Die Katastrophe an der Ahr sei in keiner Weise absehbar gewesen. So sehen es der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Adenau und der zuständige Wehrmeister. Im Untersuchungsausschuss des Landtags sagte der Wehrleiter von Adenau, Dieter Merten, es habe zwar Warnungen vor Starkregen gegeben, aber niemand habe im Vorfeld vor einer Katastrophe dieses Ausmaßes gewarnt.
Boote konnten nicht eingesetzt werden
Das sei unvorstellbar gewesen. "Gegen 17 Uhr am 14. Juli waren alle Feuerwehrkräfte in der Verbandsgemeinde im Einsatz", schilderte Merten den Vorabend der Flutnacht. Aber binnen weniger Stunden seien die Gerätschaften wegen der Wassermassen nicht mehr einsatzfähig gewesen. Selbst die extra angeforderten Boote hätten nicht eingesetzt werden können. Schwere Metallboxen mit Sandsäcken seien einfach weggeschwemmt worden.
Alle Feuerwehrleute hätten mit Baggern und Traktoren unter schwierigsten Bedingungen versucht, Menschen zu retten. Da die Kommunikation ab einem gewissen Zeitpunkt zusammengebrochen war, sei es nicht mehr möglich gewesen, sich ein genaues Lagebild für die Verbandsgemeinde zu machen, so Merten weiter. Man habe auf Zuruf Entscheidungen getroffen.
Bäume wie Streichhölzer umgeknickt
"Als wenn einer die Schleusen aufgezogen hätte", beschrieb der Bürgermeister von Insul, Ewald Neiß, die Flutkatastrophe in seinem Ort. "Aus allen Rohren schoss das Wasser", sagte der 75-Jährige im Landtag. Riesige zischende Gastanks seien auf Bäume zugeschossen und hätten diese wie Streichhölzer umgeknickt. Ein angeschwommenes Haus sei an Bäumen zerschellt.

Besonders dramatisch schilderten mehrere Zeugen die Lage auf dem Campingplatz Stahlhütte in Dorsel. Das Wasser dort sei rasend schnell gekommen, berichtete der ehrenamtliche Wehrführer aus Barweiler, Torsten Möseler. Die Evakuierung habe sich aber auch verzögert, weil der Besitzer sich zunächst geweigert habe, berichteten mehrere Zeugen der Feuerwehr. Fünf bis sechs Menschen und ein Feuerwehr-Mann seien mit einem Hubschrauber vom Campingplatz gerettet worden, andere Menschen aber in den Wassermassen verschwunden, sagte Möseler.
Feuerwehrführer Ottmar Ley aus Dümpelfeld war mit seiner Tochter im Auto eingeschlossen. Erst als das Wasser im Wagen so hoch stand wie draußen - über dem Bauchnabel - ließen sich die Türen wieder öffnen und sie konnten aussteigen, wie der 63-Jährige berichtete.
Feuerwehrleiter aus Schuld forderte Panzer an
Der Feuerwehrleiter der Ahr-Gemeinde Schuld, Tobias Lussi, hatte am Abend der Flutkatastrophe Bundeswehrpanzer und Hubschrauber angefordert. Der 26-jährige Berufsfeuerwehrmann sagte, er sei erst mit seiner Einheit in Antweiler im Einsatz gewesen und gegen 22 Uhr in Schuld eingetroffen. Zu diesem Zeitpunkt habe es dort bereits ein unvorstellbares Hochwasser mit massiven Zerstörungen gegeben. Die angeforderten Panzer seien bewilligt worden, aber erst Tage später eingetroffen.

Der Ortsbürgermeister der Ahr-Gemeinde Schuld, Helmut Lussi, kritisierte im Ausschuss indes den Kreis Ahrweiler scharf. Wenn rechtzeitig Katastrophen-Alarm ausgelöst worden wäre, hätte es keine Toten in Sinzig mehr gegeben, sagte der CDU-Politiker.
Verbandsbürgermeister Nisius: "Es ging drunter und drüber"
Der Verbandsbürgermeister Guido Nisius (CDU) berichtete, schon am frühen Nachmittag sei etwa in Antweiler ungewöhnlich viel Wasser von den Hängen geflossen. Wenige Stunden später seien alle 300 Feuerwehrleute der Verbandsgemeinde Adenau im Einsatz gewesen. Gegen 18 Uhr habe die Einsatzleitung der Verbandsgemeinde einen Hubschrauber zur Menschenrettung auf dem Campingplatz Stahlhütte in Dorsel an der Ahr und Boote angefordert. Eine Stunde später sei es in der Einsatzzentrale drunter und drüber gegangen.
