Am 4. März entschied sich Martina Gonser, in ihrem Haus in der Vordereifel ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Anfänglich gab sie einer Mutter mit einem kleinen Kind ein Dach über den Kopf. Diese beiden sind inzwischen woanders untergekommen. Dafür kam Lina. Doch auch Lina hat inzwischen einen Job und eine Wohnung gefunden. Es ist eine bewegende Zeit für die Menschen in der privaten Not-Wohngemeinschaft - mit besonderen Herausforderungen. Hier schreibt Martina Gonser von ihren Erlebnissen.
Menschen aus Ukraine beherbergen Geflüchtete privat unterbringen - wie geht das?
Geflüchtete aus der Ukraine privat aufnehmen - viele Rheinland-Pfälzer und Rheinland-Pfälzerinnen möchten so helfen. Aber wie geht das? Was muss man dabei beachten?
+++ Dienstag, 22.3. +++
Heute heißt es Abschied nehmen von Lina. Am Abend zuvor habe ich noch drei Stunden lang im Internet vergeblich nach einer Wohnung für sie gesucht, da bekomme ich von unserer Dolmetscherin Marina die Mitteilung, dass sie sowohl einen Job als auch eine Wohnung für Lina hat. Die Ukrainerin, die in Kiew als Selbstständige zwei Geschäfte hatte, kann für die gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft "Perspektive" in Andernach arbeiten, die Menschen in Arbeit integriert. Sie richtet derzeit zwei Häuser als Unterbringungsmöglichkeit für Geflüchtete her und es gibt jede Menge zu tun. Lina hilft bei den Vorbereitungen und soll sich später um die Menschen kümmern, die dort wohnen werden.
Die quirlige Ukrainerin ist begeistert, dass sie endlich etwas Sinnvolles tun kann. Bis sie eine Wohnung in Kruft bezieht, die derzeit hergerichtet wird, wohnt sie bei der Dolmetscherin in Mendig. Die beiden verstehen sich sehr gut und Lina kann mit Marinas Mann zur Arbeit nach Andernach fahren. Ich bin etwas wehmütig, weil alles so schnell ging. Lina verspricht mir aber, dass wir in Kontakt bleiben und dass sie mich schon am kommenden Wochenende besuchen kommt und wir dann selbstverständlich wieder zusammen etwas Leckeres kochen werden.
+++ Montag, 21.3. +++
Lina telefoniert noch viel mit Oxana, mit der sie anfangs bei mir gewohnt hat und die jetzt mit Mann und Sohn in Belgien lebt. Oxana berichtet, dass ihr Mann notoperiert werden musste, weil er einen Magendurchbruch hatte. Wir lassen heute auch ein biometrisches Passfoto machen und schauen uns eine Wohnung an, die uns angeboten wurde. Sie kommt allerdings nicht in Frage, da sie keinen separaten Eingang hat.
#Zusammenkommen Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen? Hier gibt es Informationen dazu!
Viele Menschen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wollen helfen und Geflüchtete privat bei sich aufnehmen. Wo ihr euch melden könnt, erfahrt ihr hier.
+++ Sonntag, 20.3. +++
Ich vernetze mich mit anderen Helfern und Helferinnen auf dem Maifeld und kann somit Lina Kontakt zu anderen Ukrainerinnen und Ukrainern vermitteln. Sonntags treffen sie sich in der Freien Kirchengemeinde in Polch. Sie möchte aber lieber Deutsch lernen. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh darüber, denn bei den explodierenden Coronazahlen sind solche Zusammenkünfte immer noch riskant.
+++ Samstag, 19.3. +++
Lina ist doch schon früher zurückgekommen und wir machen einen Ausflug zur nahe gelegenen Burg Eltz. Immer wieder flüstert mir Lina "Ukrainski" zu, wenn wir an anderen vorbeigehen. Offensichtlich sind andere Gastgeber auch auf die Idee gekommen, so für Abwechslung zu sorgen. Wir machen das obligatorische Touristenfoto und wandern noch ein wenig Richtung Mosel. Lina ist begeistert von der Märchenburg und schickt Fotos an ihre Freunde.

Auch heute werde ich wieder mit ukrainischer Küche verwöhnt. Lina hat selbst einmal ein kleines Restaurant gehabt, erzählt sie mir, und viel für ihre drei Söhne gekocht. Es macht ihr Spaß, etwas zu tun und ich assistiere ihr. Hier kommt man ohne viele Worte aus und wir haben beide viel Spaß daran. Die Portionen, die sie mir hinterher auf den Teller häuft, sind allerdings wohl eher etwas für ukrainische Hafenarbeiter als für Schreibtischtäter wie mich.

