Der Dom in Speyer (Foto: SWR)

Paukenschlag im Bistum Speyer

Speyerer Ex-Generalvikar Sturm: Rücktritt war "Befreiungsschlag"

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INTERVIEW
Panja Schollbach

Der Rücktritt des Speyerer Generalvikars Andreas Sturm hat für Aufsehen gesorgt. Im SWR-Interview spricht der 47-Jährige über die Gründe, darüber, was die katholische Kirche braucht und warum er sich auf eine Beziehung freut.

SWR Aktuell: Wie geht es Ihnen, nachdem Sie ihr Amt als Generalvikar im Bistum Speyer so überraschend an den Nagel gehängt haben? Fühlen Sie sich gescheitert oder befreit?

Andreas Sturm: Es ist von allem ein bisschen: Ich habe am 1. Mai in meiner Heimatgemeinde Gerolsheim noch einmal einen Gottesdienst gefeiert, ohne dass jemand wusste, dass es mein letzter Gottesdienst war. Da sind mir wirklich die Tränen gekommen. Da war es eher das Scheitern, dass das, was ich mir mal vorgenommen habe, so nicht funktioniert hat. Aber es ist auch ganz stark der Befreiungsschlag, wo ich einfach merke, die Last war schon immens und dieses Gefühl der Machtlosigkeit, immer wieder gegen Windmühlen anzukämpfen, das ist mir genommen. Und das empfinde ich schon als sehr befreiend.

Interview mit Andreas Sturm im SWR-Fernsehen:

SWR Aktuell:  Wir hatten zuletzt im Februar ein Interview geführt, da hatten Sie angedeutet, dass Sie das Handtuch werfen, wenn sich die katholische Kirche nicht schnell wandelt. Was hat jetzt das Fass für Sie zum Überlaufen gebracht?

Sturm: Es gibt keinen einzelnen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe einfach immer weniger Vertrauen in die Entscheidungen, die wir hier treffen. Die Reformbewegung "Der Synodale Weg" ist auf einem guten Weg. Aber: Viele Entscheidungen werden nicht in Deutschland getroffen, sondern weltweit oder in Rom. Und die Hoffnung, dass das dieses Mal ganz anders ist, habe ich einfach nicht. Ich habe leider nicht mehr die Hoffnung, dass sich an dieser Entscheidungsmatrix etwas ändern wird und welche Reformen aus dem Synodalen Weg umgesetzt werden können. Ich kann mich aber nicht immer wieder hinstellen, immer wieder Hoffnung verbreiten - in Predigten, Ansprachen und Reden -, obwohl ich selbst immer weniger Hoffnung habe. Das ist sehr, sehr schwer.

Ich finde es ehrlicher und sauberer, zu sagen: Ich habe die Hoffnung nicht mehr. Vielleicht gibt es ja Menschen, die sie haben. Ich glaube langsam, die Kirche braucht den großen Knall, weil sie nur so verstehen wird, dass sie so nicht mehr weitermachen kann.

SWR Aktuell: Was könnte denn der große Knall sein?

Sturm: Ich glaube, der Druck ist weltweit immer noch viel zu klein. Wenn der Druck nicht deutlich größer und spürbarer wird, dann wird sich nichts verändern! Es sind ja nicht nur ein paar "verrückte" Deutsche, die irgendwie den "guten" katholischen Weg verlassen haben, sondern es sind weltweit ganz viele Menschen, die unter den Strukturen in dieser Kirche leiden.

SWR Aktuell: Sie waren ganz oben in der Kirchenleitung, Generalvikar im Bistum Speyer. Ist das nicht eine Position, an der man etwas verändern kann, was der kleine Dorfpfarrer nicht kann?

Sturm: Sie erleben ja Bischof Bätzing, Kardinal Marx - auch mein eigener Bischof, Bischof Wiesemann - sie stoßen auch in Deutschland vieles an. Aber unser Weg in Deutschland ist nicht der Weg für die weltweite Kirche. Papst Franziskus schätze ich sehr, er hat vieles in Bewegung gebracht. Aber ich sehe noch nicht, dass es ihm gelingt, der ganzen Kirche deutlich zu machen, dass sich wirklich etwas ändern muss.

SWR Aktuell: Haben Sie ein Beispiel?

