Innenminister Roger Lewentz (SPD) (Foto: SWR)

SWR-Talk zu Flut-Videos

Innenminister Lewentz weicht Fragen nach Rücktritt aus

Stand

Trotz wachsender Kritik nach der Veröffentlichung von Polizeiaufnahmen aus der Flutnacht verteidigt Innenminister Lewentz weiter sein damaliges Verhalten. Die Katastrophe sei so nicht absehbar gewesen. Seine Verantwortung sei nun der Wiederaufbau im Ahrtal.

Im Gespräch mit SWR Aktuell sagte der SPD-Politiker, er habe gewusst, dass es ein schweres Hochwasser wird. Er habe sich aber nicht vorstellen können, was er am nächsten Morgen habe sehen müssen.

SWR-Moderator Sascha Becker und Innenminister Roger Lewentz (SPD)   (Foto: SWR)
SWR-Moderator Sascha Becker und Innenminister Roger Lewentz (SPD)

SWR-Moderator Sascha Becker: Guten Abend, Herr Lewentz. Sie haben gesagt, man kann auf diesen Videos keine Katastrophe erkennen. Aber man sieht ja sehr deutlich Wassermassen bis rauf an die Dächer. Man sieht Leute mit Taschenlampen, die regelrecht um Hilfe flehen. Wie können Sie da sagen, man sieht da keine Katastrophe?

Innenminister Roger Lewentz (SPD): Wenn dieser Eindruck entstanden ist, da würde es mir sehr leid tun. Denn ich bin davon ausgegangen nach dem Besuch in der technischen Einsatzleitung, dass das ein sehr, sehr schweres Hochwasser wird, weil man mir in Bad Neuenahr-Ahrweiler gesagt hat, wir werden ein Hochwasser bekommen, das vier Meter und damit über das Jahrhunderthochwasser 2016 hinausgeht. Damals wurden 800 Häuser beschädigt, in Mitleidenschaft gezogen. Damit war uns klar, es wird eine ganz, ganz schwere Hochwassernacht.

Becker: Aber Sie haben gestern auf einer Pressekonferenz gesagt, die Katastrophe sei nicht erkennbar gewesen. CDU-Chef Baldauf wirft ihnen deswegen heute Zynismus vor, das sei ein Schlag ins Gesicht der Menschen im Ahrtal.

Lewentz: Also, erst einmal: Ich war ab dem Morgen danach nahezu jeden Tag dort und hab das Leid und das Elend der Menschen hautnah gesehen. Ich habe aber auch diese Zerstörung gesehen, diese unvorstellbaren Zerstörungen, die - das wissen wir ja heute - Tsunami-ähnlich durch Flutwellen verursacht wurden. Wir haben in dem Video ein Auto - tatsächlich sind es bis zu 10.000 Autos gewesen. Wir haben viele zerstörte Häuser am nächsten Tag sehen müssen. In dem Video sieht man keine zerstörten Häuser. Wir sind von einem sehr, sehr schweren Hochwasser ausgegangen. Das ist schon schlimm genug. Aber diese Vorstellung von dem, was ich im Tag danach, in den Tagen danach gesehen und von vielen, vielen Menschen geschildert bekommen habe, die hatte ich in dieser Nacht nicht. Und alle sagen mir, wir konnten uns nicht vorstellen, das zu sehen, was wir am nächsten Morgen sehen mussten.

Becker: Aber was es in dieser Nacht auch am Abend gab, waren ja die Schilderungen der Hubschrauberpiloten, die ja wohl eindrücklich gewesen sein müssen - an die Adresse von Polizei und Innenministerium. Warum hat das nicht dazu geführt, dass flächendeckend die Bevölkerung gewarnt wurde, dass Sie gewarnt haben? Menschen hätten gerettet werden können, flussabwärts vielleicht noch.

