Klar ist: Ein Jaguar-Fahrer war mit seinem Wagen mit dem Auto der Getöteten zusammengestoßen. Seit mehr als einem Jahr warten die Angehörigen darauf, dass die Unfallursache aufgeklärt wird.

Zwei paar Kinderschuhe, Spielzeug, ein Foto seines Sohnes und seiner Frau, vier LED-Kerzen: Immer wenn Steffen Kirchner das Haus verlässt oder nach Hause kommt, dann geht er an dem kleinen Schrank vorbei. Seine Frau Sarah Muntz war 31 Jahre alt, sein Sohn Finn Maximilian 14 Monate. Der 35-Jährige ist selbstständiger Brennholzhändler und Dienstleister für die Landwirtschaft: "Solange ich arbeite und draußen bin, kann man einfach abschalten - aber wenn man Ruhe hat, dann kommt es doch alles hoch", sagt der kräftige Mann mit den kurz geschorenen Haaren und dem Sechs-Tage-Bart.
Kleine Tochter hat Unfall überlebt
Wie durch ein Wunder hat seine kleine Tochter Nora den Unfall überlebt. Sie war damals vier Wochen alt. "Ich versuche irgendwie das, was passiert ist, zu verdrängen, weil ich für die Kleine da sein muss und ich habe keine Zeit für andere Sachen." Während des Interviews stolziert die kleine Nora durch die Küche - ein fröhliches Kind, neugierig. Vielleicht täuscht der erste Eindruck. Ihr Vater erzählt, sie habe große Angst vor Geräuschen, wenn das Auto über Kopfsteinpflaster fährt. Die Mutter von Steffen Kirchner kümmert sich um die Kleine: "Ich bin froh, dass ich meine Mutter habe", sagt er.
"Nervlich sind wir alle am Ende"
Seit mehr als einem Jahr warten Steffen Kirchner und die anderen Angehörigen auf Aufklärung. Wie konnte es zu dem Unfall kommen? Warum ist der Jaguar mit dem Auto der beiden Frauen und den beiden Kindern zusammengestoßen? Allen geht es um die zentrale Frage: Wer ist schuld? "Nervlich sind wir mittlerweile alle am Ende - es macht einen kaputt, dass man gar keine Informationen bekommt", sagt Steffen Kirchner.
Staatsanwaltschaft hat Gutachten in Auftrag gegeben
Die Staatsanwaltschaft in Frankenthal ermittelt wegen fahrlässiger Tötung. Sie hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Ursache des Unfalls zu klären, bei dem auch eine Freundin der Frau von Steffen Kirchner ums Leben kam. Ein technischer Defekt, Ablenkung oder auch zu hohe Geschwindigkeit könnten zu dem Zusammenstoß geführt haben, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber: "Das Gutachten ist von zentraler Bedeutung, um die Ursache zu klären."
Unfall-Gutachten hat etwa 150 Seiten Umfang
In der kommenden Woche soll das Gutachten vorliegen, das einen Umfang von etwa 150 Seiten hat. Die Aufklärung hat sich auch deshalb verzögert, berichtet Hubert Ströber, "weil Jaguar uns lange Zeit nicht unterstützen wollte". Das Steuergerät des Jaguars, auf dem die Fahrdaten sind, konnte nach Angaben des leitenden Oberstaatsanwaltes nicht ausgelesen werden, weil sich der Automobilhersteller weigerte, die dazu nötigen Informationen zu liefern. Erst als man angedroht habe, die Deutschlandzentrale zu durchsuchen, kamen die Informationen.
"Es war meine einzige Tochter und mein erster Enkel"
Wenn das Gutachten vorliegt, dann wird klar sein, ob der Jaguar-Fahrer angeklagt wird - oder ob es eine andere Ursache für den tödlichen Unfall gab. Steffen Kirchner und sein Schwiegervater hoffen auf eine Anklage. "Ich wünsche mir nur Gerechtigkeit und dass das so lange dauert, das ist unverschämt, dass man die Angehörigen so lange auf die Folter spannt", sagt Vater Egon Muntz. Und dann stockt seine Stimme: "Es war meine einzige Tochter und mein erster Enkel - alles weg - ich bin verzweifelt - wir hängen nur noch an der kleinen Nora, das ist unser ganzer Stolz."
Angehörige fordern Tempolimit an Unfallstelle
Steffen Kirchner hat an der Unfallstelle zwei Holzkreuze aufgestellt. Seit kurzem steht ein drittes Kreuz dort, das vorher auf dem Grab seiner Frau und seines Sohns stand. "Ich bin nicht oft hier", sagt er an der Unfallstelle.

Und dann bückt er sich und nimmt ein kleines Plastikteil in die Hand. Auch jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Unfall, liegen noch überall kleine Trümmerteile, sagt er. Der Witwer fordert Tempo 70 an der Unfallstelle: "Es muss nicht nochmal was passieren. Das müsste dann aber auch kontrolliert werden."
Die zuständige Kreisverwaltung teilte dem SWR schriftlich mit, dass ein mögliches Tempolimit vom Ergebnis des Gutachtens abhängt, das die Staatsanwaltschaft nächste Woche erwartet. Wenn das Gutachten vorliege, werde man "mit der Prüfung einer möglichen Geschwindigkeitsreduzierung beginnen". Die Angehörigen müssen warten.
Gedenkstein zur Erinnerung geplant
Steffen Kirchner würde gerne auch einen kleinen Gedenkstein an der Unfallstelle aufstellen. Vor Ostern wollte sich der Landrat darum kümmern, es sei aber trotz mehrerer Nachfragen keine Reaktion gekommen, sagt der Witwer. Nach einer SWR-Anfrage bei der Bad Dürkheimer Kreisverwaltung meldet sich Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld per Mail bei Steffen Kirchner. Er entschuldigt sich, dass Steffen Kirchner bislang keine Antwort auf seine Mails erhalten hat. Und er teilt ihm mit, dass ein solcher Gedenkstein am Straßenrand vom zuständigen Landesbetrieb Mobilität abgelehnt werde - unter anderem wegen der Ablenkungsgefahr. Denkbar sei eine Gedenkstätte mit mindestens 15 Metern Abstand zur Straße. Aber auch das müsse geprüft werden.
Foto-Schlüsselanhänger als Erinnerung
Warten, prüfen, untersuchen: Das Leben von Steffen Kirchner und den anderen Angehörigen ist seit dem 19.9.2020 davon geprägt. Sie leben nach dem schrecklichen Unfall in einer Art Warteschleife. Und alle wissen: Das Leben wird nie mehr wie vorher sein. Daran erinnern Steffen Kirchner jeden Tag die Kinderschuhe, das Spielzeug und das Foto am Eingang. Und auf dem Schrank liegt noch ein Gegenstand. Ein durchsichtiger Foto-Schlüsselanhänger mit Bildern seines Sohns. Steffen Kirchner hat ihn gereinigt - er war nach dem Unfall ganz dreckig. Er ist zerbrochen. So wie sein Leben. Jeden Tag geht er an ihm vorbei.