Sturm: In Deutschland hat jeder Bischof beim Thema Missbrauch verstanden, dass es nichts mehr gibt, was man irgendwie schönreden kann. Das muss in aller Klarheit aufgearbeitet werden. Das mag vielen zu langsam gehen, aber ich finde, da ist die deutsche Kirche auf einem guten Weg. Aber wenn ich mir nur mal Europa anschaue. Wir haben noch wenig aus Polen gehört und gar nichts zu dem Thema aus Italien, Spanien und Portugal gehört – aus diesen großen katholischen Ländern. Glauben Sie, dass da kein Missbrauch passiert ist? Sicher ist da auch Missbrauch passiert, genauso schlimm wie bei uns auch. Das wird auch dort überall noch ans Licht kommen. Wir reden noch gar nicht über Afrika, über Asien. Da kann noch so viel passieren. Aber ich habe den Eindruck, das ist noch nicht so weit.

SWR Aktuell: Sie wechseln jetzt zu den Alt-Katholiken. Was steckt hinter der Entscheidung?

Sturm: Ich bin jetzt 47. Vielleicht kann man sagen, ich hätte noch zehn Jahre warten können. Aber ich glaube, jetzt ist für mich der Zeitpunkt, wo ich noch mal das Ruder rumreißen kann, noch mal was anderes machen kann. Mit 60 hätte ich vermutlich auch nicht mehr die Kraft. Ich möchte gern auch für andere Zweifelnde deutlich machen: Ich muss nicht immer gegen Windmühlen kämpfen, es gibt Alternativen. Für mich ist die alt-katholische Kirche eine solche Alternative. Ich will nicht zum Kirchenaustritt aufrufen, aber ich will diesen vielen Hunderttausenden, die die römische Kirche gerade verlassen und die keine Alternativen für sich sehen, sagen: Es gibt Alternativen!

SWR Aktuell: Die Alt-Katholiken lehnen den Papst als oberste Autorität ab und ermöglichen auch Frauen die Priesterweihe. Was können Sie da bewirken? Sind Sie einfaches Mitglied oder streben Sie ein Amt an?

Sturm: Ich werde dort Pfarrer und Seelsorger sein. Ich habe mich zum Priester weihen lassen, weil ich für die Menschen da sein wollte. Vielleicht würde ich jetzt nicht alles hinwerfen, wenn ich Pfarrer geblieben wäre. Man ist als Generalvikar schon oft sehr weit weg von denen, für die man als Seelsorger gesandt ist. Aus dem Grund ist es mir vielleicht leichter gefallen, jetzt den Schlussstrich zu ziehen.  Ich strebe in der alt-katholischen Kirche keine Ämter oder höhere Weihen an. Ich habe da keine weiteren Ambitionen. Pfarrer sein, ist ganz schön, da freue ich mich drauf.

SWR Aktuell: Wäre die evangelische Kirche eine Alternative gewesen?

Sturm: Für manche Katholiken ist die evangelische Kirche eine Alternative. Manche haben sich auch in ihren Pfarreien ganz gut eingerichtet und haben dort den Eindruck, sie leben da glücklich und zufrieden. Das ist auch gut so. Aber es gibt auch die, für die die evangelische Kirche nicht das ist, was sie suchen. Ich bin jetzt niemand, der extrem viel Weihrauch braucht, um glücklich zu sein. Aber so hin und wieder auch eine feierliche Liturgie, wo auch Weihrauch dabei sein kann und wo Glöckchen klingeln, das gehört für mich irgendwie dazu. Und insofern ist die alt-katholische Kirche für mich eine Alternative!

SWR Aktuell: Nicht nur Ihr Rücktritt war ein Paukenschlag, sondern Sie haben auch bekannt, den Zölibat als Priester gebrochen zu haben. Wollen Sie jetzt auch frei Beziehungen leben?

Sturm: Ja. Es ist schon ein Irrsinn, wenn man bei Liebe, Verliebtsein und Geliebt-Werden von "Verfehlung" spricht. Das war natürlich so. Da sind Beziehungen auch in die Brüche gegangen - weil es sich in dieser Scheinheiligkeit nicht leben lässt! Da habe ich Menschen verletzt. Und ja, ich merke gleichzeitig aber auch: Ich will nicht alleine leben ein ganzes Leben lang. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt morgen heiraten muss.