Lewentz: Also, es gibt da ja eine klare Regelung: Der Katastrophenschutz ist kommunal, das heißt von den Verbandsgemeinden aufbauend auf die Ebene des Kreises. Und deswegen war ich in der technischen Einsatzleitung des Kreises. Dort kann man die Dinge vor Ort beurteilen. Dort kann man sagen, die und die Straßenzüge sind zu evakuieren. Dort und dort kann man gefahrlos hingehen, beim Evakuieren. Das sind Entscheidungen, da muss man die Ortskenntnisse haben. Was unsere Aufgabe war, war in dieser Nacht dafür zu sorgen, dass wir alle Kräfte, die man in dieser Nacht greifen konnte, dass man die in den Einsatz, in die Hilfeleistung bringt. Das ist durch die Koordinierungsstelle der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, durch Befehlsstellen, durch Stäbe auch wirklich in Angriff genommen worden. Man hat versucht, alles was geht, zur Menschenrettung ...

Becker: ... aber man hätte warnen können.

Lewentz: Wir hätten nicht warnen können, weil wir die örtliche Situation nicht kennen. Wir wussten ja, dass das so ein schweres Hochwasser wird. Aber ich habe dieses Video 14 Monate später erstmals gesehen. Mir war dies nicht vorstellbar, was ich am nächsten Morgen sehen musste. Ich glaube, es ging allen so. Diese Zerstörungskraft! 62 Brücken, 10.000 Häuser, die beschädigt oder zerstört waren, in Mitleidenschaft genommen wurden. Die vielen toten und verletzten Menschen. Diese Vorstellungskraft hatte ich nicht in der Nacht. Ich vermute, die hatte keiner.

Becker: CDU und AfD sagen, Sie tragen zumindest die politische Verantwortung für das, was im Apparat schief gelaufen sein mag. Und sagen auch heute, Sie hätten alles Vertrauen verspielt, deswegen können Sie nicht im Amt bleiben.Treten Sie zurück, Herr Lewentz?

Lewentz: Herr Becker, ich kriege auch viele Aufforderungen - ich war am Freitag wieder in zwei flutbetroffenen Gemeinden - die da lautet: Wir müssen nach vorne schauen. Wir erwarten von euch, von Ihnen im Innenministerium, dass der Wiederaufbau mit aller Kraft vorangetrieben wird. Dass wir wieder eine Zukunft bekommen, das ist ihre Verantwortung, Herr Lewentz: den Katastrophenschutz neu auszurichten. Vorschläge habe ich schon unterbreitet. Das ist die Aufgabe, die die Landesregierung hat, jetzt Zukunft zu schaffen. Gemeinsam mit den Kommunen. Und auch an mich wird diese Erwartungshaltung geäußert. Und der will ich mich stellen.

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Das Ausmaß des Hochwassers im Ahrtal im Juli 2021 ist seit Dienstag für alle in Flut-Videos der Polizei sichtbar. Zur Haltung von Innenminister Lewentz (SPD) ein Kommentar von SWR-Redakteur Dirk Rodenkirch.

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Becker: Das war aber keine Antwort. Schließen Sie aus, zurückzutreten? Wollen Sie das wirklich durchhalten?

Lewentz: Ich glaube, verantwortlich ist, zu helfen, dass die Zukunft der Menschen dort so gut wie möglich und so schnell wie möglich organisiert wird. Das ist die Aufgabe eines Innenministers.

Becker: Schließen Sie einen Rücktritt aus, für die nächsten Wochen?

Lewentz: Das habe ich Ihnen gerade gesagt, das ist die Aufgabenstellung, der ich mich stellen möchte.

Becker: Ich stelle aber fest, die Frage nach einem Rücktritt beantworten Sie nicht.

Lewentz: Ich will anpacken, ich will helfen. Ich will mit dafür sorgen, dass es den Menschen an der Ahr wieder besser geht, dass sie wieder eine Zukunft bekommen. Das bedeutet: Wiederaufbau, Wiederaufbau, Wiederaufbau.

Dreyer steht weiter hinter Innenminister Lewentz

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