Gegen 23 Uhr habe er erfahren, dass die Wassermassen in Schuld Häuser weggerissen hatten und dass eine junge Feuerwehrfrau vermisst wurde, so Nisius weiter. Er sei dann mit dem Eindruck nach Hause gefahren, dass "alles menschenmögliche" getan werde. Mit dem Landrat des Kreises, Jürgen Pföhler (CDU), habe er keinen persönlichen Kontakt gehabt.
Nebenflüsse der Ahr waren vielerorts größtes Problem
"Das große Problem war bei uns nicht so sehr die Ahr, sondern die Nebenbäche", sagte Nisius. Alle Brücken seien frei gewesen, sogenannte Verklausungen - also Verschlüsse von Brücken etwa durch Treibgut - seien nicht zu erahnen gewesen. Allerdings hätten die Ortsbürgermeister der Verbandsgemeinde irgendwann vor dem Unwetter Totholz aus dem Uferbereich entfernen wollen, die Naturschutzbehörde habe dies aber untersagt. Das wies die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD Nord) zurück. Weder das Umweltministerium noch die Obere Naturschutzbehörde seien involviert gewesen und könnten deshalb auch nichts untersagt haben.
Wimbach, Trierbach und Lückenbach - die Nebenflüsse der Ahr - spielten bei der Flutwelle eine entscheidende Rolle, sagten auch weitere Zeugen. "Am frühen Abend waren wir von der Außenwelt abgeschnitten", berichtete der ehrenamtliche Feuerwehrleiter Ralf Prämaßing aus Müsch, wo der Trierbach in die Ahr fließt.
ADAC-Rettungspilot: Sah Menschen unter uns im Auto ertrinken
Tobias Michels von der Air Rescue Nürburgring, Tobias Frischholz von der Polizeistaffel Hessen und der ADAC-Rettungspilot Stefan Goldmann schilderten eindringlich, wie sie bei schlechtem Wetter, eingeschränktem Digitalfunk, technischen Problemen und schlechter Sicht versuchten, Menschen zu retten. "Es gab keine Vorabinfo, dass es zu solchen Einsätzen kommen konnte", sagte Frischholz. Er habe gesehen, "wie Menschen unter uns in Autos ertrinken, um Hilfe rufen und ich kann ihnen nicht helfen, weil ich keine Winde habe", berichtete Goldmann.
Rekonstruktion einer Katastrophe Was ist in der Flutnacht passiert? - Ein Protokoll
Knapp ein Jahr nach der Jahrhundertflut im Ahrtal hat der Untersuchungsausschuss viele Zeugen befragt, um Klarheit zu gewinnen: Wie konnte es zu einer solchen Katastrophe kommen?
Opposition sieht sich durch Zeugenaussagen in Kritik bestätigt
Die Opposition sah sich nach der Sitzung des Untersuchungsausschusses in ihren Vorwürfen bestätigt. Der Obmann der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Herber, erklärte, es habe sich der Verdacht bestätigt, dass die Einsatzkräfte in der Verbandsgemeinde Adenau nicht rechtzeitig gewarnt wurden. Die erste Warnung des Landesumweltamtes (LfU) habe die Einsatzkräfte erst Stunden, nachdem die Katastrophe schon voll im Gange war, erreicht.
Die AfD mit ihrem stellvertretenden Obmann Jan Bollinger sah das ähnlich. Es sei bei der Befragung deutlich geworden, dass die Informationen des Umweltministeriums im Vorfeld keinen auch nur annähernden Eindruck von der dramatischen Lage vermittelt haben und die Warnungen erst zu einem Zeitpunkt erfolgten, als die Katastrophe bereits dramatische Auswirkungen hatte.
Bestätigt sieht sich die Opposition mit den Freien Wählern auch in einem Rechtsgutachten. Darin kommt der Heidelberger Staatsrechtler Bernd Grzeszick zu dem Ergebnis, dass das Land bei großflächigen Katastrophen wie im vergangenen Juli automatisch für die Einsatzleitung zuständig sein kann.