SWR Aktuell: Wann hat Ihnen eine Beziehung am meisten gefehlt?

Sturm: Als Pfarrer kam ich mal von einer Beerdigung eines kleinen Kindes zurück. Da ist man fertig. Und dann niemand zu haben, in ein leeres Haus zu kommen, wo keiner ist und wo man reden kann, einen niemand in den Arm nimmt, einen auch mal tröstet, das ist schon schwer.

SWR Aktuell: Sie haben ein Buch geschrieben. Kritiker könnten Ihnen jetzt vorwerfen, Sie würden ihren Austritt jetzt vermarkten. Was entgegnen Sie denen?

Sturm: Das Buch ist anders entstanden: Ich habe angefangen, mir immer wieder Dinge aufzuschreiben - ähnlich wie in einem Tagebuch, die zum einen für diese Kirche sprechen. Zum anderen aber merkte ich, es wird so skurril, das fällt mir immer schwerer. Und das ist immer mehr geworden im Lauf der Zeit. Und irgendwann habe ich gemerkt: Hoppla, das ist eigentlich nicht mehr der Grund, warum ich den Weg hier eingeschlagen habe. Das könnte auch andere Menschen interessieren. Und ich merke ja auch anhand der großen Interviewanfragen jetzt, dass das viele interessiert, warum ich den Weg eingeschlagen habe. Mir geht es weniger um vermarkten, sondern ich hatte eigentlich ursprünglich mal gedacht, ich muss dann weniger Interviews geben und kann dann auf mein Buch verweisen.

SWR Aktuell: Aber der Zeitpunkt war eine Punktlandung: Freitags der Rücktritt, montags gibt der Verlag bekannt, dass Sie ein Buch geschrieben haben. Sind Sie zukünftig auch Gast in Talkshows?

Sturm: Ich fange ja irgendwann auch bei meinem neuen Arbeitgeber an und habe dann vermutlich gar nicht mehr so viel Zeit. In der Übergangszeit passt es gerade ganz gut, dann gucken wir mal, was sich ergibt. Aber ich will eigentlich nicht zum großen Kirchenkritiker werden. Ich habe der römisch-katholischen Kirche auch sehr viel zu verdanken: Ich habe sehr gute Freunde da kennengelernt. Ich habe mein Glaubensleben, meine Verwurzelung im Glauben machen dürfen. Es ist mir wichtig, dass das jetzt nicht zu so einem Nachtreten wird.

SWR Aktuell: Das heißt, sie verlassen das Bistum Speyer nicht im Groll. Und das Buch ist keine Generalabrechnung?

Sturm: Überhaupt nicht! Ich habe mit Bischof Wiesemann ein sehr gutes Gespräch zum Abschied gehabt. Es ist auch viel Bedauern da. Ich habe gerne mit ihm und mit vielen Mitarbeitenden zusammengearbeitet im Bistum Speyer. Ich bin nie mit Groll zur Arbeit gefahren. Ich fand wirklich das Schwierigste, wie ich vorhin gesagt habe, in der Verkündigung Hoffnung zu geben, wenn man das Gesicht von einer Diözese ist. Aber wenn man die Hoffnung selbst nicht mehr hat, dann fängt man an, sich zu verbiegen und immer mehr zu verbiegen. Und dann ist es besser man geht, bevor man daran zerbricht.

Bischof Wiesemann (Foto: SWR)
Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann bedauert laut Andreas Sturm dessen Rücktritt.

SWR Aktuell: Sie haben vorhin gesagt es muss eigentlich einen großen Knall geben in der katholischen Kirche, damit sich etwas bewegt. Sollen alle Ihrem Beispiel folgen?

Sturm: Es wäre nie mein Anspruch, dass alle austreten. Aber wenn ich mir die Bewegungen anschaue, "Wir sind Kirche" oder "Maria 2.0", dann sind die oft so marginal. Das sind so wenige unterm Strich, die am Ende mitmachen und die sich auch lautstark zu Wort melden. Da würde ich mir wünschen, dass Leute viel provokanter sind - auch in ihrem Auftreten. Ich würde allen empfehlen, die auch die Hoffnung haben, diese katholische Kirche zu verändern, wirklich lautstark aufzutreten und zu sagen: Die Kirche muss sich ändern! Und das auch richtig stark einzufordern.

Speyer

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Panja Schollbach