SWR Aktuell: Was bedeutet die 2G-Regel, die in vielen Bereichen in Rheinland-Pfalz ja im Moment gilt, für ungeimpfte Menschen?
Andreas Zick: Rechtlich wird Freiheit eingeschränkt, die ja ein hohes Gut ist. Wir leben in einer Gesellschaft, die allen Zugang zu Räumen verschaffen will. Sozialpsychologisch bedeutet es für die Gruppe der Ungeimpften sehr unterschiedliches, denn dabei kommt die Bewertung der Regeln ins Spiel. Für Impfgegner bedeutet es Freiheitsentzug und Zwang. Für jene, die aufgrund von Ängsten und Unkenntnis ungeimpft sind, kann es eine Einschränkung von Möglichkeiten bedeuten, die sie in ein Dilemma bringt: 'Will ich zu Veranstaltungen und stelle meine Impfangst zurück?' Für Gruppen, die sich nicht impfen lassen können, wie Kinder und Jugendliche, ist es eine Regelmaßnahme, die sie schon lange gewohnt sind. Es kommt also entscheidend auf die Bewertung an. Und hierbei kommt es darauf an, wie das soziale Umfeld darüber denkt.
SWR Aktuell: Bestärkt die stückweite Ausgrenzung Impfgegner in ihrer Anti-Haltung gegenüber den Corona-Maßnahmen?
Zick: Das tut es schon seit längerer Zeit. Wir haben das bei den vorherigen Maßnahmen gesehen. Hierbei kommt es aber ganz maßgeblich darauf an, mit welcher Gruppe von Impfgegnern ich mich identifiziere, worauf meine Impfgegnerschaft beruht. Teile ich in Gruppen die Meinung, dass die Regeln Zwang sind, wie es in Querdenker-Milieus, unter einigen Rechtspopulisten und -extremisten, unter Esoterikern und anderen Gruppen, die sich als Protestbewegung verstehen, der Fall ist, dann interpretiere ich es als Angriff und werde versuchen, mich dem zu widersetzen.
"Die Aggression bekommen jene ab, die kontrollieren und die Regeln durchsetzen müssen."
Es gibt große ideologisierte Milieus, die sich radikalisiert haben - das heißt, immer mehr die Idee des Widerstandes entwickelt haben. Wir sehen aggressive, hoch ideologisierte und zum Teil auch gewaltorientierte Reaktionen auf den von ihnen geglaubten Freiheitsentzug in Angriffen oder Kampagnen. Sie werden versuchen, die Freiheit direkt durch Brechen der Regeln durchzusetzen oder indirekt, indem sie andere motivieren, mit ihnen zu protestieren. Wir müssen nicht einen gigantischen Aufstand befürchten, aber eine weitere Extremisierung, und die Aggression bekommen jene ab, die kontrollieren und die Regeln durchsetzen müssen. In Belgien und den Niederlanden haben wir gesehen, wie aggressiv es sein kann, wenn Gruppen sich als Gegner von Regeln identifizieren. Das ist anders bei Personen, die zweifeln, sich aber nicht mit radikalen Gegnern identifizieren.
SWR Aktuell: Haben die 2G-Maßnahmen dann überhaupt Auswirkungen auf die Haltung der ungeimpften Menschen zur Corona-Impfung?
Zick: Wir sehen nun, dass die 2G- wie 3G-Regeln einige wankende Ungeimpfte bewegt hat. Andere werden sich nun abschotten.

SWR Aktuell: In öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Arbeitsplatz gilt vielerorts 3G. Gleichzeitig werden die Schnelltests knapp. Teststationen stoßen an ihre Kapazitäten oder die nächste Teststelle ist weit entfernt. Könnte das bei Ungeimpften zu der Angst führen, dass für sie bald gar keine Teilhabe am öffentlichen Leben mehr möglich ist, wenn sie sich nicht impfen lassen?
Zick: Das ist zu befürchten, einige Politikerinnen und Politiker äußern sich in die Richtung. Allerdings müssen wir raus aus der Haltung, nur die Einschränkungen für Ungeimpfte wären die Lösung und dann hätte das Land die Lage im Griff.
SWR Aktuell: Glauben Sie, dass unter den ungeimpften Menschen nicht nur Verschwörungstheoretiker und grundsätzliche Impfgegner sind, sondern auch Menschen, die sich "abgehängt" fühlen und überfordert sind? Und was bedeuten diese neue Situation und immer weniger Teilhabe für genau diese Menschen?
Zick: Es gibt nicht den einen Satz an Faktoren, wie zum Beispiel die Überforderung oder ein Abgehängtsein, der alle Menschen zugleich anfällig macht. Es gibt Menschen, die sich ohnmächtig fühlen und meinen, sie hätten keine Kontrolle. Aber es muss immer etwas dazukommen. Sie werden durch bestehende Gruppen angesprochen, weil sie ein attraktives Klientel sind. Ihnen wird ein Zugehörigkeitsangebot gemacht und dann übernehmen sie die Normen. Die Brücke in die Impf-Gegnergruppen sind neben einem "Wir" auch Widerstandsideologien und Verschwörungsmythen. Es sind Feindbilder gegen "die da oben", "korrupte Politik" wie auch Vorurteile gegen Gruppen, Antisemitismus und all die menschenfeindlichen Einstellungen, die schon vor der Pandemie vorhanden waren.
