Container stehen im Containerterminal Altenwerder auf einer Abstellfläche. Ein Zusammenschluss von 130 Organisationen hat Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) vorgeworfen, das geplante EU-Lieferkettengesetz wirkungslos machen zu wollen. (Foto: dpa Bildfunk, Markus Scholz)

Bürokratie, Weitergabe von Verantwortung

Lieferkettengesetz: Was dem Mittelstand Probleme macht

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Michael Herr

Menschenrechten und Umweltstandards Geltung verschaffen - das ist das Ziel des neuen deutschen Lieferkettengesetzes. Doch es macht auch Betrieben Arbeit, für die es gar nicht gilt.

Martina Nighswonger, Chefin des Chemiebetriebs Gechem aus Kleinkarlbach im Kreis Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz, ist angefressen. "Dieses Gesetz ist ein Bürokratie-Monster. Glauben Sie wirklich, dass auch nur einem Kind, das zur Arbeit gezwungen wird, dadurch geholfen wird?"

Kinderarbeit auszuschließen - und zwar von der Rohstoffmine bis zum Ladengeschäft - ist ein wichtiges Ziel des Gesetzes mit dem offiziellen Namen "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz", das seit Anfang 2023 in Kraft ist. Auch Zwangsarbeit, mangelhafter Arbeitsschutz, Arbeitnehmerdiskriminierung und Lohndumping sollen dadurch von deutschem Boden aus nicht mehr unterstützt werden.

Verantwortung für Lieferkette wird an kleine Betriebe weitergereicht

Derzeit gilt das Gesetz nur für größere Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 soll der Wirkungskreis erweitert werden - auf Firmen mit einer Belegschaft von über 1.000 Personen. Betriebsgrößen, von denen Gechem in der Weinbaugemeinde Kleinkarlbach mit seinen rund 170 Beschäftigten meilenweit entfernt ist. Der pfälzische Betrieb ist chemischer Lohnunternehmer - und hat daneben auch noch eigene Produktlinien, zum Beispiel für Spülmaschinentabs.

Dennoch macht das Gesetz den Vorderpfälzern schon jetzt eine Menge Arbeit. Konkret kommen die zusätzlichen Aufgaben von den Großkunden der Kleinkarbacher. Weil sie schon heute für ihre Lieferketten garantieren müssen, wollen sie sich absichern, dass auch bei ihren Lieferanten alles streng nach Lieferkettengesetz zugeht. Dazu senden sie ihnen Selbstverpflichtungen in allen möglichen Formen - mal als 20-seitigen Verhaltenskodex, mal als ausführlichen Onlinefragebogen.

"Die großen Unternehmen, die haben für diese Aufgaben Nachhaltigkeitsabteilungen. So was hat kein Mittelständler. Wir machen das zwischen Abendessen und Frühstück!"

Keine Kinderarbeit, keine Umweltsünden? Lieferkettengesetz beschert BW-Unternehmen Mehrarbeit

Ab 2023 müssen deutsche Unternehmen sicherstellen, dass bei ihren Zulieferern Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Der Aufwand ist groß, der Nutzen umstritten.

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Hohe Arbeitsbelastung für den Mittelstand

Ein bis zwei Mitarbeiter seien mit einem solchen Fragenkatalog einen ganzen Arbeitstag beschäftigt - und zwar jedes Mal, für jede Firma auf's Neue. Denn es gibt bei den Selbstverpflichtungen keine einheitlichen Standards. Jedes Unternehmen kocht sein eigenes Süppchen. Gechem-Chefin Nighswonger ist sichtlich genervt von der Praxis: "Jeder reicht das nach unten durch. Und die Kleinen, Hilflosen kriegen das alles übergeschüttet."

Großen Unternehmen drohen hohe Bußgelder bei Verstoß

Dass sich die großen Betriebe bei ihren Lieferanten lieber einmal mehr absichern, ist keine große Überraschung. Denn wenn die Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht für die Lieferketten nicht nachkommen, drohen hohe Bußgelder. Bis zu acht Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sieht das Gesetz vor.

Und Strafen drohen nicht nur dann, wenn ein Betrieb Verstöße gegen die Prinzipien des Gesetzes duldet - also zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen hinnimmt - sondern auch, wenn die Lieferkette nicht sorgfältig genug dokumentiert wurde.

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KSB Frankenthal: Gesetz erlaubt auch pragmatisches Vorgehen

Dennoch verteilt nicht jedes große Unternehmen bei all seinen Lieferanten Selbstverpflichtungen mit der Gießkanne. Das versichert man zum Beispiel beim Pumpenhersteller KSB in Frankenthal. Das Netzwerk des Konzerns besteht weltweit aus rund 13.000 Lieferanten. Zwar hat auch KSB einen Lieferantenkodex, an den sich die Zulieferer sinngemäß halten sollen.

Allerdings müsse dazu nicht jeder Einzelne Dokumente mit Unterschrift zurückschicken, erklärt Rainer Michalik, bei KSB zuständig für das Arbeits- und Nachhaltigkeitsmanagement: "Wir haben ein Risikomanagementsystem aufgebaut. Damit identifizieren wir Branchen und Regionen, in denen das Risiko besonders groß ist." Dort arbeite man dann mit stichprobenartigen Kontrollen. Ein pragmatisches Vorgehen, laut Michalik explizit durch das Gesetz gedeckt.

"Im Gesetz nimmt die Bemühungspflicht eine besondere Stellung ein. Wir suchen die größten Hebel, wo wir am meisten bewegen können."

EU plant ein noch strengeres Lieferkettengesetz

Den Eindruck, dass durch das Gesetz vor allem die innerbetriebliche Bürokratie gestärkt wurde, hat man allerdings nicht exklusiv bei Gechem: Im Februar hatte eine Umfrage des Maschinenbauverbandes VDMA gezeigt, dass viele Betriebe wegen der Regeln ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit bedroht sehen. Deutlich hat sich der Verband gegen EU-Pläne für ein noch strengeres, europäisches Lieferkettengesetz in Stellung gebracht. Der Entwurf des Europäischen Rates wird voraussichtlich im Mai auf die Tagesordnung des EU-Parlaments kommen.

Martina Nighswonger reichen schon die aktuellen Regeln - die für ihren Betrieb im Grunde gar nicht wirksam sein sollten. Ihre Prognose, wo die Wirtschaft bei diesem Thema in einem Jahr stehen wird: "Vor noch mehr entnervten Mittelständlern."

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