Kräfte scheinen unendlich. Neben der engagierten Kirchenarbeit und der allgemeinen Ukraine-Hilfe betreut sie auch noch eine neunköpfige ukrainische Familie. "Eigentlich gibt’s keinen Tag, an dem nicht etwas zu organisieren ist. Eben war man noch in der Kleiderkammer, dann gilt es, einkaufen zu gehen, dann stehen Ämter- oder Bankgänge auf dem Programm oder es muss etwas übersetzt werden“, erzählt sie. Aber es mache auch viel Freude und es sei toll, wie man doch hier so zusammenwachse.

Flüchtlinge und Dorfbewohner treffen sich zum Tee
Zusammen mit der Kirchengemeinde hat sie auch einen Treffpunkt organisiert. Immer freitags nach dem Friedensgebet, gibt’s Tee und dabei kommen Helfer und ukrainische Familie zusammen und tauschen sich aus. Beim Tee entstehen auch Ideen: "Da kommt man dann drauf, dass es doch einen Mann mit Fahrradwerkstatt gibt. Und dann sammeln wir alte Räder, lassen die reparieren und verteilen sie an die Familien“, berichtet Claudia Pohl. "Das ist so schön, wie die jetzt alle durch den Ort sausen und sich drüber freuen, wenigstens ein bisschen mobil zu sein“, lacht die Presbyterin, der es vor allem die Kinder angetan haben.
"Wir sammeln Spielzeug für drinnen und draußen, spielen und toben mit den Kindern", erzählt sie. Doch das Allerwichtigste sei, für die Menschen einfach nur da zu sein. "Wenn jemand traurig ist, nehmen wir denjenigen einfach in den Arm, das ist doch das Wichtigste!", weiß sie aus der Arbeit der vergangenen Wochen mit den Geflohenen.

Auch Geflüchtete können sich in Großniedesheim austauschen
Ja, es sei keine leichte Aufgabe für die Helfer, sagt DRK-Chef Serge Endrizzi. Aber noch kämen die Helfer ganz gut klar. Anders sei es mit den Wohnungsgebern. Die kämen schon mal schneller an ihre Grenzen. Daher gibt es in Großniedesheim auch für Helfer und für Wohnungsgeber Treffpunkte, um sich auszutauschen. Das sei wichtig, so Serge Endrizzi.
Genauso wichtig sei es, dass sich die ukrainischen Familien austauschen können, erklärt Verbandsbürgermeister Michael Reith. "Man muss sich doch mal mit Menschen austauschen, die das Gleiche erlebt haben, in der gleichen Situation sind - und zwar in der Heimatsprache. So kann man die traumatischen Erlebnisse auch ein Stück weit besser verarbeiten." All das sei möglich im Dorf.

"Gäste" nennt der Verbandsbürgermeister von Lambsheim-Heßheim Michael Reith (SPD) die ukrainischen Familien, die in der Verbandsgemeinde in 24 Wohnungen oder Häuser eine Heimat auf Zeit gefunden haben. Nicht weil er sie schnell wieder loswerden will, sondern aus Respekt vor den ukrainischen Familien.
Emily geht bereits in die Grundschule des Dorfs
Sie seien den Menschen in Großniedesheim und in der ganzen Verbandsgemeinde unendlich dankbar, erzählt Elena. Es sei unglaublich wie man sie, ihre kleine Tochter und ihre Mutter hier aufgenommen habe. Die Siebenjährige besucht bereits die Grundschule des Ortes. Jeden Tag würden die Mitschüler Emily am Morgen vor Unterrichtsbeginn herzlich empfangen und in den Arm nehmen.
"Die Integration der insgesamt drei ukrainischen Grundschüler klappt super", bestätigt auch Grundschulrektorin Tanja Eberle. Die Kids spielen alle miteinander, die wenigen Kinder, die auch russisch könnten, übersetzen für die "Gäste" und sie nehmen an allen Unterrichtseinheiten selbstverständlich teil. Der Vorteil sei auch, dass die Grundschule so klein sei.
Die Zukunft der Geflüchteten ist gerade ungewiss
Gefällt es Elena, Emily und der Oma so gut, dass sie in Großniedesheim bleiben wollen? Dass sei eine sehr schwierige Frage, sagt Elena. Sie habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ihr Ehemann ist in Charkiw geblieben, um zu kämpfen. Ihr Lebenstraum und auch der Lebenstraum aller Ukrainer sei, dass dieser Krieg aufhöre. Ihr Herz gehöre ihrer Heimat. Auch wenn sie mehr als dankbar dafür sei, in der "herzlichen Wohlfühlgemeinde" Großniedesheim, wie sich der Ort selbst getauft hat, eine Heimat auf Zeit gefunden zu haben.