+++ Mittwoch, 16.3. bis Freitag, 18.3. +++
Lina klagt über schlimme Zahnschmerzen. Mein Zahnarzt stellt fest, dass wohl zwei Zähne nicht mehr zu retten sind und sie zu einem Chirurg muss. Ich versuche einen Termin zu bekommen, telefoniere aber vergeblich. So bleibt uns nur die Notaufnahme im Bundeswehrzentralkrankenhaus. Ich brauche einen Behandlungsschein, den ich beim Sozialamt in Koblenz abholen muss. Wir verbringen anschließend vier Stunden im Wartebereich der Notaufnahme und mit dem Ausfüllen von Formularen.
Lina kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, was alles gemacht werden muss, bevor es zur eigentlichen Behandlung kommt. Eine Stunde dauert die Behandlung. Schließlich müssen drei Zähne gezogen werden und meine ukrainische Mitbewohnerin muss sich erst einmal von der Prozedur erholen. Dennoch will sie noch ihre neu angekommenen Freunde in Volkesfeld begrüßen und das Wochenende mit ihnen verbringen.
Verschnaufpause am Wochenende
Ich bin darüber nicht böse. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen gemerkt, dass ich an meine persönlichen Grenzen komme. Denn ich arbeite ja auch noch nebenher im Homeoffice und nehme Termine für den SWR wahr. Wenn man gewöhnt ist, allein zu leben, bringt so eine Wohngemeinschaft eine große Umstellung mit sich.
+++ Dienstag, 15.3. +++
An der Kasse der Verbandsgemeinde bekommt Lina heute exakt 269,13 Euro Taschengeld. Wir gehen zusammen einkaufen und Lina ärgert sich, weil sie nicht bezahlen darf. Aber sie freut sich darüber, dass sie für mich ukrainisch kochen kann: Kohlrouladen, Borschtsch und Hühnchen mit Gemüse. Alles sehr lecker. Wir essen zusammen und unterhalten uns mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms.

Linas Freunde wollen auch zu mir
Lina erzählt mir, dass ihre Freundin mit Mann und drei erwachsenen Kindern sowie einem Hund bald nach Deutschland kommen wird und geht davon aus, dass sie auch bei mir unterkommen können. Da muss ich leider passen. Aber unsere unglaublich engagierte Dolmetscherin Marina findet mit Hilfe der Verbandsgemeinde Mendig eine Ferienwohnung in Volkesfeld, wo die Familie erst einmal unterkommen kann.
+++ Montag, 14.3. +++
Wir melden Lina bei der Verbandsgemeinde Maifeld an. Als erstes bekommt sie ein Merkblatt, wie man Müll trennt. Eine Mitarbeiterin der Verbandsgemeinde erzählt mir, dass einige Leute "gern ihre Flüchtlinge schon wieder abgeben“ würden. Wie ich selbst auch jetzt erst erfahre, gehen die Behörden davon aus, dass man seine Unterkunft für mindestens ein halbes Jahr zur Verfügung stellt und selbst eine dauerhafte Lösung findet. Auch ich muss zugeben, dass ich so einen großen Zeitraum nicht ins Auge gefasst habe.
Wohngemeinschaft mit Ukraine-Flüchtlingen für ein halbes Jahr
Deshalb vernetze ich mich mit der Flüchtlingshilfe des Dekanats Maifeld/Untermosel, der Flut- und Flüchtlingshilfe Polch und anderen privaten Engagierten, um eine dauerhafte Bleibe für Lina zu finden, die natürlich selbst auch lieber allein wohnen würde. Wir müssen also eine Wohnung finden, die das Sozialamt bezahlt. Die Vorgaben sind: max. 50 qm, Kaltmiete bis 335 Euro + Neben- und Heizungskosten. Gar nicht so einfach.

