Innenminister Lewentz steht mit dem Rücken zur Wand. Er weiß, dass ihn die Stillhaltetaktik in der Flutnacht das Amt kosten könnte und vielleicht auch kosten wird. Aber Lewentz wehrt sich weiter mit aller Macht gegen die Vorwürfe, die Lage damals falsch eingeschätzt zu haben. Zwei Polizeipräsidenten mussten Fehler auf sich nehmen, um ihren Minister zu schützen. Die Frage, warum die Flut-Videos fast 14 Monate verschollen waren, ist aber in den Hintergrund gerückt.
Seitdem alle die Videos sehen können, geht es vor allem um deren Inhalt. Ein gewaltiges Hochwasser, das alles verschlingt, was rund um die Ahr auf seinem Weg liegt. Hilfesuchende Menschen auf Hausdächern, die nicht gewarnt wurden und auch nicht auf Rettung hoffen dürfen - zumindest nicht in besagter Flutnacht. Wenn Lewentz dachte, die Veröffentlichung der Videos wäre ein Befreiungsschlag, dann war das ein Trugschluss.
Seine bisherigen Erklärungsversuche für seine Untätigkeit - ein fehlendes Lagebild und nur punktuelle Einzelereignisse während der Flut - sind von den Videos sozusagen weggespült worden. Der angeschlagene Minister schwenkt deshalb um. Ja, er sehe in den Videos zwar ein sehr starkes Hochwasser, aber eben keine Toten, keine eingestürzten Häuser und nur ein weggeschwemmtes Auto. Das seien keine Bilder einer Katastrophe. Nach dem Lagebild fehlt Lewentz nun also das Katastrophenbild.
Merkwürdig auch: Lewentz behauptet weiter, selbst wenn er die Dramatik der Lage erkannt hätte, hätte er vermutlich nichts ändern können. Wo der Minister von Rettung spricht, geht es aber vielmehr um Warnung, die in den wenigsten Fällen erfolgt ist. So starben auch Stunden nach den Videoaufnahmen noch Menschen am Unterlauf der Ahr. Die Betroffenen im Ahrtal werden sich verhöhnt fühlen, wenn der Minister ihnen jetzt sagt: Auf den Videos sehe er ein sehr starkes Hochwasser, das er so erwartet habe. Um einzugreifen, habe ihm jedoch das Katastrophenbild gefehlt. Für einen Innenminister ein Offenbarungseid.