Fotos und Erinnerungen - das ist das einzige, was Scherwan Mohammad von Alona geblieben ist. Jeden Abend vor dem Schlafengehen, so erzählt er, schaut er sich die gemeinsamen Bilder auf dem Handy an. "Ich habe meine eigene Art gefunden, mit dem Schmerz umzugehen", sagt er. Er besucht Orte, die sie miteinander verbinden - viele davon liegen am Wasser. Lange Zeit war das ein Problem.
"Ich hab lange Abstand zu Wasser gehalten. Da kamen immer sofort die ganzen Bilder aus der Nacht hoch und ich bin in ein Loch gefallen", so Scherwan. Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 wird der 26-Jährige wahrscheinlich nie vergessen. Es war die Nacht, in der eine Flutwelle das Elternhaus seiner Freundin im Bad Neuenahrer Ortsteil Heppingen mit sich riss - mitsamt aller Bewohner.
Familie wird bei Flut im Haus eingeschlossen
Alona, ihre Eltern und die drei Familienhunde - sie alle sind Opfer der Flutkatastrophe geworden. Überlebt hat nur der Vater - schwer verletzt, wie Scherwan berichtet. Demnach hatte die Familie noch Sandsäcke aufgetürmt, um sich vor dem Hochwasser zu schützen. Doch gegen die Flutwelle konnten die nichts ausrichten, das Wasser stieg zu schnell. Die Familie wurde im Haus eingeschlossen und konnte sich nicht mehr retten.
Scherwan war an dem Abend nach eigenen Angaben in Hamburg, wo er zusammen mit Alona 2016 hingezogen war. Alona sei in der alten Heimat gewesen, weil sie sich eine Zeitlang um ihre pflegebedürftige Großmutter habe kümmern wollen. Den letzten Kontakt habe er mit ihr gegen 19 Uhr gehabt: "Da gings ihr gut. Sie hat sich keine Sorgen wegen des Hochwassers gemacht", erinnert sich Scherwan.
Als der Abend voranschreitet und er nichts mehr von Alona hört, wird er unruhig. Irgendwann am späten Abend bekommt er mit, was im Ahrtal los ist. "Ich hab mich sofort ins Auto gesetzt und bin runtergerast." Als er in Bad Neuenahr-Ahrweiler ankommt, ist es schon mitten in der Nacht und das Wohngebiet in Heppingen steht komplett unter Wasser.
"Ich habe noch versucht, zum Haus zu kommen, stand bis zum Bauch im Wasser - aber das Haus war nicht mehr da", sagt Scherwan. Dass er nicht selbst vom Wasser mitgerissen wurde, grenzt an ein Wunder. Ein Nachbar habe sich danach um ihn gekümmert, ihm trockene Kleidung gegeben. Was folgen sind Tage der Ungewissheit, der verzweifelten Suche nach den Vermissten und der Hoffnung, sie noch lebend zu finden.
Nur der Vater überlebt die Flutkatastrophe
Der Vater taucht in einem Krankenhaus auf, Alonas Leiche wird erst eine Woche später gefunden. Etwa fünf Kilometer ahrabwärts, in der Nähe des Sportplatzes in Bad Bodendorf. Der Fundort macht Scherwan zu Schaffen - am Tag nach der Flut sei er abends bei seiner Suche nur ganz knapp daran vorbeigelaufen. "Hundert Meter weiter und ich hätte sie vielleicht noch retten können", glaubt Scherwan. Zu den Vorwürfen, die er sich macht, kommen die Eindrücke der Tage nach der Flut. "Ich habe viel Schlimmes gesehen", sagt er.
Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert
Scherwan musste lange daran arbeiten, die Bilder aus aus seinem Kopf zu verdrängen. Erst in einer ambulanten Therapie, dann auch in einer stationären. Eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittel bis schwere depressive Episode sei bei ihm diagnostiziert worden. Demnach konnte er monatelang seiner Arbeit als Busfahrer nicht nachgehen. Erst seit April sei er wieder Vollzeit beschäftigt.
Neben der Therapie hätten ihm vor allem die Gespräche mit Alonas Vater geholfen. Ihm habe er auch sämtliche Besitztümer von Alona überlassen. Behalten habe er nur einen großen Plüschaffen. "Den habe ich ihr mal geschenkt - jetzt kommt er überall mit hin", erzählt Scherwan. Er lebt zurückgezogen, unternimmt nicht mehr viel. Andere Frauen zu treffen, kommt ihm falsch vor. "Ich gehöre nur einer Person: Alona", sagt er. Er hat sich ein Tattoo mit ihrem Namen stechen lassen und dem Satz "Live is pain" - Leben ist Schmerz.
Seit 2014 waren Scherwan und Alona ein Paar, erzählt Scherwan. In der Großstadt Hamburg wollten sie sich seinen Worten zufolge ein neues Leben aufbauen. Alona habe Scherwan oft bei seiner Arbeit begleitet, wenn sie selbst frei hatte. "Wir haben alles gemeinsam gemacht", sagt Scherwan. Die beiden hätten auch schon über das Thema Hochzeit geredet; und auch wenn es noch nicht offiziell war, so spricht er dennoch von Alona als seiner Verlobten: "Für mich sind wir verlobt", betont Scherwan.
Mutter wird in Rotterdam gefunden
Alona wurde am 1. Oktober 2021 beerdigt - just an dem Tag sind auch die sterblichen Überreste ihrer Mutter in Rotterdam gefunden worden, erinnert sich Scherwan. Das Grab besuche er sooft es geht, wenn er zu Besuch in der Heimat sei. Anfangs habe es ihm Probleme bereitet, dass er so weit weg wohnt. Doch von der Überlegung, Hamburg zu verlassen, habe er sich dann bald verabschiedet. "Ich bleibe hier und lebe unseren Traum weiter."