"Wir haben ganz neue radikale Gruppen in der Gesellschaft (...) ein neues extremistisches Milieu."
Andere Menschen und Gruppen finden in der Pandemie einen Anlass, sich zu radikaliseren. Wir haben ganz neue radikale Gruppen in der Gesellschaft. Die sind nicht mehr einfach nur rechtsextrem oder rechtspopulistisch, sondern wir haben da so ein neues extremistisches Milieu. Wir sehen esoterische, religiös fundamentalistische, klassisch impfgegnerische, rechtspopulistische wie andere Gruppen, die die Meinung teilen, die Pandemie würde politisch gegen sie gewendet. Zentral dafür, wie destruktiv die Gruppen werden, ist es, wie stark Regeln als Angriffe wahrgenommen werden und als Maßnahmen, die gar nicht dem Gesundheitsschutz gelten.
SWR Aktuell: Sehen Sie eine Möglichkeit, von diesen Menschen nochmal jemanden "an Bord zu holen"?
Zick: Wir kriegen die Mitläufer an den äußeren Rändern. Wenn sie merken, dass sie auf einmal an den Punkt kommen, wo sie sich von ihrem Umfeld distanzieren sollen. Radikale Gruppen verlangen eine Distanz aus dem bisherigen Umfeld. An dem Punkt kriegen wir Leute, die ein Angebot von uns bekommen. Sie lassen sich impfen, um den Anschluss und ihren Freundeskreis - vielleicht sogar ihre Arbeit - nicht zu verlieren.
"Man kriegt die Leute nicht, wenn man sie verteufelt - auch wenn sie die Geduld mit ihnen verspielt haben."
Aber wir haben ein Dilemma. Wir müssen die bisher Ungeimpften schon ein bisschen hätscheln und loben, damit sie den Schritt zur Impfung machen. Wir können uns aufregen und wir können uns ärgern über die Ungeimpften, weil sie alles verhindern. Aber auf der anderen Seite wollen wir sie ja bewegen. Wenn wir den Ungeimpften nur sagen: 'Du bist für allen Schlamassel verantwortlich und jetzt hast du nur noch eine Möglichkeit' - das funktioniert so nicht. Man kriegt die Leute nicht, wenn man sie verteufelt - auch wenn sie die Geduld mit ihnen verspielt haben.
SWR Aktuell: Welchen konstruktiven Weg würden Sie vorschlagen, damit mehr Menschen sich impfen lassen?
Zick: Die Schuldkommunikation hilft gar nicht. Schuld führt zu Schuldabwehr. Es braucht eine große Kommunikationsanstrengung, die weniger von einer Stereotypisierung und Empörung über Ungeimpfte geprägt ist, so gut das eventuell verständlich ist, sondern von der Idee, dass Impfen Helfen bedeutet. Wir können die Haltung stärken, dass die Impfung ein Schutz für andere ist, und die Verweigerung nicht besonders solidarisch ist. Leider zeigen unsere Analysen auch, dass Hilfeverhalten dann besonders einsetzt, wenn Bilder von Schwerkranken oder Todesziffern erscheinen. Das heißt, Menschen merken erst im Extremfall die Folgen.
In den Krankenhäusern liegen nun Umgeimpfte, die uns Auskunft geben, warum sie sich nicht haben impfen lassen. Das könnten wir nutzen und ein Schnellförderprogramm zur Analyse ihrer Argumente auflegen. Außerdem brauchen wir Von-Tür-Zu-Tür-Angebote, um tatsächlich an der Haustür ein Impfangebot zu machen, und wir müssen rein in Gemeinschaften, die sich wegschließen. Und auch das Setzen von klaren und einheitlichen Regeln kann konstruktiv sein, wenn zugleich vermittelt wird, wie die Regeln eingehalten werden können.
SWR Aktuell: Welche Rolle spielen außerdem prominente Ungeimpfte wie FC Bayern-Spieler Joshua Kimmich, der ja zuletzt positiv auf das Coronavirus getestet wurde? Könnten solche Beispiele Ungeimpfte zur Impfung bewegen?
Zick: Wir können lernen von denen, die gegen ihre Meinung etwas anderes erfahren. Wir brauchen also diese Vorbildfunktion. Bei Kimmich kommt es jetzt ganz entscheidend darauf an, wie er sich verhält. Zum Modell kann der nur dann werden, wenn er jetzt anderen erklärt, dass er sich mit seiner Anti-Impfhaltung vertan hat. Wenn er das erklärt, können andere ihm folgen. Das müsste kommen, aber das kommt nicht. Es ist enttäuschend, dass uns diese gesellschaftlichen Vorbilder fehlen. Also Menschen, die ihre Einstellung und Meinung zum Impfen geändert haben.
Das Interview führte SWR Aktuell-Redakteurin Denise Thomas.