+++ Freitag, 11. März +++
Ich telefoniere mit einem Gastronom in Münstermaifeld und frage, ob er Lina als Küchenhilfe gebrauchen kann. Er kann, und sie darf schon in der nächsten Woche bei ihm vorbeischauen. Für Lina eine gute Chance, bald ihr eigenes Geld zu verdienen und sich eine eigene Wohnung nehmen zu können. Außerdem wird sie von ihrem Schmerz über den Tod ihres Sohnes abgelenkt und kann wieder etwas optimistischer in die Zukunft schauen.
Und natürlich freue auch ich mich, wenn mein Gast baldmöglich selbstständig ist. Denn es bringt doch eine sehr große Umstellung mit sich, das Haus mit anderen zu teilen, auch weil die Kommunikation sehr anstrengend ist. Vor allem aber, weil ich auch emotional miteinbezogen bin und mitbekomme, wie Lina um das Leben ihrer beiden anderen Söhne und das ihrer Freunde fürchten muss.
+++ Montag, 7. März bis Mittwoch, 9. März +++
Inzwischen ist auch Lina bei uns eingezogen. Sie hat fünf Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine ihren 26-jährigen Sohn bei einer Explosion verloren. Aber sie ist erstaunlich gefasst. Oksana ist froh, dass sie mit jemanden reden kann, der dasselbe Schicksal hat. Ich möchte für alle einkaufen, aber sie essen kaum etwas und ich habe das Gefühl, es ist ihnen peinlich, dass ich Ausgaben für sie habe. Beide kamen nur mit einer Reisetasche an und haben kein Geld.
Weiterreise nach Belgien
Oksana ist mit ihrem Jungen erst zwei Tage bei mir, da erzählt sie, dass sie Kontakt mit einer Tante in Belgien aufgenommen hat. Diese wird sie noch am Abend abholen kommen. Dima hat es bei mir gefallen, er weint, dass er gehen muss. Später erfahre ich, dass es sein Vater auch nach Belgien geschafft hat. Dort ist die Familie nun wieder vereint.
Spenden und mitanpacken in Rheinland-Pfalz So können Sie den Menschen in der Ukraine helfen
Viele Menschen in Rheinland-Pfalz fragen sich angesichts des Kriegs in der Ukraine, wie sie helfen können - wir geben einen Überblick.
Lina, die nach wie vor bei mir wohnt, hält weiter Kontakt mit Oxana. Mit meinem verbliebenen Gast gehe ich zur Verbandsgemeinde um die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Marina, die mit ihren Eltern vor vielen Jahren aus Kasachstan nach Deutschland kam und selbst bei einer Behörde arbeitet, begleitet uns als Dolmetscherin. Ukrainer verstehen sehr gut russisch. Wir müssen Lina beim Einwohnermeldeamt anmelden.
Anmeldung beim Einwohnermeldeamt - Personalausweis reicht aus
Kurzzeitig müssen wir befürchten, dass das nur mit Reisepass möglich ist, den Lina nicht besitzt. Aber schließlich funktioniert es doch mit ihrem Personalausweis. Sie ist jetzt bei mir gemeldet und wir können uns bei der Gemeindekasse ein Taschengeld für sie von etwa 280 Euro abholen. Lina interessiert ganz besonders, wie es weitergeht für sie.
Sie glaubt nicht, dass sie so schnell wieder zurück in die Ukraine kann und möchte deshalb baldmöglichst arbeiten. Doch das kann dauern, bis sie aus Trier einen Aufenthaltstitel, eine Gesundheitskarte und Asylbewerberleistung erhält. Einen guten Überblick, was man bei der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen beachten muss, gibt es hier. Da erfahre ich, dass Lina arbeiten darf, sobald sie einen Arbeitsplatz vorweisen kann.
+++ Freitag, 4. März bis Sonntag, 6. März +++
Ich lese morgens einen Aufruf der Verbandsgemeinde Mendig, dass Zimmer und Wohnungen für geflüchtete Menschen aus der Ukraine gesucht werden. Da meine Kinder aus dem Haus sind, habe ich zwei Zimmer frei. Ich melde mich bei der Verwaltung und kurze Zeit später kommen eine Mutter und ihr siebenjähriger Sohn zu mir. Sie fragen, ob ich auch noch Platz für eine alleinstehende Frau habe, sie hätten sich auf der Flucht kennengelernt und würden gerne zusammen bleiben.

Dolmetscherin hilft beim Kennenlernen
Auch für sie finde ich noch einen Platz in meinem Haus in Polch. Zum Glück hat mir die Verbandsgemeinde Mendig gleich eine ehrenamtliche Dolmetscherin zur Seite gestellt. Denn meine drei Gäste können weder Deutsch noch Englisch. So können wir uns am ersten Tag gleich ein bisschen besser kennenlernen. Ich erfahre, dass Oksana und ihr Sohn um das Leben des Vaters fürchten. Der ist noch in der Ukraine. Er möchte aber versuchen, nach Deutschland zu gelangen. Oksana weint sehr viel, es ist ihr auch peinlich, Hilfe annehmen zu müssen.

Der kleine Dimo dagegen scheint die Flucht gut verkraftet zu haben. Er freut sich über unseren Kicker im Keller und ich nehme ihn auf alle Spielplätze in der Umgebung mit, wo er ausgelassen herumturnt. Die Verständigung klappt zwar ganz gut, gestaltet sich aber schwierig, da das Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone oft die merkwürdigsten Sätze ausspuckt.